Ungarns Premierminister Viktor Orban EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
Reuters/Eric Vidal
Streit mit EVP

Orban als Stressfaktor für Konservative in EU

Die Attacken des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban auf die EU und da vor allem auf Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sind nicht neu. Doch wenige Monate vor der EU-Wahl wird die Auseinandersetzung offensichtlicher. Vor allem Europas Christdemokraten geraten unter Druck.

Denn Orbans rechtspopulistische FIDESZ ist nach wie vor Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP). Bisher sollte ein offener Bruch verhindert werden. Auch ein Sprecher der EU-Kommission verneinte kürzlich einen offenen Konflikt mit der rechtspopulistischen Regierung in Ungarn.

Doch nach jüngsten Provokationen Orbans deutet sich ein Kurswechsel an. Anfang der Woche präsentierte die ungarische Regierung ein Plakat, auf dem Juncker und der liberale US-Milliardär George Soros zu sehen sind. Als Botschaft wird vermittelt: Diese beiden wollen illegale Migration nach Ungarn fördern.

„Unzumutbare Belastung“

Juncker, der Orban bisher meist mit Zurückhaltung begegnete, wurde nach der jüngsten Provokation deutlicher: „Es gibt zwischen Herrn Orban und mir überhaupt keine Schnittmenge.“ Zugleich legte er der EVP einen Ausschluss Orbans nahe. Die Konservativen in Ungarn würden in keiner Weise christdemokratische Werte vertreten. „Also bin ich der Meinung, dass sein (Orbans, Anm.) Platz nicht in der Europäischen Volkspartei ist.“ Damit lehnte sich Juncker als Kommissionspräsident weit hinaus.

Ungarisches Regierungsplakat, auf dem Juncker und Soros zu sehen sind
APA/AFP/Attila Kisbenedek
Die jüngste Provokation der ungarischen Regierung gegenüber der EU

Auch Vertreter der EVP-Fraktion gingen auf Distanz zu Orban, verzichteten aber auf die direkte Forderung, FIDESZ aus der EVP auszuschließen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sicherte Juncker ihre volle Solidarität zu. Selbst CSU-Parteichef Markus Söder bezeichnete die jüngsten Äußerungen Orbans als „nicht akzeptabel“.

Als erster christdemokratischer Parteichef forderte der Vorsitzende der Christlich Sozialen Volkspartei (CSV) aus Luxemburg, Frank Engel, den Ausschluss von FIDESZ aus der EVP. Ein EU-Wahlkampf mit der Partei von Orban in der EVP wäre für alle eine „unzumutbare Belastung“, sagte Engel. Orbans Partei müsse „raus aus der EVP, und zwar jetzt gleich. So ein Verein hat in der EVP nichts verloren.“

„Indiskutable“ Entscheidungen

EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU), auch Spitzenkandidat der Fraktion für die EU-Wahl, forderte Orban zu einem Kurswechsel auf. „Viktor Orban muss seine Richtung ändern, die er dort praktiziert“, sagte Weber Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „maybrit illner“. Die Grundsatzfrage sei, „ob wir alle klar (dafür) sind“, die Grundwerte der Europäischen Union einzuhalten und durchzusetzen.

„Da gibt es für mich keinen Verhandlungsrabatt, auch nicht für den Viktor Orban, innerhalb der EVP oder außerhalb der EVP“, sagte der CSU-Vize, der im Herbst Kommissionschef werden möchte. In Ungarn seien „indiskutable“ Entscheidungen getroffen worden. „Deswegen gehen wir mit aller Härte gegen dieses Land vor.“ Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) sagte Weber, dass Orban erkennen müsse, „dass er sich derzeit immer weiter von der EVP entfernt“. Teile von Orbans Rede zur Lage der Nation sowie die jüngste Antimigrationskampagne gegen Juncker hätten „in der EVP großes Unverständnis und Verärgerung“ ausgelöst.

„FIDESZ entfernt sich derzeit von der EVP. Die EVP erwartet hier eine Änderung“, sagte am Freitag zudem ein Sprecher im Namen Webers und des Präsidenten Joseph Daul. Beide hätten deutlich gemacht, dass die Plakatkampagne nicht akzeptabel sei. „Dasselbe gilt für einige Aussagen des FIDESZ-Präsidenten in den vergangenen Wochen.“ Die EVP-Gremien würden bei nächster Gelegenheit darüber diskutieren. Einen Rauswurf aus der EVP forderten Weber und Daul nicht.

Webers Balanceakt

Der EVP-Fraktionschef will Juncker im Herbst als Kommissionschef nachfolgen. Entsprechend spielte Juncker Weber auch den Ball weiter, wie mit Orban umzugehen sei. Weber werde sich die Frage stellen müssen, ob er die FIDESZ-Stimmen überhaupt brauche, so Juncker. Denn diese Stimmen innerhalb der EVP-Fraktion könnten für Webers Wahl tatsächlich von großer Bedeutung sein.

EVP-Chef Manfred Weber
AP/Jean-Francois Badias
Für EVP-Chef Weber könnten die FIDESZ-Stimmen bei der Wahl zum Kommissionspräsidenten wichtig sein

Schon länger übt sich der Konservative daher in einem Balanceakt gegenüber Ungarn. Als einziger CSU-Abgeordneter stimmte er etwa bei der Abstimmung des EU-Parlaments für das Strafverfahren gegen Ungarn. Einen konkreten Ausschluss der FIDESZ aus der EVP-Fraktion forderte Weber bisher aber nicht. Das handelte ihm beim Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten für die Europawahl, Frans Timmermans, den Vorwurf ein, im Umgang mit Orban zu zögerlich zu sein.

Für die Wahl zum Kommissionspräsidenten brauche Weber die Unterstützung von drei, vier Fraktionen, sagte ein EVP-Vertreter gegenüber der AFP. Angesichts der starken Kritik von Liberalen und Grünen würde ein Verbleib der FIDESZ in der EVP schwierig sein. Dann könnten sich andere Allianzen bilden und Weber den Posten des Kommissionspräsidenten vermasseln, so der EVP-Repräsentant.

Elf FIDESZ-Abgeordnete bei EVP

Die ungarische Regierungspartei stellt in der EVP-Fraktion elf Abgeordnete. Dazu kommt ein Vertreter der ungarischen Christlich-Demokratischen Volkspartei, die mit FIDESZ verbündet ist. Ein Ausschluss kann von mindestens sieben EVP-Mitgliedsparteien aus mindestens fünf Ländern oder vom 16-köpfigen Parteivorstand, den zehn Strellvertretern und weiteren Funktionären beantragt werden.

In EVP-Kreisen heißt es, dass diese „kritische Masse von sieben Mitgliedsparteien“ erreicht sei. Parteien aus Skandinavien, den Benelux-Staaten und Polen seien dafür. Bisher gebe es aber noch keinen offiziellen Ausschlussantrag. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ging indes auch auf Distanz zu Orban. Die Formulierungen der Plakatkampagne halte er für „inakzeptabel“. Er forderte in seiner Stellungnahme, die der APA vorliegt, aber keinen FIDESZ-Ausschluss aus der EVP.

Orban zeigt sich unbeeindruckt von Kritik

In einem Interview mit dem staatlichen Rundfunk in Ungarn am Freitag gab sich Orban unbeeindruckt über die Kritik an ihm und seiner Aktion gegen Juncker: „Eine Kampagne wie diese entlarvt die Brüsseler Bürokraten. Die gegenwärtige migrationsfördernde Mehrheit in Brüssel will die Einwanderung steigern, was bedeuten würde, dass Europa nicht mehr den Europäern gehört.“

Für Anfang März ist eine außerordentliche EVP-Fraktionssitzung geplant. Dort soll die umstrittene Plakatkampagne diskutiert werden. Orban steht dafür bereits in den Startlöchern: „Das ist bestens und richtig, dann können wir wenigstens darüber sprechen, (…) was wir für Realität halten. (…) Hoppauf, wir sind bereit.“

Keine Gelegenheit zum „Märtyrer“ geben

In Ungarns „illiberaler Demokratie“, wie sie Orban selbst nennt, mit einer geschwächten Rechtsstaatlichkeit, einem von der Regierung dominierten Mediensystem und stark kontrollierten Universitäten gibt es zahlreiche Gründe, die einen Ausschluss der FIDESZ aus der EVP rechtfertigen würden.

Das werde aber wenig bewirken, sagen manche Beobachter. Orban wolle sich als „Märtyrer darstellen, als Opfer finsterer Mächte, die ihn aus dem Weg räumen, weil er sich gegen die Zerstörung europäischer Nationen“ wehre, kommentierte etwa Ulrich Ladurner in der „Zeit“. Mit Verschwörungstheorien könnten in Europa Massen mobilisiert werden. Daher solle man Orban nicht die Gelegenheit geben, „sich zum gesamteuropäischen Märtyrer zu stilisieren“, meinte Ladurner. Stattdessen solle man ihn „ächten“ – also etwa direkt zu den Ungarn und Ungarinnen sprechen, Orban „die große Bühne verwehren“ und finanzielle Konsequenzen ziehen.