Jan Böhmermann
APA/Georg Hochmuth
Mit Pauken und Trompeten

Jan Böhmermanns Rundumschlag in Wien

Wenn Jan Böhmermann in Wien gastiert, dann ist ein Konzert mit Nachhall programmiert – und die Grenzziehung zwischen Satire und Erregungskultur eine offene. Böhmermann provozierte auch bei seinem Gastspiel mit Orchester im Wiener Gasometer. Und fast dankbar zündet der Boulevard den Erregungschor.

Zwar erneut ohne Glitzerburka wie einst schon für den „Romy“-Auftritt versprochen, dafür mit schillernder Hose, Pelzmantel und Sonnenbrille betrat Böhmermann die Bühne der gut gefüllten Gasometer-Halle am Mittwochabend. Sein Publikum begrüßte er mit den Sargnagel’schen Worten „Österreich, heute Abend kill ich dich, du Huankind“ in gewohnt freundlicher Manier. Satire im Stehplatzformat – das ist eine nicht klar sortierbare Sache, und dem Deutschen Böhmermann ist viel an Grenzverschiebung gelegen.

Mit einer 17-köpfigen Showband präsentierte er im Rahmen seiner „Ehrenfeld ist überall“-Tour ein kaleidoskopartiges Best-of der Songs aus seiner Late-Night-Show „Neo Magazin Royale“ – und schaffte es während des zweistündigen Liederabends einmal mehr, seine Fans zu überraschen.

Konzert von Jan Böhmermann in Wien

Mit einem Schmähgedicht hat der Satiriker schon einmal eine Staatskrise ausgelöst – in Wien hat er am Mittwoch ein Konzert mit seinem Orchester gegeben. Die Lieder wurden extra für Österreich noch einmal adaptiert.

Gewohnt skandalträchtiger Auftritt

Ein „hochpolitischer Schlagerabend“ solle es werden, meinte der 37-Jährige zu Beginn und hatte damit nicht zu viel versprochen. Auch wenn nicht, wie zuvor von ihm in einem FM4-Interview angekündigt, Mistgabeln angezündet, zur Hofburg gelaufen und ein Staatsstreich angezettelt wurde: Sein Publikum überraschte er mit zwei neuen Österreich-Songs. Dass in einem Song der österreichische Innenminister im Mittelpunkt stand, ordnete oe24.at am Tag danach ganz in der Intention des Satirikers mit dem Hang zur Grenzverletzung so ein: „Böhmermann sorgt mit Anti-Kickl-Song für Wirbel“

Jan Böhmermann
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Böhmermann und sein 17-köpfiges Rundfunk-Tanzorchester begeisterten das Publikum mit zwei neuen Österreich-Songs

Beide Songs sind angelehnt an bereits bestehende Hits: So wurde „Rainer Wendt“ zu „Herbert K.“ und aus „Deutschland ist wieder im Reichstag zurück“ „Das Volk ist wieder im Nationalrat zurück“.

Alle bekommen ihr Fett ab

Plakativ griff Böhmermann darin Themen auf, die die vergangenen Monate im Land für Diskussionen gesorgt hatten und besang etwa einen „hetzenden“ Innenminister, eine „polternde“ Außenministerin und einen dazu „schweigenden“ Kanzler. Das Publikum reagierte mit tosendem Applaus – ebenso zum neuen Arbeiterlied „Wir sind Versandsoldaten“, das die prekären Arbeitsbedingungen der Paketzusteller und Paketzustellerinnen thematisiert und von Böhmermann „in Vertretung der nicht mehr existierenden“ SPÖ vorgetragen wurde.

Eigentlich dürfte man all das vom Künstler mit Polarisierungsdrang längst gewohnt sein. Seine Satire ist auf Empörung angelegt – und wie immer spielt sich der Hauptteil der Böhmermann-Debatten ja nie vor Ort oder in einem Showformat, sondern stets im Nachhall ab.

Böhmermanns Dankesrede bei der Romy 2018

Bei der Verleihung des TV-Preises für die beste Unterhaltungsshow bedankte sich Böhmermann in gewohnt skandalträchtiger Manier.

Die österreichische Innenpolitik war bereits bei der Verleihung des Romy-TV-Preises im vergangenen Jahr Thema in Böhmermanns Dankesrede. Geplant hatte er ja damals, die Trophäe in einer „glitzernden Burka“ entgegenzunehmen. Intention: Verstoß gegen das österreichische Verhüllungsverbot. In Deutschland löste sein „Schmähgedicht“ gegen den türkischen Präsidenten Erdogan beinahe eine Staatskrise aus.

Mitschunkeln und Mitsingen für Bobos

Zuletzt schaffte es Böhmermann mit einem von Zooäffchen getexteten und Kalendersprüchen inspirierten Lied sogar in die Charts – „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ durfte demnach auch bei der Show in Wien nicht fehlen. Wer genau schaute, konnte einige solcher Versatzstücke sogar auf dem ein oder anderen Hipster-Stoffsackerl des ein oder anderen Besuchers finden. Ob Affirmation oder Bobo-Selbstironie, das durfte man sich wie manch anderes an diesem Abend gerne selbst beantworten.

Nicht fehlen durfte am Schluss auch eines seiner bekanntesten Lieder: die Gangsterrap-Persiflage „Ich hab Polizei“. Und wenn Böhmermann in Österreich „Polizei hat“, dann „hat Polizei“ auch Pferde.

Energiegeladenes Tanzorchester

Unterstützung bekam Böhmermann im Laufe der Show nicht nur von seinen Komoderatoren Florentin Will und Giulia Becker, sondern auch von Bilderbuch-Gitarrist Michael Krammer. Die größte Rückendeckung erhielt der eher mittelmäßige Sänger Böhmernann jedoch von seinem Rundfunk-Tanzorchester, das seit 2016 für die musikalische Begleitung in seiner TV-Show sorgt.

Egal ob die Coverversionen von Britney Spears „Toxic“ mit verzerrter Stimme, Disclosures Elektroballade „You & Me“ oder die 40 Jahre alte Fernsehtitelmelodie „Tausend Jahre sind ein Tag“ – die Einlagen waren eindeutig mehr als nur Lückenfüller für Böhmermanns Umziehpausen. Musikalisch waren die Orchestermusiker und Orchestermusikerinnen die wahren Stars des Abends. Sofern es bei diesem Abend tatsächlich um Musik ging. So ganz wusste man das beim Verlassen der Halle nämlich immer noch nicht. Satire im Stehplatzambiente ist vielleicht auch ein Format mit Luft nach oben.