Lastwagen mit Hilfsgütern nahe der Grenze
Reuters/Marco Bello
Venezuela

Showdown an der Grenze

Der venezolanische Machtkampf hat sich endgültig an die Grenzen des Landes verlagert. Laut dem selbst ernannten Übergangspräsidenten Juan Guaido ist mittlerweile eine erste Hilfslieferung aus dem Ausland eingetroffen. Doch der Transport wurde von Venezuelas Armee gestoppt. Bei Auseinandersetzungen an der Grenze gab es mehrere Verletzte, laut einer NGO auch Tote.

Eine Lieferung mit Hilfsgütern sei aus Brasilien über die Grenze nach Venezuela gelangt, teilte Guaido am Samstag via Twitter mit. „Das ist ein großer Erfolg, Venezuela!“, schrieb Guaido. TV-Bilder zeigten jedoch, dass das nicht stimmte.

Vier Lastwagen mit Hilfsgütern für die notleidende Bevölkerung Venezuelas durchbrachen offenbar am Samstag eine Barriere auf einer Brücke in der kolumbianischen Grenzstadt Cucuta. Sicherheitskräfte des Staatschefs Nicolas Maduro stoppten den Konvoi allerdings am Ende der Brücke, indem sie mit Tränengas und Gummigeschossen schossen. Rund 100 Menschen wurden dabei verletzt, wie CNN en Espanol unter Berufung auf örtliche Kliniken berichtete. Drei der Lastwagen gerieten Berichten zufolge aus zunächst ungeklärter Ursache in Brand.

Zusammenstöße in anderen Grenzstädten

Bei gewaltsamen Zusammenstößen an der Grenze zwischen Venezuela und Brasilien wurden nach Angaben einer Nichtregierungsorganisation mindestens zwei Menschen getötet, darunter ein 14-jähriger Bursche. Beide seien durch Schüsse der venezolanischen Armee in Santa Elena de Uairen gestorben, sagte der Sprecher von Foro Penal, Olnar Ortiz, am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. 31 weitere Menschen seien verletzt worden.

Auch an der Grenze zu Kolumbien gab es – neben Cucuta – in einer weiteren venezolanischen Grenzstadt gewaltsame Zusammenstöße zwischen der Armee und Demonstranten. Diese wollten die Grenze nach Kolumbien passieren und Hilfsgüter nach Venezuela holen.

Die Soldaten hinderten im westvenezolanischen San Antonio del Tachira Hunderte Demonstranten mit Tränengas daran, auf die Simon-Bolivar-Brücke an der Grenze zu Kolumbien gelangen. Auch an der Brücke zwischen der venezolanischen Stadt Urena und dem kolumbianischen Nachbarort Cucuta drängte die Armee Hunderte Menschen zurück. Auf Geheiß von Guaido setzten sich in Cucuta mindestens zehn Lastwagen mit jeweils knapp 20 Tonnen Hilfsgütern in Bewegung.

Lastwagen mit Hilfsgütern nahe der Grenze
AP/Fernando Vergara
Ein Teil des Hilfskonvois in Cucuta an der Grenze zu Venezuela

Maduro bricht Beziehungen zu Kolumbien ab

Venezuelas umstrittener Staatschef Nicolas Maduro verkündete am Samstag den Abbruch aller diplomatischer Beziehungen zu Kolumbien. Bei einer Kundgebung in der Hauptstadt Caracas kritisierte Maduro, die „faschistische Regierung von Kolumbien“ habe die von Guaido initiierten Hilfslieferungen nach Venezuela aktiv unterstützt. Deswegen müssten alle diplomatischen Vertreter des Nachbarlandes Venezuela binnen 24 Stunden verlassen, sagte Maduro.

Kolumbiens Staatschef Ivan Duque forderte die freie Einfuhr von Hilfsgütern. Die Blockade der Transporte sei ein „Attentat gegen die Menschenrechte“, sagte Duque in Cccuta auf einer Pressekonferenz mit Guaido und dem chilenischen Präsidenten Sebastian Pinera.

Gros der Hilfsmittel in Cucuta

Wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichteten, trafen im Zentrum von San Antonio del Tachira bewaffnete Männer auf Motorrädern ein. Es waren Schüsse zu hören. Der inzwischen von mehr als 50 Ländern anerkannte Interimspräsident Guaido hatte die Hilfslieferungen vorab für den Samstag angekündigt. Die meisten Hilfsgüter stehen in Cucuta bereit. Die Lebensmittel und Medikamente sollen von Tausenden Freiwilligen an bedürftige Venezolaner verteilt werden. In dem südamerikanischen Land herrscht trotz seines Ölreichtums eine Wirtschaftskrise mit akuten Versorgungsengpässen.

Maduro lehnt die Hilfslieferungen strikt ab. Er prangert sie als Vorwand an, unter dem eine militärische US-Invasion vorbereitet werden solle. Am Freitag schloss seine Regierung große Teile der Grenze zu Kolumbien, nachdem Guaido trotz eines Ausreiseverbots ein Benefizkonzert auf der kolumbianischen Seite der Grenze besucht hatte.

Demonstration in Venezuela
APA/AFP/Matias Delacroix
Der Machtkampf findet ganz entscheidend auf der Straße statt: Anhänger von Guaido gehen in Caracas auf die Straße

Konzert als Start zu Spendenkampagne

Hunderttausende Menschen hatten zuvor im kolumbianischen Grenzort Cucuta bei „Venezuela Aid Live“ bekannten lateinamerikanischen Künstlern wie Luis Fonsi, Juanes, Maluma und Paulina Rubio zugejubelt. Mit dem Konzert, an dem auch Guaido teilnahm, wollten der britische Milliardär Richard Branson und die venezolanische Opposition den Startschuss zu einer Spendenkampagne geben, um innerhalb von 60 Tagen bis zu 100 Millionen Dollar (88,30 Mio. Euro) für die humanitäre Hilfe einzusammeln.

Auf der venezolanischen Seite hielten regierungstreue Musiker bei einem Gegenkonzert dagegen und forderten „Hände weg von Venezuela“. Der Regierungsfunktionär Freddy Bernal sagte: „Alle Künstler auf der Bühne werden der Welt sagen, dass Venezuela frei und unabhängig ist.“

Demonstration in Venezuela
APA/AFP/Yuri Cortez
Auch Anhänger Maduros demonstrieren in Caracas

Hilfsgüter könnten Machtkampf entscheiden

An den Hilfslieferungen könnte sich der seit Wochen tobende Machtkampf zwischen Maduro und seinem Gegenspieler Guaido entscheiden. Gelingt es dem selbst ernannten Interimspräsidenten tatsächlich, Lebensmittel, Medikamente und Hygieneartikel nach Venezuela zu schaffen und an die notleidende Bevölkerung zu verteilen, wäre das ein Coup. Gehen die Soldaten allerdings mit Gewalt gegen die Freiwilligen vor, könnte es Blutvergießen geben.

200 Tonnen an geschlossener Grenze zu Brasilien

Auch in Brasilien stehen zahlreiche Hilfsgüter bereit. Allerdings hat Maduro auch die Grenze zu diesem Nachbarn schließen lassen. Medienberichten zufolge verlegten die venezolanischen Streitkräfte Truppen und Panzer in die Region. Bei Zusammenstößen zwischen Soldaten und Angehörigen des indigenen Volkes der Pemon kamen am Freitag zwei Menschen ums Leben, rund ein Dutzend weitere wurden verletzt.

Trotz der Spannungen will Brasilien der notleidenden Bevölkerung in Venezuela fast 200 Tonnen an Grundnahrungsmitteln helfen. Die Güter stünden auf einem Militärstützpunkt in Boa Vista in dem an Venezuela grenzenden Teilstaat Roraima bereit, müssten aber von venezolanischen Lastwagen abgeholt werden, sagte Präsidentensprecher Otavio Rwgo Barros am Freitag in Brasilia auf einer Pressekonferenz nach einer Krisensitzung der Regierung. Geplant sei, dass die brasilianische Bundespolizei die Lastwagen bis zum brasilianischen Grenzort Pacaraima begleite. „Danach werden sie unter Verantwortung von Guaido fahren“, betonte er.

Der venezolanische Oppositionsführer Juan Guaido beim „Venezuela Aid Live“-Konzert
APA/AFP/Luis Robayo
Guaido beim Selfieaufnehmen im Bad in der Menge bei dem Benefizkonzert

US-Warnung an Maduro: Die Welt sieht zu

Washington warnte den Linkspolitiker Maduro und das venezolanische Militär vor Gewaltanwendung. In einer am Freitagabend verbreiteten Erklärung forderte das Weiße Haus die venezolanischen Soldaten auf, Hilfsgüter für das Volk ungehindert passieren zu lassen. „Die Welt sieht zu“, warnten die USA.

Benefizkonzert für Venezuela

Der Machtkampf in Venezuela geht weiter: Die Opposition versucht weiterhin Hilfsgüter ins Land zu holen, was der sozialistische Präsident Maduro bisher verhindert hat. In Kolumbien hat ein Hilfskonzert für das von der Krise erschütterte Nachbarland stattgefunden.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte die venezolanischen Sicherheitskräfte unterdessen auf, keine tödliche Gewalt gegen Demonstranten einzusetzen. Der venezolanische Außenminister Jorge Arreaza erklärte: „Das Militär wird niemals den Befehl erhalten, auf Zivilisten zu schießen. Es ist dazu da, unser Territorium gegen bewaffnete Angriffe zu verteidigen.“

Venezuela leidet unter einer schweren Wirtschafts- und Versorgungskrise. Aus Mangel an Devisen kann das einst reiche Land kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs einführen. Viele Menschen hungern, Infektionskrankheiten wie Malaria breiten sich wieder aus und über drei Millionen Venezolaner haben ihre Heimat bereits verlassen.