Bela B. (ja, der von den Ärzten) als anämischer Esoterikapostel, Sophie Rois als saubrutale Unterweltkönigin mit Harry-Potter-Zauberstab, Verena Altenberger (der Star aus „Die beste aller Welten“) als verzweifelte Mutter, Lars Eidinger als ihr übel gelaunter, betrügerischer Ehemann, Murathan Muslu als knallharter Einsatzleiter, Moritz Bleibtreu als diabolischer Einflüsterer des Innenministers, Udo Kier als Weirdo im Fuchspelzmantel – ein Team, gecastet von Eva Roth, für das man eine abgenutzte Vokabel bemühen muss: kultig.
Aber was macht Schalko daraus? Zunächst einmal bewegt er sich recht nah am Original – und tut gut daran. Lang hatte sich Zeit gelassen und gleich mehrere Genres bedient: Sozialdrama, beißenden Kommentar auf die herrschenden Verhältnisse, Thriller und absurdes Theater. All diese Elemente finden sich auch in Schalkos Version wieder, versetzt vom Berlin der frühen 30er Jahre ins Wien der Gegenwart.
Das weiß getünchte Wien
Wien wird zum Mystery-Tatort, zur Märchenlandschaft, in der die Vergänglichkeit allgegenwärtig und keine Figur zu schräg ist.
Narziss und Schandmaul
Da gibt es einen feschen, jungen Slim-Fit-Kanzleranwärter (Dominik Maringer), der sich noch mit dem Amt des Innenministers zufriedengeben muss, aber ständig Vorarbeit für den nächsten Karriereschritt leistet. Als ein totes Kind nach dem anderen auftaucht, weiß er das geschickt für sich zu nutzen. Schalko und Evi Romen, die gemeinsam das Drehbuch geschrieben haben, verwoben Zitate und Paraphrasen aus der heimischen Innenpolitik in die Dialoge – bis hin zur Aussage des Ministers, dass er keine Angst habe, Fotos von toten Kindern zu sehen.
Der Slim-Fit-Kanzleranwärter steht nackt vor dem imperialen Spiegel in seinem Büro und plant die Machtübernahme, Ausnahmezustand inklusive. Narziss tritt hier nicht mit Goldmund auf, sondern mit einem Schandmaul an seiner Seite. Bleibtreus Figur ist sein Zuflüsterer, Kompagnon, Spin Doktor – und Chefredakteur des erfolgreichsten Krachboulevardblatts im Lande.
Der vom Verbrechen profitiert
Der Slim-Fit-Kanzleranwärter ist – noch – Innenminister und versucht aus den Kindermorden politisches Kleingeld zu schlagen.
TV-Hinweis
„M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ läuft in ORF eins. Die Sendetermine: 17., 20. und 22. Februar, jeweils 20.15 und 21.00 Uhr.
Nonchalant kreischen und schlägern
Derweilen mühen sich die Ermittler ab, dem Täter auf die Spur zu kommen, doch das ist alles andere als trivial. In sämtlichen Opferfamilien gibt es mögliche Hinweise und Motive, nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Und eine ganze Reihe von mysteriösen Figuren bevölkert das Wien rund um die Tatorte. Der junge Mann mit Behinderung im Clownkostüm; Udo Kier, der ständig fotografiert – und zunächst weiß keiner, warum; Bela B. mit seinen Weissagungen: Jeder könnte M., der Mörder, sein.
Und tatsächlich, getrieben vom Innenminister und seinem Schandmaul, sucht die ganze Stadt einen Mörder. Wie bei Lang beteiligt sich auch hier die Unterwelt rege – damit wieder Ruhe einkehrt und sie ungehindert ihren Geschäften nachgehen kann. Dass Rois schrille Rollen spielen kann, hat sie schon mehrfach bewiesen. Aber hier übertrifft sie sich selbst. So nonchalant kreischen und schlägern, das macht ihr so schnell niemand nach.
Das weiß getünchte Wien
Man hat das Gefühl, sich durch einen ganzen Tross an Figuren durchzuarbeiten, die in dysfunktionalen Beziehungen feststecken, unter ihrer Sexualität leiden, von der Gesellschaft ausgespien wurden. Afghanische Flüchtlinge, rassistische Modernisierungsverlierer, bettelnde Roma und ganz einfach Verlierer im psychischen Alltagskleinkrieg, sie alle suchen den Mörder, sind gleichzeitig Opfer und Täter, so etwas wie Unschuld gibt es nicht mehr.
Das Schandmaul als Philosoph
Der Zynismus seiner medial-politischen Philosophie hat auf Moritz Bleibtreus Figur fast erotische Wirkung.
Beeindruckend sind dazu die Bilder von Martin Gschlacht und auch das, was in der Postproduktion geleistet wurde. Wien, weiß getüncht, winterlich, im Kontrast zum schwarzen Himmel, traurige Luftballongesichter, die Altbaufassaden entlanggleiten – das Märchenhafte, das der Geschichte schon rein inhaltlich anhaftet, wird hier verstärkt, ohne oppressiv zu werden (herausragend auch die Lichtgestaltung von Werner Stibitz).
Das Lied vom Tod
Der Clown pfeift es, Polizisten pfeifen es, Kinder pfeifen es: das Lied vom Tod. Wer auch immer den Ohrwurm in die Welt gesetzt hat, ist „M“.
All das sagt aber noch wenig darüber aus, was den Reiz der Serie ausmacht. Der lebt von der Mischung all dessen – und die wird nicht zuletzt vom Sound und der Musik zusammengekleistert. Dorit Chrysler zeichnet für den beklemmenden Soundtrack verantwortlich, Odo Grötschnig für den Ton. Gschlachts Bilder, Chryslers Sound, Schalkos und Romens wilde Fantasie zur historischen Vorlage und die genannte Schauspielerriege: All das macht die „Twin Peaks“-Stimmung aus, von der die Miniserie lebt.