„Der Wiener Camera-Club war der erste Amateurfotografenclub der Monarchie“, sagt Astrid Mahler, die Kuratorin der im Photoinstitut Bonartes in Wien zu sehenden Ausstellung, im Gespräch mit ORF.at über das Pionierhafte des Clubs. Ein Hobby, das in erster Linie eine Frage des Geldes war. Mahler: „Fotografie als Freizeitbeschäftigung konnte sich im 19. Jahrhundert vor allem das Großbürgertum und der Adel leisten.“
Dementsprechend haben dem Verein, der im Laufe seines Bestehens internationale Bekanntheit erlangte, die mitunter vermögendsten Personen der Monarchie angehört, die die Beschäftigung mit dem neuen Medium auch als Distinktionsgewinn innerhalb der Elite verstanden haben. Der Großindustrielle Philipp von Schoeller war im Club ebenso aktiv wie Albert und Nathaniel von Rothschild und auch Mitglieder der Familie Esterhazy. Der 1887 gegründete Verein wurde bald als Millionärsclub bezeichnet. Zentrales Merkmal war die Exklusivität.
Die Lust am Experiment
„Die Clubmitglieder haben Fotografie als sportliches Vergnügen aufgefasst, ähnlich den damals ebenfalls exklusiven Radfahr- und Eislaufvereinen“, erklärt Mahler. Doch auch das technische Interesse hatte eine große Rolle gespielt, und insbesondere herrschte ein hoher ästhetischer Anspruch. „Der Camera-Club wollte die Fotografie als Kunst etablieren. Die Mitglieder strebten nach Anerkennung im künstlerischen Milieu, was letztlich auch gelungen ist.“
Ausstellungshinweis
„Liebhaberei der Millionäre. Der Wiener Camera-Club um 1900“, bis 10. Mai, Photoinstitut Bonartes, Seilerstätte 22, 1010 Wien.
So hat es der Camera-Club im Lauf seines Bestehens zu prominenten Ausstellungen gebracht, wie etwa in der Wiener Secession. Dabei behilflich war die enorme technische Innovationsgeschwindigkeit, die eine Vielzahl an Experimenten mit dem neuen Medium ermöglicht hatte, was durch die große Nähe zur Fotoindustrie beflügelt wurde. Die Aufnahmen waren von sehr effektvollen Zugängen geprägt.
Verfremdung als Stilmittel
Mahler: „Typisch war etwa die Weichzeichner-Ästhetik. Damals wurden erstmals Linsen entwickelt, die bereits mit der Aufnahme eine Unschärfe erzeugt haben.“ Aber auch die Entwicklung des Gummidrucks war für die Arbeiten des Wiener Camera-Clubs prägend. „Die Technik lässt Fotos wie Grafiken oder Holzschnitte wirken und erzielte damit eine große dekorative Wirkung. Aufgrund der besonderen Herstellungsweise war jeder Abzug ein Unikat.“ Die Ausstellung „Liebhaberei der Millionäre. Der Wiener Camera-Club um 1900“, zu der auch ein gleichnamiges Buch erschienen ist, trägt diesem Phänomen der Wiener Jahrhunderte nun umfassend Rechnung und bietet bemerkenswerte Einblicke hinsichtlich Gesellschaft und Zeit.
Pioniere der Momentaufnahme
Davon zeugen insbesondere die in der Ausstellung zu sehenden fotografischen Momentaufnahmen – Motive, die in der konventionellen Fotografie jener Zeit kein Thema waren. Doch die Elite hatte sichtlichen Spaß daran, außergewöhnliche Augenblicke festzuhalten.
Im richtigen Augenblick abgedrückt hat etwa Camera-Club-Mitglied Karl Dragutin Graf Draskovic anno 1895: Das Bild zeigt ein Familienmitglied des ungarischen Magnatengeschlechts Erdödy bei einem kraftvollen Sprung über eine Sitzbank. Der fotografierte Mann trägt trotz des sportiven Akts Anzug und Hut. Sein Blick ist in die Kamera gerichtet. Eine Aufnahme, die allen heutigen Social-Media-Regeln gerecht wird. Viele der Bilder verdeutlichen eindrücklich, wie es sich auf die Fotografie auswirkt, wenn weder Zeit, Geld noch Konventionen eine Rolle spielen.
Abseits des Gewöhnlichen
Abseits jeglicher Norm der damaligen Zeit sind insbesondere die Mikroaufnahmen von Hugo Hinterberger: Eine dieser Arbeiten aus dem Jahr 1902 bildet in starker Vergrößerung die Strukturen von Senfpflanzen und Schleifblumen ab, die während des Entwickelns zusätzlich verfremdet wurden, was abstrakte Muster erzeugt. Verpönt war das Gewöhnliche. In den Publikationen des Vereins ist daher immer wieder die Rede von „Provinzphotographen“, von denen man sich abheben wolle.
Buchhinweis
Astrid Mahler: Liebhaberei der Millionäre. Der Wiener Camera-Club um 1900. Fotohof Edition, 144 Seiten, 19,90 Euro.
Hugo Henneberg, der neben Heinrich Kühn, Friedrich Victor Spitzer und Hans Watzek zu den wichtigsten Mitgliedern des Clubs gezählt hat, wählte mitunter einen romantischen und im wahrsten Sinn des Wortes höchst malerischen Zugang für seine Art des Fotografierens – wie etwa die Aufnahme eines Teiches, auf dessen Wasseroberfläche sich eine Gruppe von Pappeln spiegelt. Henneberg hat auf ein Motiv und auf eine Verfremdung der Realität gesetzt, wie sie heute tagtäglich von Smartphone-Fotografen mittels digitaler Filter millionenfach praktiziert wird.
Vom guten Leben bis zum Elend
Die Bandbreite der fotografischen Umtriebe der Elite wird aber auch in dokumentarischen Arbeiten, wie der Darstellung des sozialen Elends in einer romantisierten Art, deutlich. Im harten Kontrast dazu wurden genauso die gemeinsamen Reisen und Ausflüge der Clubmitglieder mit dem Anspruch auf Ästhetik festgehalten: von Bootstouren bis Schlittenfahrten. Auch Porträts von mitunter prominenten Zeitgenossen wie Gustav Klimt waren Thema. Sie drücken die Nähe zu den großen künstlerischen und geistigen Leistungen der Wiener Jahrhundertwende aus. Dementsprechend hat sich das Ende des Clubs gestaltet. Mahler: „Mit dem Ersten Weltkrieg ist auch das Vereinswesen des Wiener Camera-Clubs untergegangen.“