Massenproteste in Algier gegen Präsident Abdelaziz Bouteflika
Reuters/Zohra Bensemra
Algerien

Ein Land gegen seinen greisen Präsidenten

Erneut sind am Freitag in ganz Algerien Zehntausende auf die Straßen gegangen, um eine weitere Amtszeit von Präsident Abdelaziz Bouteflika zu verhindern. Der 82-Jährige ist gesundheitlich schwer angeschlagen und tritt öffentlich kaum noch in Erscheinung. Vor allem die junge Generation fordert nun ein Ende von Korruption und Arbeitslosigkeit ein.

Es wäre die fünfte Amtszeit Bouteflikas, der sich schon seit Langem nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigt. Seit einem Schlaganfall 2013 sitzt der 1937 geborene Bouteflika im Rollstuhl. Politische Treffen und öffentliche Auftritte werden regelmäßig abgesagt. Bouteflikas Bruder Said vertritt den Präsidenten zumeist bei öffentlichen Terminen, er soll längst de facto die Regierungsgeschäfte führen.

Dennoch löste die Ankündigung, Bouteflika werden erneut bei der Präsidentschaft am 18. April kandidieren, Massenproteste aus. Denn sollte es dazu kommen, besteht wenig Zweifel an einer weiteren Amtszeit. Bisher verliefen die Wahlen „sorgsam choreografiert und stark kontrolliert“, so die US-Botschaft in einer von WikiLeaks veröffentlichten Nachricht 2009.

Mehr als 180 Verletzte

Am Freitag gingen in zahlreichen Städten des Landes Demonstrationen über die Bühne. Dabei wurden nach offiziellen Angaben mehr als 180 Menschen verletzt. 45 Demonstranten seien aufgrund von Ausschreitungen und Vandalismus festgenommen worden. Innenminister Nouredine Bedoui bestätigte am Samstag, dass eine Person gestorben sei. Ein 56-jähriger Mann habe einen Herzinfarkt erlitten, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur APS. Nach Angaben des Innenministers handelt es sich bei dem Verstorbenen Hassan Ben Khedda um den Sohn eines früheren algerischen Politikers. Der Innenminister ordnete eine Autopsie an, um die Todesursache definitiv zu klären.

Algerien: Massenproteste gegen Präsidenten

In Algerien kam es bei Massenprotesten gegen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.

Die Demonstranten schwenkten laut der Nachrichtenagentur AFP algerische Flaggen und riefen Slogans wie „Mörderregime“. In der Hauptstadt Algier kam es vereinzelt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschoße ein, als sich mehrere hundert Demonstranten dem Präsidentenpalast näherten, wie Augenzeugen berichteten.

Warnung vor Syrien-Szenario

Viele Algerier sehen in Bouteflika eine Marionette von Militärs, Clans und Wirtschaftselite. Am Freitag machte das Staatsfernsehen die Proteste erstmals zum Aufmacher der Hauptnachrichtensendung, der Anlass wurde aber nicht genannt. Die Proteste waren bisher in den staatlichen Radio- und Fernsehsendern weitgehend verschwiegen worden, ebenso wie in den Privatsendern, die dem Regierungslager nahestehenden Unternehmern gehören.

Ministerpräsident Ahmed Ouyahia warnte am Donnerstag im Parlament indirekt vor einem Bürgerkrieg in Algerien. „Glückliche Demonstranten haben Polizisten Rosen geschenkt“, sagte er. „Aber erinnern wir uns gemeinsam daran, dass es in Syrien auch mit Rosen angefangen hat.“ Im Zentrum der algerischen Hauptstadt besteht seit 2001 ein Demonstrationsverbot.

Der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika
APA/AFP/Ryad Kramdi
Bouteflika ist seit 1999 im Amt. Seit 2013 sitzt er im Rollstuhl.

Bouteflika, der sich zurzeit nach Regierungsangaben zu „medizinischen Routinechecks“ in einer Genfer Klinik befindet, ist seit 1999 im Amt. Er war als Wunschkandidat des algerischen Militärs zum Staatschef gewählt worden. Am Abend vor der Wahl hatten seine sechs politischen Gegner ihre Kandidaturen aus Protest zurückgezogen.

Bouteflika hatte nach der Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich 1962 politisch Karriere gemacht. Er wurde Außenminister und übernahm auch im Politbüro der algerischen Befreiungsbewegung FLN wichtige Posten. In den 1980er Jahren zog er sich zeitweise aus der Politik zurück: Es gab Korruptionsvorwürfe und erste medizinische Aufenthalte im Ausland.

Jugend ohne Perspektive

Nach dem algerischen Bürgerkrieg, der in den 1990er Jahren mehr als 150.000 Menschenleben forderte, sah das Militär in Bouteflika einen geeigneten Kandidaten, um das gespaltene Land wieder zu einen. Im Gegensatz zu anderen hat er die Proteste des „arabischen Frühlings“ überstanden und sich im Amt gehalten.

Polizisten versuchen Demonstranten vom Regierungspalast in Algier fernzuhalten
Reuters/Zohra Bensemra
Demos in zahlreichen Städten: Vor allem die jungen Algerier wollen einen Wechsel

Die Proteste richten sich nun nicht nur gegen den 82-Jährigen, sondern gegen die gesamte politische Klasse. In dem autoritär geführten Maghreb-Staat, in dem die Hälfte der Bevölkerung jünger als 30 Jahre ist, will man gesellschaftlichen und sozialen Fortschritt. Die Perspektivlosigkeit der Jugend ist seit Jahren ein großes politisches Thema. Trotz des Ölreichtums sind die sozialen Probleme groß: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Korruption grassiert. Zwar kündigte Bouteflika Reformen an, als der „arabische Frühling“ 2011 die Region erschütterte. Das Resultat aber war bescheiden. Menschenrechtsgruppen kritisieren zudem weiterhin eine Unterdrückung von Opposition und Medien.