Verena Altenberger (Mutter Elsie) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm
ORF-Serie „M“

Wien als Metropole des Grauens

David Schalko traut sich in große Fußstapfen zu treten: Er hat für ORF eins Fritz Langs Klassiker „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ aus dem Jahr 1931 als Miniserie neu verfilmt. Eine bemerkenswerte Schauspielerriege stand ihm zur Seite. Herausgekommen ist dabei ein „Twin Peaks“ für das postdemokratische Österreich.

Bela B. (ja, der von den Ärzten) als anämischer Esoterikapostel, Sophie Rois als saubrutale Unterweltkönigin mit Harry-Potter-Zauberstab, Verena Altenberger (der Star aus „Die beste aller Welten“) als verzweifelte Mutter, Lars Eidinger als ihr übel gelaunter, betrügerischer Ehemann, Murathan Muslu als knallharter Einsatzleiter, Moritz Bleibtreu als diabolischer Einflüsterer des Innenministers, Udo Kier als Weirdo im Fuchspelzmantel – ein Team, gecastet von Eva Roth, für das man eine abgenutzte Vokabel bemühen muss: kultig.

Aber was macht Schalko daraus? Zunächst einmal bewegt er sich recht nah am Original – und tut gut daran. Lang hatte sich Zeit gelassen und gleich mehrere Genres bedient: Sozialdrama, beißenden Kommentar auf die herrschenden Verhältnisse, Thriller und absurdes Theater. All diese Elemente finden sich auch in Schalkos Version wieder, versetzt vom Berlin der frühen 30er Jahre ins Wien der Gegenwart.

Das weiß getünchte Wien

Wien wird zum Mystery-Tatort, zur Märchenlandschaft, in der die Vergänglichkeit allgegenwärtig und keine Figur zu schräg ist.

Narziss und Schandmaul

Da gibt es einen feschen, jungen Slim-Fit-Kanzleranwärter (Dominik Maringer), der sich noch mit dem Amt des Innenministers zufriedengeben muss, aber ständig Vorarbeit für den nächsten Karriereschritt leistet. Als ein totes Kind nach dem anderen auftaucht, weiß er das geschickt für sich zu nutzen. Schalko und Evi Romen, die gemeinsam das Drehbuch geschrieben haben, verwoben Zitate und Paraphrasen aus der heimischen Innenpolitik in die Dialoge – bis hin zur Aussage des Ministers, dass er keine Angst habe, Fotos von toten Kindern zu sehen.

Der Slim-Fit-Kanzleranwärter steht nackt vor dem imperialen Spiegel in seinem Büro und plant die Machtübernahme, Ausnahmezustand inklusive. Narziss tritt hier nicht mit Goldmund auf, sondern mit einem Schandmaul an seiner Seite. Bleibtreus Figur ist sein Zuflüsterer, Kompagnon, Spin Doktor – und Chefredakteur des erfolgreichsten Krachboulevardblatts im Lande.

Der vom Verbrechen profitiert

Der Slim-Fit-Kanzleranwärter ist – noch – Innenminister und versucht aus den Kindermorden politisches Kleingeld zu schlagen.

TV-Hinweis

„M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ läuft in ORF eins. Die Sendetermine: 17., 20. und 22. Februar, jeweils 20.15 und 21.00 Uhr.

Nonchalant kreischen und schlägern

Derweilen mühen sich die Ermittler ab, dem Täter auf die Spur zu kommen, doch das ist alles andere als trivial. In sämtlichen Opferfamilien gibt es mögliche Hinweise und Motive, nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Und eine ganze Reihe von mysteriösen Figuren bevölkert das Wien rund um die Tatorte. Der junge Mann mit Behinderung im Clownkostüm; Udo Kier, der ständig fotografiert – und zunächst weiß keiner, warum; Bela B. mit seinen Weissagungen: Jeder könnte M., der Mörder, sein.

Und tatsächlich, getrieben vom Innenminister und seinem Schandmaul, sucht die ganze Stadt einen Mörder. Wie bei Lang beteiligt sich auch hier die Unterwelt rege – damit wieder Ruhe einkehrt und sie ungehindert ihren Geschäften nachgehen kann. Dass Rois schrille Rollen spielen kann, hat sie schon mehrfach bewiesen. Aber hier übertrifft sie sich selbst. So nonchalant kreischen und schlägern, das macht ihr so schnell niemand nach.

Fotostrecke mit 12 Bildern

Lars Eidinger (Vater Elsie) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm/Ingo Pertramer
Lars Eidinger bleibt nur die Puppe. Seine Filmfigur gibt keinen Paradeehemann ab.
Stefko Hanushevsky (Vater Coco), Lars Eidinger (Vater Elsie), Marleen Lohse (Verkäuferin), Ursula Ofner (Kinderärztin), Omid Memar (Junger Afghane) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
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Auch das Begräbnis wird medial ausgeschlachtet und politisch instrumentalisiert
Murathan Muslu (Einsatzleiter), Sarah Viktoria Frick (Kommissarin) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm/Ingo Pertramer
Murathan Muslu und Sarah Viktoria Frick als Teil eines ungleiche Ermittlerteams; am Ende zählen für alle Beteiligten die Emotionen
 Udo Kier (Fuchspelzmann) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm/Ingo Pertramer
Udo Kier als mysteriöser Fotograf im Fuchspelz. Wo auch immer etwas passiert – er ist da.
Johanna Orsini-Rosenberg (Polizeipräsidentin), Dominik Maringer (Innenminister) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm/Ingo Pertramer
Johanna Orsini-Rosenberg als Polizeipräsidentin, Dominik Maringer als karrieregeiler Innenminister
 Bela B Felsenheimer (Bleicher Mann) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm/Ingo Pertramer
Bela B. von den Ärzten: Wohl einer der gruseligsten Esoteriker der Filmgeschichte
Verena Altenberger (Mutter Elsie) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm
Das Wiener Winterwonderland als Alptraumlandschaft. Geschockt im Park: Verena Altenberger.
Moritz Bleibtreu (Verleger) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm/Klaus Pichler
Moritz Bleibtreu gibt das Schandmaul des Innenministers
Murathan Muslu (Einsatzleiter), Gabriel Barylli (Profiler) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm/Ingo Pertramer
Neben Muslu als Einsatzleiter ist Gabriel Barylli als Profiler am Tatort
Zejhun Demirov (Junger Rumäne), Felix Römer (Der Buckel), Sophie Rois (Die Wilde), Christoph Krutzler (Der Rote) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm/Ingo Pertramer
Der verbrecherische Scherbengericht entscheidet über das Schicksal von „M“. Zweite von rechts: Sophie Rois als brachiale Halbweltkönigin
 André Pohl (Bonbonverkäufer) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm
Eine Szene wie aus „Twin Peaks“ – und deren gibt es nicht wenige in „M“
Michael Fuith (Lehrer) in der Serie "M – Eine Stadt sucht ihren Mörder
ORF/Superfilm/Ingo Pertramer
Der aufgehetzte Mob. Links im Vordergrund: Michael Fuith als Krakeeler, der selbst unter Verdacht gerät.

Das weiß getünchte Wien

Man hat das Gefühl, sich durch einen ganzen Tross an Figuren durchzuarbeiten, die in dysfunktionalen Beziehungen feststecken, unter ihrer Sexualität leiden, von der Gesellschaft ausgespien wurden. Afghanische Flüchtlinge, rassistische Modernisierungsverlierer, bettelnde Roma und ganz einfach Verlierer im psychischen Alltagskleinkrieg, sie alle suchen den Mörder, sind gleichzeitig Opfer und Täter, so etwas wie Unschuld gibt es nicht mehr.

Das Schandmaul als Philosoph

Der Zynismus seiner medial-politischen Philosophie hat auf Moritz Bleibtreus Figur fast erotische Wirkung.

Beeindruckend sind dazu die Bilder von Martin Gschlacht und auch das, was in der Postproduktion geleistet wurde. Wien, weiß getüncht, winterlich, im Kontrast zum schwarzen Himmel, traurige Luftballongesichter, die Altbaufassaden entlanggleiten – das Märchenhafte, das der Geschichte schon rein inhaltlich anhaftet, wird hier verstärkt, ohne oppressiv zu werden (herausragend auch die Lichtgestaltung von Werner Stibitz).

Das Lied vom Tod

Der Clown pfeift es, Polizisten pfeifen es, Kinder pfeifen es: das Lied vom Tod. Wer auch immer den Ohrwurm in die Welt gesetzt hat, ist „M“.

All das sagt aber noch wenig darüber aus, was den Reiz der Serie ausmacht. Der lebt von der Mischung all dessen – und die wird nicht zuletzt vom Sound und der Musik zusammengekleistert. Dorit Chrysler zeichnet für den beklemmenden Soundtrack verantwortlich, Odo Grötschnig für den Ton. Gschlachts Bilder, Chryslers Sound, Schalkos und Romens wilde Fantasie zur historischen Vorlage und die genannte Schauspielerriege: All das macht die „Twin Peaks“-Stimmung aus, von der die Miniserie lebt.