Stau in Calais
APA/AFP/Philippe Huguen
Rüsten für Tag X

Hektik und Chaos vor Brexit-Abstimmung

Der Countdown zum Brexit-Tag Ende März läuft – und nach wie vor sind weder eine Verschiebung noch ein No-Deal-Szenario ausgeschlossen. Auf beiden Seiten des Ärmelkanals laufen deshalb bereits die Vorbereitungen auf einen ungeregelten Austritt Großbritanniens. Während im Vereinigten Königreich allerlei Importware gebunkert wird, wird im französischen Calais in letzter Minute ein Zollzentrum aufgebaut.

Das neue Zollzentrum in Calais, wo ein großer Teil des Warenhandels zwischen der EU und London abgefertigt wird, würde Importe wie Exporte von und nach Großbritannien kontrollieren. So sollen befürchtete lange Wartezeiten und Riesenstaus an den Häfen und am Eurotunnel als Folge des „harten“ Brexits vermieden werden. Auch 700 zusätzliche Zollbeamte rekrutierte Frankreich für den Brexit-Stichtag am 29. März.

Französischen Zollbeamten geht der rund 50 Millionen Euro teure Brexit-Notfallplan Frankreichs aber nicht weit genug. Seit rund einer Woche haben sie landesweite Bummelstreiks angetreten. Das hatte kilometerlange Lkw-Staus vor Calais zur Folge. Zudem kommt es deshalb seit Tagen zu Verspätungen bei Eurostar-Zugfahrten und nun auch bei Flügen in französische Alpinregionen. Die Zollbeamten fordern nicht nur Lohnerhöhungen, sondern wollen auch aufzeigen, welche Auswirkungen strengere Kontrollen im Falle eines ungeregelten Brexits hätten.

Zölle: Bei No-Deal droht hoher Formalitätsaufwand

Sollte der Brexit-Deal der britischen Premierministerin Theresa May am Dienstag nämlich neuerlich keine Mehrheit im britischen Unterhaus bekommen, so wird ein No-Deal-Szenario wahrscheinlicher. Tritt Großbritannien ohne Abkommen aus der EU aus, so verlässt es auch den EU-Binnenmarkt sowie die Zollunion. Dann würde auf handelspolitische Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zurückgegriffen werden.

Frankreich: Vorbereitungen auf Brexit

Der Brexit-Termin rückt immer näher. Das britische Unterhaus stimmt am Dienstag neuerlich über das Brexit-Abkommen ab. In Frankreich bereitet man sich längst auf einen ungeregelten Ausstieg Großbritanniens vor.

Großbritannien wäre somit zollrechtlich ein Drittland ohne besonderes Handelsabkommen. Das Problem mit Importen aus Drittländern ohne besondere Handelsabkommen ist der erhöhte Formalitätsaufwand. Die Sendungen müssen beim Zoll angemeldet und dort einzeln abgefertigt werden. Die Zöllner berechnen die korrekte Einfuhrumsatzsteuer und erheben Einfuhrzölle. Bei Importen aus Drittländern werden zudem häufiger die Waren selbst oder die Dokumente kontrolliert als bei EU-Importen.

Kommission setzt auf Informationskampagne

Die EU-Kommission intensivierte unterdessen bereits ihre Vorbereitungen für einen No-Deal-Brexit und verstärkte im Februar eine Informationskampagne für EU-Unternehmen im Bereich Zoll und indirekte Steuern wie Mehrwertsteuer. Konkret geht es darum, vor allem Klein- und Mittelunternehmen zu sensibilisieren.

Zuvor startete auch die heimische Wirtschaftskammer Mitte Jänner eine Informationskampagne, um betroffene Unternehmen zu informieren und zu beraten. Großbritannien ist für Österreich der neuntwichtigste Exportpartner. Von Jänner bis Oktober 2018 lieferten österreichische Firmen Waren im Wert von rund 3,6 Mrd. Euro in das Land. Gefragt bei den Briten sind vor allem heimische Maschinen und Fahrzeuge, darauf entfallen gut die Hälfte der Gesamtexporte. Bei den Einfuhren ist Großbritannien für Österreich auf Platz 13.

Stresstest mit 89 Lastwagen

Doch auch auf der anderen Seite des Ärmelkanals wappnet man sich seit Monaten für chaotische No-Deal-Szenarien. Denn die Lieferketten Großbritanniens sind stark mit der EU verschränkt – Engpässe in der Versorgung drohen. Allein im Hafen von Dover, durch den täglich Tausende Lkws rollen, werden rund 17 Prozent der Güter für das Vereinigte Königreich abgefertigt. Die Lkw-Abfertigung dauert derzeit nur rund zwei Minuten. Nur zwei Minuten mehr würden allerdings laut dem Betreiber Staus von 27 Kilometern verursachen.

Um zu prüfen, wie sich trotz der in diesem Fall wieder nötigen Grenzkontrollen Staus vermeiden lassen, ließ die britische Regierung Anfang Jänner 89 Lastwagen auf dem stillgelegten Flughafen von Manston knapp 32 Kilometer vom Hafen von Dover auffahren. Das Gelände könnte genutzt werden, um im Falle eines ungeordneten EU-Austritts Großbritanniens Staus nahe Dover zu verhindern, teilte das Verkehrsministerium in London damals mit.

Britische Airlines dürfen vorerst fliegen

Wegen der drohenden Lieferengpässe horten britische Unternehmen zudem Importware, die sie für ihre Produktion dringend benötigen. Inzwischen sind in Großbritannien aber kaum mehr Lagerflächen zu bekommen. In Wales wurden nun mehr Flächen für Produkte zur Krankenversorgung geschaffen. Indes gaben auch mehr als ein Viertel der Befragten in einer Sky-News-Umfrage an, aufgrund eines drohenden „No Deals“ bereits Vorräte zu bunkern oder zumindest darüber nachzudenken.

Die Londoner Börse wappnet sich hingegen für den Brexit, indem sie auf die Kostenbremse drückt: So sollen allein 250 Jobs oder fünf Prozent der Stellen gestrichen werden. Auch große internationale Konzerne rüsten sich bereits für einen „Hard Brexit“. Sony verlegt bereits jetzt seinen europäischen Hauptsitz von London nach Amsterdam. Insgesamt zogen 42 Unternehmen von Großbritannien in die Niederlande. Auch der Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus drohte Großbritannien mit der Schließung von Fabriken.

Entwarnung gab es indes für den Flugverkehr. Britische Airlines dürfen selbst bei ungeregeltem Brexit vorerst – und zwar für neun Monate – fliegen. Das biete genug Zeit, die Bescheinigungen bei der europäischen Luftfahrtbehörde EASA zu erneuern – dann unter Berücksichtigung des neuen Status Großbritanniens als Drittstaat, teilte der Rat der EU-Staaten im Februar mit.