Honka war ein schmächtiger Mann mit entstelltem Gesicht und leichtem Buckel, obwohl er erst in seinen 30ern war. Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, lebte in einer kleinen Messie-Wohnung und verbrachte seine Freizeit in der Trinkerkneipe „Zum goldenen Handschuh“, wo die Gestrandeten der Gegend saßen, um literweise Korn zu trinken und dabei sehnsuchtsvoll Schlagern zu lauschen. Dort traf Honka auf seine Opfer.
Akin hat vor allem zwei Schauplätze: die Kiezkneipe und die Wohnung. In der Kneipe sitzen sie zusammen, Soldaten-Norbert, der bei der SS war, Tampon-Günther, der zum Gaudium der anderen an Tampons lutscht, Nasen-Ernie und die Frauen. Ihren Gesichtern ist die Trostlosigkeit eingeschrieben, sie sind wortkarg und nur zusammen, weil sie sonst niemanden haben und sonst nirgends hinkönnen.
Abmühen mit einem fremden Körper
In jenen Momenten, in denen die Kamera zu beobachten scheint und die Geschichte nicht vorangetrieben wird, ist das stimmig, der Blick kein empathieloser. Das ist neben dem Szenenbild und der Requisite vor allem dem hervorragenden Ensemble an Nebendarstellerinnen und Nebendarstellern gedankt. Ein Beispiel dafür ist die Österreicherin Margarethe Tiesel als Gerda, die obdach- und mittellos ist. Mimik, Gestik, die zurückgenommene Art zu sprechen – Tiesels Spiel ist so beeindruckend wie beklemmend.
Honka, vom – eigentlich hübschen – Jungschauspieler Jonas Dassler gespielt (er musste täglich zwei bis drei Stunden in die Maske), wird von Akin als „Monster“ bezeichnet und als solches inszeniert. Wie viel vom Overacting Dasslers der Regie geschuldet ist und wie viel der allzu großen Distanz des 22-Jährigen zum devastierten Honka, ist schwer zu sagen. Da müht sich jemand nicht nur mit einer fremden Rolle ab – sondern buchstäblich mit einem fremden Körper.
Quälende Sequenzen
Was die Gewalt betrifft: Sie wird explizit gezeigt, die Kamera bleibt bei den Morden quälend lange drauf – auch wenn Akin sagt, dass man mittlerweile in jeder Zombie-TV-Serie Schlimmeres sieht. Die begleitende Tristesse holt die Fiktion schmerzhaft ins Reale. Akin wollte das so, nicht zuletzt angesichts der „#Metoo“-Debatte: „Ich habe gedacht, das ganze Reden bringt nichts – die meisten Männer begreifen nicht, was Gewalt an Frauen bedeutet. Männer brauchen eine Art Schocktherapie über das Visuelle, und ich wollte die Gewalt deshalb explizit zeigen, so bedrückend wie sie ist. Der Film hat die größten Machos in meinem Bekanntenkreis fertiggemacht.“
So kann man es sehen – oder als Ausbeuterkino erster Klasse. Weidet sich da der Hipster an der irgendwie geilen Ekelhaftigkeit der allerkaputtesten unter den kaputten kulturlosen „Prolos“? So etwas gibt es ja zuhauf. „White Thrash“ wird in stupiden Komödien vorgeführt, ganze Bücher mit Witzchen über die „Chantals“ aus den Vorstädten gefüllt. Und dann kommen im Fall des „Goldenen Handschuhs“ als Draufgabe noch die brutalen Morde dazu.
Die noch Kaputteren
Kann man Akin über den Weg trauen, dass er nicht in diese allzu offensichtliche Falle tappt, wo er selbst von einem „Horrorfilm“ spricht? Gezeigt werden keine Monster in einem Monsteruniversum, sondern Menschen in einem real existierenden Milieu. Erzählt wird eine wahre Geschichte, zwar aus den 70er Jahren, aber das Milieu existiert unverändert. Es gibt auch heute noch zahlreiche Beisln wie „Zum goldenen Handschuh“ – und Alkoholikerinnen und Alkoholiker, die pleite sind und ihren Glauben an die Zukunft verloren haben.
Akins blutrünstiger Film
Mit „Der Goldene Handschuh“ hat der in Hamburg lebende Regisseur Fatih Akin die wahre Geschichte des Frauenmörders Fritz Honka verfilmt.
Tiesel, die in einem Interview das Schicksal obdachloser Frauen anspricht, die „Gönnern“ auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind; Akin, der die Gewalt-gegen-Frauen-Thematik anspricht: Horror hat auch immer mit der Lust am Gruseln zu tun. Die Frage, die sich jeder im Kino selbst stellen wird, lautet: Wie lässt sich der wohlige Schauer mit dem sozialen und gesellschaftspolitschen Anspruch vereinen? Reale Morde an Frauen als „Horrorfilm“? Und: Warum muss man sich all die Tristesse und Gewalt antun und ins Kino gehen, wenn der einzige Erkenntnisgewinn ist, dass es unter den Kaputten noch Kaputtere gibt.