Plakat mit Jean-Claude Juncker und George Soros
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EVP-Ausschluss

Causa Orban reißt Gräben auf

Nach der letzten Anti-Brüssel-Kampagne in Ungarn droht der Streit zwischen Viktor Orbans Regierungspartei FIDESZ und ihrer EU-Fraktion, der EVP, zu eskalieren. 13 Mitgliedsparteien haben einen Antrag auf Ausschluss eingereicht – am Mittwoch wird zum ersten Mal offiziell darüber beraten. Doch ein Rauswurf ist alles andere als sicher. Geht es nach EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber, kann Orban ihn noch abwenden.

Für die EVP ist es eine Krise zur Unzeit: Rund drei Monate vor der EU-Wahl müssen die Konservativen entscheiden, ob sie Konsequenzen aus den Provokationen und politischen Abwegen von FIDESZ ziehen wollen. Auslöser für den Streit sind polemische Plakate. Darauf zu sehen: EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und US-Investor George Soros – für Orban „Staatsfeind Nummer eins“. Darunter finden sich Slogans, die suggerieren, die beiden wollten illegale Einanderung nach Europa fördern. Ein Vorwurf, den die Kommission entschieden als Unwahrheiten und „betrügerische Rhetorik“ zurückweist.

Dieser Frontalangriff gegen Brüssel und den EVP-Politiker Juncker scheint bei vielen in der EVP das Fass zum Überlaufen gebracht zu haben. 13 Mitglieder brachten am Montag einen Antrag auf Ausschluss von FIDESZ ein. Am Mittwoch wird nun erst einmal in der Fraktion beraten. Am selben Tag kommt auch der Parteivorstand zusammen. Theoretisch könnten schon am 20. März bei der politischen Versammlung der EVP, einer Art Präsidium, konkrete Schritte folgen.

Ungarns Premierminister Viktor Orban
Reuters/Bernadett Szabo
Orban provoziert in der EVP – und das bereits seit Jahren

Juncker wird für Ausschluss stimmen

Doch EVP-Spitzenkandidat Weber (CSU) will Orban offenbar noch einmal entgegenkommen. Er nannte gegenüber der „Bild“-Zeitung (Mittwoch-Ausgabe) drei Bedingungen, über deren Erfüllung es „noch in diesem Monat“ Klarheit brauche: Orban müsse die „Anti-Brüssel-Kampagne seiner Regierung sofort und endgültig stoppen“, sich bei den anderen EVP-Mitgliedsparteien entschuldigen und einen Verbleib der von Soros unterstützten Universität CEU in Budapest sichern. Deren Übersiedelung nach Wien befindet sich derzeit in Planung, nachdem die Regierung mit einem eigenen neuen Hochschulgesetz die Abwanderung erzwungen hatte.

Der Antrag zum Ausschluss

Den Ausschluss forderten EVP-Mitgliedsparteien aus Schweden (KD, M), Belgien (CD&V, cdH), Portugal (CDS-PP, PPD-PSD), Luxemburg (CSV), Finnland (Kok), Griechenland (ND), Litauen (TS-LKD), Bulgarien (DSB) und Norwegen (Hoyre, KrF).

Laut Weber liegt es nun an Orban, ob es zum Bruch zwischen FIDESZ und der EVP komme. Er selbst werde noch „einen letzten Versuch“ unternehmen, „Viktor Orban und die FIDESZ in der EVP zu halten“, sagte Weber. Die Werte der Christdemokratie seien allerdings „nicht verhandelbar“. Orban müsse sich „bewegen und seine Wertschätzung für die EVP zu zeigen“.

Kommissionspräsident und EVP-Kollege Juncker hat hingegen kein Pardon mit der FIDESZ-Partei. Im ZDF sagte Juncker am Dienstag: „Ich bin der Meinung, er (Orban, Anm.) gehört nicht mehr dazu." Er werde deshalb bei einer anstehenden EVP-internen Abstimmung für den Ausschluss von Orbans Partei aus der konservativen Parteienfamilie stimmen. „Ich habe vor Monaten kundgetan, dass das größte Problem der EVP bei der EU-Wahl einen Namen trägt, und das ist Orban.“

ÖVP unterstützt Weber

Weber bekam Rückendeckung von der ÖVP. „Dafür gibt es von unserer Seite volle Unterstützung. Diese Punkte sind unverhandelbar und müssen sichergestellt sein, ansonsten drohen weitere Schritte“, teilten ÖVP-Chef Sebastian Kurz, EU-Spitzenkandidat Othmar Karas und der österreichische EVP-Vizepräsident Johannes Hahn in einer gemeinsamen Aussendung mit.

Ultimatum an Orban

Die EVP ringt um den richtigen Umgang mit Viktor Orban. Dazu nahmen am Mittwoch auch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ) Stellung.

„Die Bedingungen der EVP liegen am Tisch, nun liegt der Ball einzig und allein bei Viktor Orban“, so Kurz. Orban müsse endlich aufhören, mit Feindbildern, Schuldzuweisungen und Antisemitismus Politik zu machen, forderte Karas. „Sollte das nicht passieren, muss das Ausschlussverfahren eingeleitet werden.“ Karas hatte im Vorfeld eine Suspendierung der Mitgliedschaft gefordert.

SPÖ und Grüne kritisieren Kurz

Die Oppositionsparteien SPÖ und Grüne warfen der ÖVP im Umgang mit der FIDESZ Täuschung und Scheinheiligkeit vor. Das Ultimatum an FIDESZ sei „ein zahnloser Papiertiger mit absurden Bedingungen, die sich noch dazu größtenteils von selbst erledigt haben“, teilte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda am Mittwoch in einer Aussendung mit. Kurz und Karas müssten „Klartext reden“ und sich wie 13 EVP-Mitgliedsparteien für den Ausschluss Orbans aus der EVP starkmachen. „Ein Antieuropäer und Antidemokrat wie Orban kann kein Bündnispartner für DemokratInnen sein“, so Drozda.

„Der plötzliche Schwenk der Kurz-ÖVP kurz vor den EU-Wahlen ist unglaubwürdig und scheinheilig“, so der designierte grüne EU-Spitzenkandidat und Parteichef Werner Kogler. Er wies in einer gemeinsamen Aussendung mit dem grünen EU-Abgeordneten Michel Reimon darauf hin, dass sich Kurz noch vor wenigen Monaten für den Verbleib Orbans in der EVP ausgesprochen habe. Reimon erinnerte diesbezüglich an die damalige Aussage des ÖVP-Chefs: „Wer auf Orban und Salvini herabschaut, zerstört die EU.“

Ausschluss könnte Kräfteverhältnis durchschütteln

Das Zögern der EVP hat nicht zuletzt wahltaktische Gründe, denn ein Ausschluss Ungarns aus der Fraktion könnte das Mächteverhältnis im EU-Parlament ordentlich durchschütteln. Derzeit stellt Ungarn innerhalb der EVP zwölf Mitglieder, inklusive eines Abgeordneten einer verbündeten Partei. Laut aktuellen Prognosen des Parlaments könnten es nach der Wahl im Mai 13 Abgeordnete werden, womit Ungarn gemeinsam mit Rumänien und Spanien zum Land mit den drittmeisten Mandataren innerhalb der EVP gehören würde. Weber selbst ist Spitzenkandidat und will nächster Kommissionspräsident werden. Ein Ausschluss könnte seine Wahl erheblich erschweren.

Entscheidend ist auch die Frage, welcher Fraktion sich Orban anschließen würde. Sollte es mehreren rechten Parteien gelingen, ein Bündnis zu formen, könnte FIDESZ diesem erheblichen Auftrieb verleihen. In Teilen der EVP wurde nicht zuletzt deswegen vor einer Spaltung gewarnt. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sagte am Mittwoch im Ministerrat, er könne sich theoretisch einen Wechsel von FIDESZ in die EU-Fraktion vorstellen, der auch die FPÖ angehören wird. „Das ist jetzt aber noch Theorie“, so Strache.

Andererseits sind Befürworter eines Rauswurfs der Meinung, dass die EVP vor der Wahl ihre Glaubwürdigkeit verliere, sollte FIDESZ weiter Teil der Konservativen bleiben. So schrieb etwa der Politikwissenschaftler R. Daniel Kelemen auf Twitter, dass ein ausbleibender Ausschluss zeigen würde, dass Orban die EVP in der Hand hat, und nicht die EVP Orban.

„Illiberale Demokratie“ sorgt für Ausschlussforderungen

Ein Ausschluss wäre das Ende eines jahrelangen Tauziehens: Seit Orban mit seinem Konzept der „illiberalen Demokratie“ die ungarische Politik kräftig in eine autoritäre Richtung umgeformt hat, gibt es immer wieder grobe Verstimmungen zwischen seiner Partei und der EVP, inklusive Ausschlussforderungen. Doch letztlich konnte sich Orban den Rückhalt der EVP stets sichern.

Und auch jetzt scheint er nicht an einen Rückzieher zu denken: In der „Welt am Sonntag“ bezeichnete er Befürworter eines FIDESZ-Ausschlusses zuletzt als „nützliche Idioten“ der Linken: „Während sie einen geistigen Kampf zu führen glauben, dienen sie den Machtinteressen anderer, ja denen unserer Gegner.“ Sollte die EVP FIDESZ ausschließen, würden laut Orban andere folgen: „Wenn es uns nicht mehr gibt, werden sie die Italiener angreifen, und danach kommen die Österreicher an die Reihe.“

Zugleich kündigte Orban an, die Plakatkampagne gegen Brüssel fortzusetzen. Nach der ersten Plakatserie gegen Juncker soll nun der Vizekommissionschef und sozialdemokratische Spitzenkandidat Frans Timmermans ins Schussfeld der ungarischen Kritik gerückt werden. „Herr Juncker geht in Rente, und an seine Stelle kommt Herr Timmermans“, sagte Orban. Die Kampagne gegen Juncker werde am 15. März enden.

Orban begrüßt Macrons Reformvorstoß

Die jüngste Europainitiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron begrüßte Orban zwar, machte aber Einwände gegen Einzelheiten geltend. „Das könnte den Anfang einer ernsthaften europäischen Debatte markieren“, schrieb Regierungssprecher Zoltan Kovacs auf Twitter. „In den Einzelheiten haben wir natürlich unterschiedliche Ansichten.“

Die möglichen Einwände führte Kovacs nicht aus. Aus Orbans früheren Erklärungen geht aber hervor, dass der rechtspopulistische Regierungschef die in Macrons Vorstoß enthaltene Stärkung des gemeinsamen europäischen Grenzschutzes ablehnt. Orban betrachtet die Bewachung der Staatsgrenzen als Angelegenheit, für die allein die ungarische Regierung zuständig ist.