Viggo Mortenssen und Mahershala Ali
2019 eOne Germany
Oscars

Der ungeliebte Überraschungssieger

Es ist die große Überraschung der Oscar-Nacht gewesen: In der Königskategorie „Bester Film“ ging die Trophäe an die Tragikomödie „Green Book“. US-Medien kritisierten die Wahl der Oscar-Academy, Oscar-Gewinner Spike Lee („BlacKkKlansman“) drehte Regisseur Peter Farrelly und dessen Team bei der Trophäenübergabe den Rücken zu.

„Green Book“ erzählt die Geschichte eines schwarzen Klaviervirtuosen und seines ursprünglich rassistischen weißen Fahrers in den USA der 1960er Jahre. Die Geschichte basiert auf wahren Begebenheiten. Der Film wurde vor allem für die Leistung seiner Hauptdarsteller Viggo Mortensen und Mahershala Ali gelobt. Ali gewann für seine Darstellung den Oscar als bester Nebendarsteller.

Dass in einem Film, der die Rassendiskriminierung in den USA zum Thema hat, die afroamerikanische Figur die Nebenrolle spielt, sorgte in vielen US-Medien schon beim Kinostart des Films für Kritik – mehr dazu in fm4.ORF.at. Ali spielt den Pianisten Don Shirley, der mit seinem Fahrer auf eine Tournee durch die US-Südstaaten reist. „Das Drehbuch macht Shirley zu einem Schwarzen, der thematisch seine Form verändert, um die Geschichte attraktiv für ein weißes Publikum zu machen – und das ist unentschuldbar“, schrieb ein Filmkritiker der „New York Times“.

Regisseur Peter Farrelly mit einem Oscar
APA/AFP/Matt Petit
Farrelly mit seinem Oscar für „Green Book“

„Sinfonie von Lügen“

Andere Medien bezeichneten „Green Book“ als schlechtesten Gewinnerfilm seit „Crash“ im Jahr 2005. Regisseur Lee, der mit dem Oscar für das beste adaptierte Drehbuch ausgezeichnet wurde, tat seinen Unmut bereits während der Trophäenvergabe kund: Als „Green Book“ zum Gewinner in der Königskategorie erklärt wurde, stürmte der Filmemacher aus dem Saal. Wenig später kehrte er auf seinen Platz zurück, drehte der Bühne aber während Farrellys Dankesrede demonstrativ den Rücken zu. Später sagte er sinngemäß, die Entscheidung erinnere ihn an einen Fehlpfiff beim Basketball.

Regisseur Spike Lee mit einem Oscar
APA/AFP/Frederic J. Brown
Regisseur Lee machte seinem Unmut noch während der Zeremonie Luft

Auf der Bühne bedankte sich Farrelly bei seinem Team, während Ali in seiner Rede an seine Großmutter erinnerte, die ihn immer zum Weitermachen ermutigt habe. Zudem bedankte sich der Schauspieler bei Shirley. Ali ist nach Denzel Washington erst der zweite afroamerikanische Schauspieler, der zwei Oscars gewann. Shirleys Familie hatte den Film im Vorfeld der Oscars in deutlichen Worten kritisiert – er sei eine „Sinfonie von Lügen“.

Die Netflix-Festpiele

Im Vorfeld war mit Spannung erwartet worden, ob der Netflix-Film „Roma“ groß abräumen würde – und so war es, auch wenn es nicht der beste Film wurde. Regisseur Alfonso Cuaron wurde in den Kategorien „Beste Regie“ und „Beste Kamera“ ausgezeichnet, „Roma“ wurde bester fremdsprachiger Film. Cuaron bedankte sich besonders bei seinem Vorbild, dem mexikanischen Kameramann Emmanuel Lubezki – und bei seinem Heimatland. Von seinem Team hob Cuaron vor allem Hauptdarstellerin Yalitza Aparicio hervor.

In seiner Dankesrede wies er auf 70 Millionen Hausangestellte weltweit hin, die bis heute kaum Rechte hätten. Der Job von Filmemachern sei es, dorthin zu schauen, wo andere wegschauen. Auf Spanisch bedankte er sich schließlich bei seiner Familie und bei Mexiko: „Gracias, gracias, gracias!“ Cuaron hat selbst Regie geführt, die Kamera gemacht und das Drehbuch geschrieben. Es geht in dem Film um seine eigene Kindheit in Mexiko-Stadt Anfang der 70er Jahre – erzählt aus der Sicht einer Hausangestellten. Deutlich unter den Erwartungen blieb dagegen Giorgos Lanthimos’ „The Favourite“, der zehnmal nominiert war, aber nur einen Oscar holte.

Gaga und Cooper berühren mit Gesangseinlage

Für den emotionalsten Moment des Abends sorgten Lady Gaga und Bradley Cooper. Gaga und Cooper trugen den Song „Shallow“ bei der Gala gemeinsam vor. Das Lied aus „A Star Is Born“ wurde ebenfalls mit dem Oscar prämiert. „Ich hoffe wirklich, dass alle heute bei unserer Vorführung den wahren brillanten Mann in ihm gesehen haben, den Schauspieler, den Regisseur, den Autor, den Produzenten und Musiker“, schwärmte Gaga.

Vier Trophäen für „Bohemian Rhapsody“

Der Oscar für den besten Hauptdarsteller ging an Rami Malek, der im Queen-Film „Bohemian Rhapsody“ Freddie Mercury spielt. Er verwies darauf, dass er wohl nicht die offensichtliche Wahl für die Rolle gewesen sei, „aber es hat irgendwie funktioniert“. Malek erzählte von Parallelen mit Mercury: Auch er sei Sohn von Einwanderern, in seinem Fall Ägypter. Er bedankte sich bei allen, die im Laufe seiner Karriere an ihn geglaubt hatten.

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Spike Lee
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Spike Lee sprang auf Samuel L. Jackson, der ihm den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch verliehen hat
Mark Ronson, Andrew Wyatt, Lady Gaga und Anthony Rossomando
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Lady Gaga war überaus berührt – sie erhielt den Oscar für den besten Originalsong („A Star Is Born“)
Rami Malek
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Der Oscar für den besten Hauptdarsteller ging an Rami Malek, der im Queen-Film „Bohemian Rhapsody“ Freddie Mercury spielt
Jaime Ray Newman, Krysten Ritter und Kiki Layne
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Am ausgelassensten feierte das Team von „Skin“ („Bester Kurzfilm“)
Peter Farrelly
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Das Team von „Green Book“ wirkte eher entsetzt als erfreut über den Oscar für den besten Film
Olivia Colman
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Olivia Colman erhielt ihren ersten Oscar – in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ für ihre Rolle in „The Favourite“
Lady Gaga und Bradley Cooper
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Bradley Cooper sang mit Lady Gaga „Shallow“ aus Coopers Regiedebüt „A Star Is Born“
Rayka Zehtabchi und Melissa Berton
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„Best Documentary Short“ – eine „kleine“ Kategorie, aber die ausgezeichnete Menstruationsdoku „Period. End of Sentence“ ist ein großer Film – und das Team hatte einen großen, sympathischen Auftritt
Melissa McCarthy und Brian Tyree Henry
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Melissa McCarthy und Brian Tyree Henry präsentierten – was sonst – das beste Kostümdesign
Mahershala Ali
APA/AFP/Valerie Macon
Mahershala Ali wurde für seine Nebenrolle in „Green Book“ ausgezeichnet
Alfonso Cuaron
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Sympathisch und ganz schön nervös nahm „Roma“-Regisseur und -Kameramann Alfonso Cuaron seine Oscars entgegen
Regina King
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Gleich zu Beginn der Verleihung ein emotionaler Moment: Tränenreich bedankte sich Regina King. Sie wurde für ihre Rolle im Rassismusdrama „If Beale Street Could Talk“ in der Kategorie „Beste Nebendarstellerin“ prämiert.
Domee Shi und Becky Neiman-Cobb
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Becky Neiman-Cobb und Domee Shi freuten sich über ihre Auszeichnung für den besten animierten Kurzfilm „Bao“

Die Nervosität war Malek anzumerken – es war seine erste Oscar-Nominierung. Bewegt bedankte er sich bei der Crew und bei der Band Queen – er fühle sich fast schon als Teil von ihnen. Und er machte in seiner Rede noch allen Mut, die mit ihrer sexuellen Identität hadern, wie das beim jungen Mercury der Fall war. „Bohemian Rhapsody“ gewann auch in den Kategorien „Bester Ton“, „Bester Tonschnitt“ und „Bester Schnitt“.

Malek sorgte auch für den Schreckmoment des Abends: Nach seiner Dankesrede stürzte der Schauspieler von der Oscar-Bühne. Ein Team von Notfallsanitätern war sofort zur Stelle – er überstand den Sturz aber offenbar ohne gröbere Blessuren.

Colman holt den „Favourite“-Oscar

Olivia Colman erhielt ihren ersten Oscar – in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ für ihre Rolle in „The Favourite“. In einem grünen Kleid stellte sie sich strahlend dem Publikum. Es stresse sie, hier zu stehen, sagte sie lachend. Sie konnte ihr Glück kaum fassen und rang um Fassung. Sie bedankte sich beim „besten Regisseur“ Lanthimos. Sie streute vor allem auch Glenn Close Rosen, die ebenfalls nominiert war. Lady Gaga schickte sie noch ein Küsschen ins Publikum. Für die sympathische Rede erntete sie stehenden Applaus.

TV-Hinweise

Am Montag um 21.05 Uhr zeigt ORF eins „And the Oscar goes to – Die Highlights aus Los Angeles 2019“ und um 22.30 Uhr in ORF2 „kulturMontag“.

Regina King wurde für ihre Rolle im Rassismusdrama „If Beale Street Could Talk“ in der Kategorie „Beste Nebendarstellerin“ prämiert. Sie hielt die erste Preisrede des Abends – und legte in Sachen Emotion und Tränen einiges vor. Sie bedankte sich in erster Linie bei James Baldwin für die Romanvorlage des Films, in zweiter Linie bei ihrer Mutter und in dritter Linie bei Gott.

„Black Panther“ beendet Marvel-Durststrecke

Marvel-Produktionen blieb Oscar-Glück lange versagt, doch heuer wurde der Bann gebrochen: Gleich drei Trophäen gingen an „Black Panther“: „Bestes Kostümdesign“, „Bestes Szenenbild“ und „Beste Filmmusik“. Zu Oscar-Ehren kam dabei auch die Salzburgerin Julia Körner, die zusammen mit der Designerin Ruth Carter die in 3-D gedruckte Krone und den Umhang von Hauptdarstellerin Angela Bassett schuf. Bester Animationsfilm wurde ebenfalls eine Marvel-Superheldengeschichte: „Spider-Man: A New Universe“. Bei den animierten Kurzfilmen konnte sich „Bao“ aus dem Hause Pixar durchsetzen.

So viele Moderatoren wie noch nie

Viel war im Vorfeld gerätselt worden, ob es nicht doch die eine Moderatorin oder den einen Moderator des 91. Oscar-Abends geben würde. Doch die Academy zauberte keinen Star des Abends aus dem Hut, sondern verteilte die Rolle auf Dutzende Stars. Sehenswert etwa die Moderatorenpaarung Helen Mirren und „Aquaman“ Jason Momoa, sie in Pink, er in Blassrosa.

Übertroffen wurden die beiden noch von Melissa McCarthy und Brian Tyree Henry, die den Preis für das beste Kostümdesign vergaben, den sie sich eigentlich selbst für ihren Auftritt verdient hätten – absichtsvoll überladen und sogar mit Stoffhasen.

Steine des Anstoßes: Trumps Mauer

Als das große politische Thema des Abends kristallisierte sich die restriktive Einwanderungspolitik von US-Präsident Donald Trump heraus. So moderierte etwa Javier Bardem auf Spanisch und sagte in Anspielung auf die geplante Grenzmauer zu Mexiko, dass eine Mauer niemals Talent und Genialität aufhalten könne. Ähnlich Preisträger Cuaron, der ein Zitat von Claude Chabrol abwandelte: „Es gibt keine Wellen, es gibt nur den Ozean.“ Cuaron sagte, dass alle Menschen Teil desselben Ozeans seien.

Eine packende Rede – und eine verlorene

Die Diskriminierung von Frauen und Schwarzen im Filmbusiness wurde heuer weniger explizit thematisiert als in den vergangenen Jahren. Hingegen wurde mehrfach beherzt auf die großen Leistungen und die große Kraft vor allem von Frauen hingewiesen. Sehr wohl explizit und damit eine Ausnahme war Lee, der in seiner Dankesrede an die Zeit der Sklaverei und den „Genozid“ an Schwarzen erinnerte. In seinem Film „BlacKkKlansman“, der auf wahren Begebenheiten basiert, geht es um einen schwarzen Polizisten, der den Ku-Klux-Klan infiltriert hat.

US-Präsident Donald Trump wurde von Lee zwar nicht namentlich erwähnt, dürfte sich aber dennoch angesprochen gefühlt haben. Am Montag beschwerte sich Trump auf Twitter über den aus seiner Sicht „rassistischen“ Angriff Lees auf seine Person.

Christian Konrad (ORF) über die Oscar-Verleihung

ORF-Filmexperte Christian Konrad war bei der Oscar-Verleihung live dabei, die erstmalig ganz ohne Moderator auskommen musste.

Abseits von Lee war es aber auch ein Abend der etwas verunglückten Dankesreden. So manche Nominierte wirkten authentisch so, als ob sie nicht mit einem Sieg gerechnet hätten. Da wurde gestammelt, plötzlich geschwiegen – und ein Fremdschämmoment, der in Erinnerung bleibt, war jener, als Szenenbildnerin Hannah Beachler auf der Bühne stand, auf ihrem Smartphone herumdrückte und ins Mikro sagte, sie finde die Rede jetzt nicht – und das war kein Scherz.