Abschluss des Antimissbrauchsgipfels im Vatikan
APA/AFP/Giuseppe Lami
„Nur leere Worte“

Scharfe Kritik von Missbrauchsopfern

Missbrauchsopfer haben sich über die Rede des Papstes zum Ende des Kinderschutzgipfels im Vatikan schwer enttäuscht gezeigt. Konkrete Maßnahmen gibt es keine. Sie sprechen daher von „leeren Worten“. Kardinal Christoph Schönborn ortet dagegen einen „Qualitätssprung“.

Die Organisation End of Clergy Abuse, die während des Gipfeltreffens wiederholt auf dem Petersplatz demonstriert hatte, bemängelte, dass die Worte des Papstes nicht konkret genug seien. „Es sind nur leere Worte“, kritisierte ein Sprecher der Organisation.

Der Heilige Vater sei auch nicht auf die vom deutschen Kardinal Reinhard Marx eingebrachte Frage eines möglichen Verschwindens von Dossiers zu Kirchenmännern eingegangen, die für Missbrauch verantwortlich seien. Zudem kritisierten die Mitglieder der Organisation, dass der Papst sie nicht empfangen habe, wie sie seit Langem fordern.

„Die Kirche ist kein Opfer, sondern ein Täter“

Noch drastischer äußerte sich Francesco Zanardi, Präsident des italienischen Netzwerks von Missbrauchsopfern Rete l’abuso. „Wir sind empört, dieses Gipfeltreffen im Vatikan hätte zu einer Strategie der ‚Null Toleranz‘ gegen Kindesmissbrauch führen sollen. Die Bischöfe haben aber keine konkreten Schritte nach vorn gemacht. Ihre Glaubwürdigkeit ist null. Wir hätten uns mehr vom Papst erwartet: Die Kirche ist kein Opfer, sondern ein Täter“, so Zanardi.

„Wir hatten zwar keine großen Hoffnungen auf den Vatikan gesetzt, doch meiner Ansicht nach ist dieses Gipfeltreffen ein Schritt zurück. Wir werden weiterhin die Namen der Kirchenmänner veröffentlichen, die für Missbrauch verantwortlich sind. Wir haben es bereits getan, doch die Liste ist noch länger“, so Zanardi, der selbst als Teenager Opfer von Missbrauch durch einen Priester war.

Zanardi setzt sich für die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission nach dem Vorbild anderer Länder ein. Seine Organisation geht für Italien von mindestens 300 kirchlichen Tätern aus, die innerhalb der vergangenen 15 Jahre sexuelle Übergriffe verübt hätten.

Vertreter der Organisation „End of Clergy Abuse“ während der Papst-Rede
AP/Alessandra Tarantino
Missbrauchsopfer und Angehörige zeigen sich vom Ergebnis schwer enttäuscht.

„Pastorales Blabla“

Der Schweizer Jean-Marie Fürbringer, der wie viele andere auf dem Petersplatz das Ende der Konferenz abgewartet hatte, sagte, dem Teufel die Schuld zu geben, sei „pastorales Blabla“. Matthias Katsch vom deutschen Opferverband Eckiger Tisch schrieb im Onlinedienst Twitter, die Rede des Papstes sei „der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderung anzugehen“.

Die deutsche Justizministerin Katarina Barley (SPD) forderte die katholische Kirche auf, bei der Aufarbeitung der weltweit in zahlreichen Ländern registrierten Missbrauchsskandale umfassend mit der Justiz zusammenzuarbeiten.

Schönborn: „Gemeinsame Betroffenheit“

Kardinal Christoph Schönborn sprach dagegen am Sonntag von einem „Qualitätssprung in der Auseinandersetzung mit einem schweren, sehr belastenden Thema“. Das wichtigste Ergebnis der vier Tage ist für Schönborn laut eigenen Aussagen, dass es eine „gemeinsame Betroffenheit“ durch das direkte Hören und Sehen von Missbrauchsbetroffenen gegeben habe. Als direkte Folge daraus sei die Überzeugung nach der „Verbindlichkeit gemeinsamen Handelns“ klar geworden.

„Es geht dem Papst um weltweit verbindliche Standards. Aber wir brauchen nicht nur diese Standards, sondern auch deren Überprüfung“, betonte der Kardinal. Das dritte Hauptthema sei die Prävention gewesen: „Was wird getan, dass so etwas künftig nicht mehr geschieht.“ Dabei erwartet der Kardinal konkrete Vorschläge mit Blick auf die Einhaltung der weltkirchlich verbindlichen Standards im Kampf gegen Missbrauch – mehr dazu in religion.ORF.at.

Papst wird eigenem Anspruch nicht gerecht

Franziskus hatte die viertägige Konferenz am Donnerstag mit einem Ruf nach „konkreten und wirksamen Maßnahmen“ gegen sexuellen Missbrauch eröffnet und als Diskussionsgrundlage einen 21-Punkte-Plan vorgelegt. Er empfahl unter anderem, die Polizei einzuschalten, verpflichtende Verhaltensregeln für Priester aufzustellen und einen Leitfaden für den Umgang mit Verdachtsfällen zu erarbeiten.

In seiner Abschlussrede kündigte der Papst nun aber keine konkreten Maßnahmen an. Er verwies auf Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Schutz von Kindern, an denen sich die katholische Kirche orientieren wolle. Wenn die Kirche auf ihrem „gesetzgeberischen Weg“ diesen Leitlinien folge, müsse sie sich auf Aspekte wie Kinderschutz, die Auswahl und Ausbildung von angehenden Priestern und die Begleitung von Betroffenen konzentrieren, sagte der Papst. Der Vatikan teilte am Sonntag mit, ein „Motu proprio“, also eine Art kirchenrechtliche Entscheidung des Papstes, soll in „unmittelbarer Zukunft“ zum Schutz von Minderjährigen verkündet werden.

Abschluss des Antimissbrauchsgipfels im Vatikan
APA/AFP/Giuseppe Lami
In der prunkvollen Sala Regia wurde das Treffen abgeschlossen. Der Klerus war in der liturgischen Farbe der Hoffnung gekleidet.

Zentrale Forderung von Opfern ignoriert

Missbrauch verglich der Papst in seiner Rede mit dem heidnischen Ritual, Menschen zu opfern. Es gebe keine ausreichenden Erklärungen für Missbrauch von Kindern, meinte der Papst. Für viele Kritiker gibt es allerdings schon Erklärungen: die Machtstruktur, die klüngelden Männerbünde in der Kirche, die fehlende Einbeziehung von Laien, Frauen und Nichtklerikern bei den Ermittlungen oder die oft institutionalisierte Geheimhaltung, die Vertuschung begünstigt. Wenn überhaupt, streift der Papst diese Themen. Auch spricht er die zentrale Forderung vieler Opfer nicht an, schuldige Priester umgehend aus dem Klerikerstand zu entlassen.