Federica Mogherini
AP/Francisco Seco
IS-Kämpfer zurücknehmen

EU überlässt Staaten die Entscheidung

Nach der Forderung von US-Präsident Donald Trump, dass europäische Staaten Hunderte Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zurücknehmen sollen, wird es vonseiten der EU keine gemeinsame Linie geben. Die Entscheidung sei „nationale Kompetenz“, so EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Montag.

Die EU könne zwar Hilfe bei Überlegungen „für eine abgestimmte Antwort“ leisten, „aber die Entscheidung wird nicht auf europäischer Ebene getroffen“. Das sagte Mogherini im Anschluss an das EU-Außenministertreffen in Brüssel. Viele Mitgliedsstaaten zeigten sich von Trumps Vorstoß wenig angetan.

Konkret forderte Trump in seiner Nachricht auf dem Kurznachrichtendienst Twitter von Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien, mehr als 800 im Norden Syriens gefangene Kämpfer aufzunehmen. Andernfalls müsse man sie freilassen, so Trump.

Kurz will jeden Einzelfall prüfen lassen

Im Anschluss an das Ministertreffen bekräftigen einzelne Mitgliedsstaaten ihre Position. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich zurückhaltend, was die Rücknahme anbelangt: „Ich sehe das wie Frankreich, Dänemark und die Briten. Nämlich, dass der Schutz unserer eigenen Bevölkerung oberste Priorität hat, insbesondere vor Personen, die sich schwerer Straftaten schuldig gemacht haben“, sagte Kurz der „Kleinen Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe). Gleichzeitig sagte er, dass es „insgesamt nur wenige Fälle“ gebe. „Wir werden mit den zuständigen Ressorts gemeinsam jeden Einzelfall prüfen“, sagte er.

Schaltung nach Washington und Kairo

Hannelore Veit (Washington) und Karim El-Gawhari (Kairo) analysieren die Situation rund um die gefangenen IS-Kämpfer europäischer Herkunft.

FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl zeigte sich überrascht, dass andere Staaten auf die Rücknahme nicht vorbereitet schienen. „Ich verstehe diese Unvorbereitetheit eigentlich nicht ganz“, sagte sie. In Österreich habe sie ihr bekannte Fälle „im Sinne der konsularischen Schutzpflicht“ bereits zu „prioritären Dossiers“ gemacht.

Obwexer: Staatsbürger müssen zurückgenommen werden

Vom juristischen Standpunkt aus scheint die Sache klar: Walter Obwexer, Völkerrechtsexperte der Universität Innsbruck, sagte am Montag: „Österreich ist verpflichtet, eigene Staatsbürger, die zurückkehren wollen, auch zurückzunehmen.“ Es sei ihnen Einreise und Aufenthalt zu gewähren, egal ob es sich um mutmaßliche oder tatsächliche IS-Kämpfer handeln sollte. Das resultiere aus der Staatsbürgerschaft.

Österreich habe nach Ansicht des Experten keine Möglichkeit, den Kämpfern die Staatsbürgerschaft aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation abzuerkennen. Österreich wird diesen Personen im Falle einer Rückkehr den Prozess machen müssen. Es gebe zwei Anknüpfungsprinzipien für eine Bestrafung. Nach dem Territorialitätsprinzip werden Personen in dem Land zur Verantwortung gezogen, in dem die Straftat begangen wurde. Nach dem Personalitätsprinzip werden Personen in dem Land bestraft, dessen Staatsbürger sie sind. Wobei man wegen derselben Straftat nur einmal bestraft werden könne – also nicht etwa in einem Krisenstaat und dann noch einmal in Österreich.

18 Haftbefehle gegen deutsche IS-Kämpfer

Für Deutschlands Außenminister Heiko Maas sei die Frage der IS-Rückkehrer „schwierig“. Es ginge nicht nur um das Recht auf Wiedereinreise, sondern auch um „Sicherheitsgesichtspunkte“. Schon im Vorfeld des Treffens sagte er: „So einfach, wie man sich das in Amerika vorstellt, ist es (…) sicherlich nicht.“

Laut einem Bericht von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR vom Montag bereiten sich die deutschen Sicherheitsbehörden aber bereits seit Längerem darauf vor, im Nahen Osten inhaftierte IS-Kämpfer in Deutschland strafrechtlich zu verfolgen. Bisher seien 18 Haftbefehle erlassen worden. Nach Zählung der Behörden seien in Syrien, dem Irak und der Türkei 42 Islamisten in Gewahrsam, die nur oder auch eine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. 17 seien bereits als Gefährder eingestuft.

Frankreich und Dänemark lehnen Rücknahme ab

Aus einzelnen Ländern kamen umgehend Absagen an Trumps Forderung. Frankreich positionierte sich am Montag bereits im Vorfeld des Treffens: Man wolle keine französischen IS-Kämpfer aus Syrien einreisen lassen. „Wir ändern unsere Politik derzeit nicht“, sagte Justizministerin Nicole Belloubet dem TV-Sender France 2. Frankreich lehnt die Einreise von IS-Kämpfern und ihren Frauen bisher strikt ab, Paris stuft diese als „Feinde“ Frankreichs ein. Ausnahmen gab es in Einzelfällen für Minderjährige.

Dänemark erteilte Trump noch am Sonntag eine Absage. Es sieht seinen Beitrag darin, ein Justizsystem in Syrien aufzubauen, das es ermöglicht, die Gefangenen dort vor ein ordentliches Gericht zu stellen. Das Problem ist allerdings, dass das Gros der Betroffenen die EU-Staatsbürgerschaft hat.

Asselborn warnt vor „Zerbrechen“ der USA-Beziehungen

Der Ton der Forderung des US-Präsidenten sorgte unterdessen für scharfe Kritik. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte gar vor einem „Zerbrechen“ der Beziehungen mit den USA. In einer Partnerschaft könne es keine „Befehlsgeber und Befehlsempfänger“ geben, so Asselborn. „Sonst zerbricht die Partnerschaft.“ Auch sei es ein Problem, dass Trump über Twitter Forderungen stelle, sagte der derzeit dienstälteste EU-Außenminister. „Twitter hin und her schicken, das hat keinen Sinn.“

Und auch Außenministerin Kneissl reagierte skeptisch. „Diese Ankündigung von Trump kann ich nicht nachvollziehen“, so Kneissl in Brüssel. Es könne in niemandes Interesse sein, Kämpfer freizulassen, die zuvor unter großem Risiko von der internationalen Anti-IS-Allianz und den kurdischen Kämpfern gefangen genommen wurden. Kurz zuvor sagte sie, es sei in den Überlegungen jeder einzelnen Regierung, in klarer Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden zu handeln, das gelte auch für Österreich.

Knapp 100 „Foreign Fighters“ aus Österreich

Laut Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) befinden sich knapp 100 aus Österreich stammende „Foreign Fighters“ derzeit in Kriegsgebieten. Rund 30 Prozent davon besitzen auch die österreichische Staatsbürgerschaft.

IS-Rückkehrer für EU-Staaten ein Dilemma

Was vom IS bleibt, sind Hunderte inhaftierte Söldner, die sich aus Europa dem Dschihad angeschlossen haben.

Insgesamt sind dem Verfassungsschutz mit Anfang des Jahres 320 „aus Österreich stammende Personen" bekannt, die sich aktiv am Dschihad in Syrien und im Irak beteiligen oder beteiligen wollten. Rund 60 davon sind bisher in Syrien und dem Irak ums Leben gekommen, etwa 60 konnten bis Anfang 2019 an einer Ausreise gehindert werden. 90 "Foreign Fighters" seien bis Anfang 2019 nach Österreich zurückgekehrt.

IS-Rückkehrer schon länger Thema

Trumps Forderung erwischte die EU offenbar auf dem falschen Fuß, wenngleich sie nicht ganz überraschend gekommen sein dürfte. Die Frage, wie mit EU-Bürgern, die zum Kämpfen nach Syrien gingen, umgegangen werden soll, ist schon länger ein Thema. Auch in Österreich laufen Überlegungen, wie man damit umgehen soll, wie ein aktueller Fall einer jungen Wienerin zeigt – mehr dazu in wien.ORF.at.

Shamima Begum am Flughafen Gatwick
APA/AFP/Metropolitan Police
Begum bei der Ausreise 2015

Fall von Britin sorgt für Debatten

Besondere Brisanz hat das Thema auch in Großbritannien. Dort sorgt der Fall der Britin Shamima Begum für heftige Debatten. Sie hatte sich dem IS angeschlossen, will aber nun nach Großbritannien zurückkehren, nachdem sie vor Kurzem ihr drittes Kind zur Welt brachte. Die beiden ersten Kinder starben, offenbar an Unterernährung. Die Eltern der Frau hatten die Regierung in London um eine Rückkehrerlaubnis für ihre Tochter angefleht.

Der britische Innenminister Sajid Javid hatte sich ablehnend zu einer Rückkehr geäußert: „Meine Botschaft ist klar – falls jemand Terrororganisationen im Ausland unterstützt hat, werde ich nicht zögern, seine Rückkehr zu verhindern.“ Justizminister David Gauke betonte am Samstag aber, dass es bei einer Ablehnung des Rückkehrwunsches rechtliche Probleme geben könnte. Man dürfe Menschen nicht staatenlos machen, sagte er dem Sender Sky News. Ein Sprecher der britischen Premierministerin Theresa May sagte am Montag, den Dschihadisten solle dort der Prozess gemacht werden, wo sie ihre Verbrechen begangen hätten.

Letzte IS-Kämpfer umzingelt

Am Wochenende hatten kurdische Kämpfer nach eigenen Angaben die letzten verbliebenen IS-Kämpfer in dem Ort Baghus am Euphrat im Osten Syriens umzingelt. Mehr als 1.000 IS-Anhänger sollen laut US-Sender CNN von Syrien bereits in den Irak geflohen sein. Dabei könnten sie bis zu 200 Millionen US-Dollar in bar dabeigehabt haben, berichtete CNN am Montag unter Berufung auf nicht näher genannte Vertreter des US-Militärs.

Der IS hatte 2014 den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Damals kontrollierten die Dschihadisten ein Gebiet, das sich über große Teile Syriens und des Irak erstreckte. Mittlerweile sind IS-Anhänger auch in anderen Ländern aktiv, etwa in Libyen und Afghanistan.

Kurden bitten Europa um Unterstützung

Die syrischen Kurden riefen Europa auf, sie nach dem absehbaren Ende des Kampfes gegen den IS nicht im Stich zu lassen und sie gegen die Türkei zu beschützen. „Diese Länder haben eine politische und moralische Verpflichtung“, sagte der einflussreiche Kurdenvertreter Aldar Chalil in Paris.

Die inhaftierten IS-Kämpfer wolle man unterdessen nicht ziehen lassen. Abdulkarim Omar, ein ranghoher Vertreter der Kurden, bezeichnete die Häftlinge am Montag als „Zeitbomben“. Zugleich appellierte er aber an die Heimatstaaten, sich für ihre Staatsbürger verantwortlich zu zeigen. Nach Angaben Omars sitzen allein im kurdisch kontrollierten Nordsyrien 800 ausländische IS-Kämpfer ein. Hinzu kämen 700 Ehefrauen und 1.500 Kinder, die in Flüchtlingslagern untergebracht seien.