Britisches Unterhaus
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Brexit

Unterhaus fordert „Backstop“-Alternative

Das britische Parlament will den „Backstop“, also die bestehende Regelung für die irisch-nordirische Grenze, im Brexit-Deal neu verhandeln. Die Abgeordneten votierten am Dienstagabend mehrheitlich für einen Vorstoß, der die Zustimmung des Parlaments zum ausgehandelten Brexit-Deal von erfolgreichen Nachverhandlungen mit der EU abhängig macht. Die EU lehnte diese daraufhin erneut ab.

317 Abgeordnete stimmten am Dienstagabend in London dafür, die „Backstop“-Regelung für Nordirland in dem Abkommen zu ersetzen, 301 Parlamentarier wandten sich dagegen. Mit diesem Brady-Antrag stützt das Unterhaus die Strategie von Premierministerin Theresa May, die vorab erklärt hatte, das Brexit-Abkommen mit der EU noch einmal aufschnüren zu wollen.

May kündigte nach der Abstimmung an, das Gespräch mit der EU über rechtlich bindende Änderungen an dem Abkommen zu suchen. Das werde nicht einfach werden, sagte sie. „Es ist jetzt klar, dass es einen Weg zu einer tragfähigen und nachhaltigen Mehrheit dafür gibt, die EU mit einem Deal zu verlassen.“ May will den Abgeordneten schnellstmöglich einen geänderten Austrittsvertrag zur Abstimmung vorlegen. Sollte sie keinen Erfolg bei Nachverhandlungen mit der Europäischen Union haben, werde sie spätestens am 13. Februar vor dem Unterhaus eine Erklärung abgeben. Für den Tag darauf – also am 14. Februar – plane May eine Abstimmung zu ihrer Erklärung, teilte Downing Street mit.

Theresa May
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Premierministerin May kündigte nach der Abstimmung an, das Gespräch mit Brüssel zu suchen

EU: Keine Nachverhandlungen

Die Europäische Union lehnte die vom britischen Unterhaus verlangte Änderung des Brexit-Vertrags bereits am Dienstag ab. "Das Austrittsabkommen ist und bleibt der beste und der einzige Weg, einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union sicherzustellen. Der „Backstop" ist Teil des Austrittsabkommens, und das Austrittsabkommen ist nicht für Nachverhandlungen offen“, sagte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk in Brüssel. Diese Linie sei mit den Hauptstädten der 27 bleibenden EU-Staaten abgestimmt.

„Sollte es einen begründeten Antrag für eine Verlängerung geben, wären die EU-27 bereit, ihn in Erwägung zu ziehen und darüber einstimmig zu entscheiden“, ließ Tusk zudem ausrichten. Bei der Frage, wie lange die Frist verlängert würde, werde die EU „das Funktionieren der EU-Institutionen einbeziehen“. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte vor der Abstimmung im britischen Parlament in der ZIB1 betont, dass er eine Neuverhandlung des Brexit-Abkommens für „sehr schwierig und unrealistisch“ halte. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lehnte Nachverhandlungen ab.

„Backstop“-Regel

Diese Regel ist der größte Kritikpunkt an Mays Brexit-Paket. Sie sieht vor, dass Großbritannien mit der EU in einer Zollunion bleibt, wenn keine andere Vereinbarung getroffen wird. Hardliner eines Austritts fürchten eine Bindung an die EU auf unabsehbare Zeit.

Das britische Parlament stimmte zudem über sechs weitere Anträge ab. Das Gesamtpaket der Änderungsanträge winkten die Parlamentarier ohne förmliche Abstimmung durch. Eine Mehrheit gab es für einen Antrag, der einen ungeregelten Austritt ausschließen soll. Die Abgeordneten billigten einen Antrag der konservativen Abgeordneten Caroline Spelman. Allerdings hat der Beschluss rechtlich keine Konsequenzen. Ein ungeordneter Brexit kann dadurch allein nicht abgewendet werden. Das Austrittsdatum 29. März 2019 ist im EU-Austrittsgesetz festgeschrieben. Sollte es weder ein Abkommen noch eine Verschiebung der Brexit-Frist geben, würde Großbritannien trotzdem ohne Deal aus der EU ausscheiden.

Mehrere Anträge abgelehnt

Fünf weitere Anträge lehnten die Abgeordneten jedoch ab. Das Unterhaus sprach sich etwa gegen ein Gesetzgebungsverfahren zur Verschiebung des EU-Austritts Großbritanniens aus. Der Vorstoß stammte von der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper. Sie wollte damit den Brexit per Gesetzgebungsverfahren aufschieben, sollte bis Ende Februar kein Austrittsabkommen ratifiziert sein. 321 Abgeordnete stimmten dagegen, 298 dafür. Auch ein zweiter Antrag, der eine Verschiebung des Austrittstermins hätte bewirken können, wurde kurz darauf abgelehnt.

Davor wurde bereits gegen einen Antrag des konservativen Abgeordneten Dominic Grieve votiert, der die Entscheidung über den Brexit-Kurs in die Hände des Parlaments legen sollte. Dazu sollten im Februar und März insgesamt sechs Debattentage im Unterhaus reserviert werden, an denen über Alternativen zum abgelehnten Brexit-Abkommen von Premierministerin May abgestimmt werden sollte.

Auch die Anträge von Oppositionsführer Jeremy Corbyn und von der schottischen Nationalpartei SNP wurden abgelehnt. In Corbyns Antrag waren Alternativen zu einem Brexit ohne Abkommen aufgeführt. Corbyn werde nun mit May reden, um unter anderem „Arbeitsplätze, den Lebensstandard und die Rechte“ in Großbritannien zu sichern. Das kündigte er nach der Abstimmung an. Der von SNP-Fraktionschef Ian Blackford eingebrachte Antrag sah einen Verbleib Schottlands in der EU trotz Brexits und eine Verschiebung des EU-Austritts vor. Insgesamt stimmte das Unterhaus heute über sieben Änderungsanträge ab.

May forderte vor Abstimmungen „klares Signal“

Vor den Abstimmungen forderte May im britischen Unterhaus ein „klares Signal“, was es für die Zustimmung zu einem Brexit-Deal braucht. „Das Unterhaus hat keine Zweifel daran gelassen, was es nicht will. Heute müssen wir ein nachdrückliches Signal senden, was wir wollen“, so May.

Journalistin Kate Connolly zum Brexit-Verlauf

Die Deutschland-Korrespondentin der britischen Tageszeitung „Guardian“ zeigt sich in der ZIB2 irritiert über die mangelde Willensbildung im Parlament des Vereinigten Königreichs.

In ihren Gesprächen über die Parteigrenzen hinweg sei für sie klar geworden, dass es drei wesentliche Änderungen für ihren bisherigen Plan brauche, so May. Man müsse sich mehr mit den Abgeordneten beraten, man müsse sicherstellen, dass Umwelt- und Arbeitsstandards nicht gesenkt werden. Drittens müsse es Änderungen am Backstop geben, der eine Notlösung darstellt, um die Grenze zwischen Irland und Nordirland in jedem Fall offen zu halten.