Kompass
Getty Images/Pete Gardner
Magnetischer Pol wandert

Nordpol läuft Wissenschaft davon

Der magnetische Nordpol, der unter anderem dafür verantwortlich ist, in welche Richtung ein Kompass zeigt, wandert. In den letzten Jahren war er deutlich schneller unterwegs als erwartet – deshalb musste die Wissenschaft nun vorzeitig reagieren und ihre Berechnungen anpassen. Das hat auch Auswirkungen auf die Luftfahrt und das Militär.

Normalerweise wird das World Magnetic Model alle fünf Jahre herausgegeben, um auf Änderungen des magnetischen Nordpols reagieren zu können – zuletzt 2015. Damals wurde erwartet, dass die jährliche Änderung wie in den Jahren zuvor weiter abnimmt – stattdessen wanderte der Pol jedoch schneller Richtung Russland. Statt im kommenden Jahr veröffentlichten US- und britische Behörden ihr neues Modell nun am Montag.

Die Position verändert sich momentan um rund 55 Kilometer pro Jahr. Über die Jahrhunderte kam er dem geografischen Nordpol immer näher, erst 2017 überschritt der arktische Magnetpol die Datumsgrenze, jetzt bewegt er sich von kanadischem Territorium nach Sibirien. „Das Problem ist nicht, dass sich der Pol bewegt, sondern dass er sich so schnell bewegt“, so der britische Geophysiker William Brown gegenüber der „New York Times“. Je schneller – oder langsamer – sich der Pol bewegt, desto schwieriger wird es, „vorherzusagen, wo das Ding sein wird“.

Karte vom magnetischen Nordpol
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: NOAA
Zuletzt wurde der magnetische Nordpol 2007 an Ort und Stelle gemessen. Expeditionen gestalten sich schwierig, je weiter sich der Pol von bewohntem Gebiet entfernt.

Auswirkungen auf Smartphone und Flugzeug

Betroffen von den Änderungen sind zunächst vor allem Kompasse, die sich aber in vielen verschieden Geräten finden: Sie kommen in Smartphones ebenso zum Einsatz wie in der Flugnavigation. Das Satellitennavigationssystem GPS ist von der Polwanderung jedoch kaum betroffen – Kompasse helfen lediglich dabei, die Richtung, in die man sich bewegt, schneller zu ermitteln.

Durch seine Funktion in der Navigation ist der magnetische Norden damit auch für das Militär von Bedeutung. Das erklärt auch, warum das World Magnetic Model unter anderem von der National Geospatial-Intelligence Agency veröffentlicht wird – einer US-Behörde, die Karten für militärische und geheimdienstliche Zwecke auswertet.

Auch Bodenmarkierung auf Flughäfen betroffen

Wirklich sichtbare Auswirkungen hat der wandernde Nordpol unterdessen in der Luftfahrt: Landebahnen werden nämlich nach ihrer Ausrichtung zum magnetischen Norden nummeriert. Die Bezeichnungen finden sich prominent an beiden Enden der Piste.

Markierungen auf Landebahn
Reuters/Larry Downing
Die Bezeichnung von Landebahnen orientiert sich an der Kompassrose – und muss daher manchmal geändert werden

Dadurch, dass sich der magnetische Pol über Jahrzehnte Richtung Sibirien bewegte, musste erst letztes Jahr etwa der Flughafen in Genf seine Nummerierung ändern: Der fast 100 Jahre „05/23“ bezeichnete Landestreifen wurde in „04/22“ umbenannt. Das ist mit enormen Kosten verbunden: Neben der Markierung selbst müssen Beschilderungen und Dokumentation aktualisiert werden. Die „New York Times“ schätzt, dass solche Änderungen Hunderttausende US-Dollar kosten.

Flüssiges Eisen verändert Magnetfeld

Vor knapp 400 Jahren entdeckte der britische Mathematiker Henry Gellibrand, dass sich der magnetische Nordpol über die Jahre mehrere hundert Kilometer bewegt hat. Zuerst kam er dem geografischen Nordpol immer näher, später bewegte er sich wieder von ihm weg – für die Wissenschaft ein großer Moment, wie der Geophysiker Andrew Jackson von der ETH Zürich der „New York Times“ sagt. Noch immer gebe es kein Modell, das verlässlich vorhersagt, wie sich das Magnetfeld der Erde verändert, so Jackson.

Dass es sich überhaupt ändert, liegt laut Forscherinnen und Forschern an flüssigem Eisen im Erdinneren. Dieses steigt, kühlt ab und sinkt dann wieder – durch die Bewegung verändert sich auch das Magnetfeld der Erde. Damit sei es letztlich eher wie das Wetter, so Daniel Lathrop von der Universität Maryland. „Wir könnten es auch einfach magnetisches Wetter nennen.“ Und: Im Gegensatz zum magnetischen Nordpol bewegt sich der Südpol wesentlich langsamer.

Polumkehr könnte in ferner Zukunft bevorstehen

Dass sich die Pole bewegen und auch ganz allgemein das Magnetfeld der Erde schwächer wird, führt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Annahme, dass es zu einer Polumkehr kommen könnte. Das ist in der Geschichte der Erde schon einige Male passiert – allerdings nicht in den letzten 780.000 Jahren.

„Die Frage ist nicht, ob sich das Magnetfeld umkehrt, die Frage ist, wann es das tun wird“, so Lathrop. Es würde aber nicht zu einer sofortigen Umkehr kommen, sondern könnte 1.000 Jahre oder länger dauern – genug Zeit, um sich auf den Fall der Fälle vorzubereiten.

Viele Expertinnen und Experten gehen jedenfalls davon aus, dass eine Umkehr nicht unmittelbar bevorsteht – und selbst wenn, wäre das keine Apokalypse, so das Fazit der „New York Times“: Obwohl das Magnetfeld Schutz vor der Strahlung der Sonne bietet, zeigen Fossilien keine Anzeichen, dass es bei vergangenen Umkehrungen der Pole zu Massensterben kam. „Von allen Problemen die wir haben, ist das kein Top-Ten-Problem“, so ein Geophysiker abschließend.