Vermeintliche IS-Kämpfer im Gewahrsam der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF)
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Streit um IS-Kämpfer

Syrische Kurden erhöhen Druck auf Europa

Angesichts Tausender ausländischer Dschihadisten in Syrien haben die kurdisch-arabischen Kräfte die westlichen Staaten aufgerufen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Damit steigt – nach der jüngsten Forderung von US-Präsident Donald Trump, der Druck auf die EU-Staaten weiter. Diese – darunter Österreich – wollen IS-Kämpfer trotz EU-Staatsbürgerschaft nicht zurücknehmen.

Der Sprecher der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Mustafa Bali, erklärte in der Nacht zum Sonntag, diese Last sei für die Kurden „bereits zu schwer“ und werde durch die Flucht der ausländischen Dschihadisten aus den „Ruinen des Kalifats“ noch schwerer. „Das ist die größte Herausforderung für uns – es sei denn, die Regierungen handeln und übernehmen die Verantwortung für ihre Staatsbürger“, so Bali über den Kurzbotschaftendienst Twitter.

Die SDF-Kämpfer bereiten seit Wochen eine Militäroffensive auf die letzte Bastion der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien vor, die sich im Osten im Dorf Baghus an der Grenze zum Irak befindet. Seit Mittwoch haben nach SDF-Angaben rund 5.000 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – die Region Baghus verlassen, wo sich die letzten IS-Kämpfer auf einer Fläche von weniger als einem halben Quadratkilometer verschanzt haben. Die von der US-geführten Anti-IS-Koalition unterstützten SDF zögern mit ihrer Offensive. Sie werfen den IS-Kämpfern vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.

Der Sprecher der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Mustafa Bali, mit einem Baby im Arm
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SDF-Sprecher Bali trägt das Baby einer Frau, die aus dem letzten IS-Rückzugsort Baghus flüchtete.

„Können nicht alle Kämpfer aufnehmen“

Auch der Außenbeauftragte der Kurden, Abdulkarim Omar, warf der internationalen Gemeinschaft vor, im Umgang mit den ausländischen IS-Kämpfern ihrer Verantwortung nicht gerecht zu werden. „Selbst unsere Gefängnisse können nicht alle Kämpfer aufnehmen“, sagte er.

Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“) zitierte Omar mit den Worten, die kurdische Verwaltung in Nordsyrien werde dort inhaftierte deutsche Dschihadisten nicht freilassen. „Wir werden mit den IS-Mitgliedern gemäß den internationalen Verträgen und Konventionen umgehen, und wir werden sie nicht freilassen“, sagte Omar der „FAS“. Es sei aber „die moralische und juristische Verantwortung“ Deutschlands und anderer Staaten, seine Staatsangehörigen zurückzuholen.

Ultimatum von Trump

US-Präsident Trump hatte die Europäer vor einer Woche aufgefordert, ihre von den Kurden inhaftierten rund 800 Staatsbürger zurückzunehmen, um ihnen in ihrer Heimat den Prozess zu machen. Sonst müssten die USA die Gefangenen freilassen, woraufhin damit zu rechnen sei, dass die Kämpfer nach Europa „eindringen“, schrieb der Präsident auf Twitter.

Auch IS-Kämpfer und -Anhängerinnen mit österreichischer Staatsbürgerschaft sind betroffen. Die ÖVP-FPÖ-Regierung will diese grundsätzlich nicht zurückholen. FPÖ-Innenminister Herbert Kickl sprach am Wochenende sogar von „tickenden Zeitbomben“. Kickl plädiert stattdessen dafür, Verfahren über ein an Ort und Stelle tätiges Tribunal des Strafgerichtshofs abzuhalten. Das müsste allerdings erst eingesetzt werden. Dafür ist wiederum ein Beschluss des UNO-Sicherheitsrats nötig. Die dafür nötige Zustimmung oder Enthaltung Russlands ist aber ungewiss.

CDU: Keine Rücknahme bei Doppelstaatsbürgern

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sagte der „Welt am Sonntag“, Deutschland sei in der Pflicht, seine eigenen Staatsangehörigen zurückzunehmen. „Wir erwarten Gleiches auch von anderen Staaten.“ Wenn sich diese Menschen schuldig gemacht hätten, müssten sie vor Gericht gestellt werden.

Für Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft forderte Ziemiak aber den Entzug des deutschen Passes. „Wer allerdings über eine doppelte Staatsbürgerschaft verfügt, die deutsche Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung erhalten und Verbrechen begangen hat, der sollte die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren.“

Die deutsche Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic widersprach derweil in der „Welt am Sonntag“ („WamS“) Überlegungen der USA, ausländische IS-Kämpfer in das US-Strafgefangenenlager Guantanamo zu bringen. Das sei „indiskutabel“. „Wir müssen das Unrecht des IS mit dem Recht, dem Rechtsstaat bekämpfen.“

Wichtige strategische Implikationen

Derzeit befinden sich viele der IS-Kämpfer mit EU-Staatsbürgerschaft in den Kurdengebieten. Die Kurden sind die wichtigste Widerstandsgruppe gegen Syriens Machthaber Baschar al-Assad. Sie sind derzeit schwer unter Druck und müssen versuchen, ein Arrangement mit dem Regime in Damaskus zu finden. Eine Destabilisierung ihrer Gebiete könnte, so befürchten Fachleute, vor allem in der Rojava-Region eine humanitäre Krise und eine weitere Fluchtbewegung in Richtung Europa auslösen.