Houses of Parliament in London
Reuter/Hannah Mckay
Nach Nein zu Deal

Nun Abstimmung über „Hard Brexit“

Die Appelle haben nichts genützt, die Drohungen nicht und auch nicht die Vision vom Beginn einer „strahlenden Zukunft“ für Großbritannien, die Premierministerin Theresa May immer wieder beschworen hat. Das Unterhaus sagte am Dienstag wieder Nein und schmetterte den Brexit-Deal mit der Europäischen Union ab. Doch schon am Mittwoch steht die nächste Abstimmung an.

Denn May bekräftigte nach der bitteren Niederlage am Dienstagabend ihren Plan, am Mittwoch und Donnerstag weiter abstimmen zu lassen, und sprach von „historischen Entscheidungen“. Zunächst sollen sich die Abgeordneten festlegen, ob sie einen Austritt ohne Vertrag zum vorgesehenen Zeitpunkt am 29. März wollen – für diesen Fall werden wirtschaftliche Turbulenzen und große Unsicherheit befürchtet. Es wird eine freie Abstimmung sein, bei der die Torys auch abseits der Parteilinie wählen dürfen, so May.

Findet der „No Deal“-Brexit keine Mehrheit, sollen die Abgeordneten am Donnerstag über eine mögliche Verschiebung des EU-Austritts befinden. Die nächsten Schritte sind also klar. Aber sie weisen noch keinen Ausweg aus der Krise.

Tief gespalten

Dabei hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) einen Weg bereits 2017 aufgezeigt. Er befand damals, dass London bis zur letzten Sekunde einseitig den Austrittsantrag zurückziehen kann. Das dürfte aber nicht passieren, da es politisch wohl nicht tragbar wäre. May ist strikt dagegen und warnt vor einem Vertrauensverlust in die Demokratie, nachdem die Briten 2016 mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt hatten.

Die Labour-Opposition ist für eine neue Volksabstimmung, mobilisiert aber bisher im Unterhaus keine Mehrheit dafür. Einige in der EU hoffen trotzdem, dass ein solches Referendum doch noch kommt. So knapp wie das Brexit-Referendum ausfiel, so gespalten sind Land und Politik bis heute.

Abgeordnete im Londoner Parlament
APA/AFP/Mark Duffy
Das House of Commons trifft jene Entscheidungen, die Großbritannien und die EU auf Jahre hinaus beeinflussen werden

Barnier fordert klare Linie

Vonseiten der EU wird von London eine klare Linie gefordert. „Das Vereinigte Königreich – das ist seine Verantwortung – muss uns sagen, was es für unsere zukünftigen Beziehungen will“, so EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier am Mittwoch in Straßburg. Diese Frage stelle sich noch vor der Entscheidung über eine mögliche Verschiebung des Brexits. „Eine Verlängerung der Verhandlung – um was zu tun?“, fragte Barnier. Die EU sei so weit gegangen, wie sie konnte, betonte er. „Es wird keine weiteren Zusicherungen oder Interpretationen geben.“

Unter den EU-Abgeordneten wird auch der Ruf nach einem zweiten Referendum lauter. „Es wäre der logische nächste Schritt, die Menschen erneut zu fragen“, sagte EVP-Fraktionschef Manfred Weber. Auch der sozialdemokratische Fraktionschef Udo Bullmann warb für eine zweite Volksabstimmung.

Erste Details für „Hard Brexit“

Unterdessen wurden am Mittwoch erste praktische Details für den Fall eines ungeordneten EU-Austritts bekannt. Wie der britische Handelsminister George Hollingbery Mittwochfrüh ankündigte, sollen in diesem Fall Zölle auf 87 Prozent der Importe wegfallen. Auf einige Agrarprodukte würden reduzierte Zölle erhoben, um in diesem Bereich die heimischen Produzenten zu schützen.

Das neue Zollsystem soll nach Angaben aus London am Abend des 29. März in Kraft treten, wenn es nicht gelingt, bis dahin ein Austrittsabkommen zu fixieren oder eine Verschiebung des Brexits zu erreichen. Es handle sich um ein vorübergehendes System mit einer Dauer von zwölf Monaten, um einen sprunghaften Preisanstieg von EU-Produkten für Verbraucher zu verhindern und die Versorgungskette zu sichern. Den Plänen zufolge soll zudem auf Zollkontrollen an der Grenze zu Irland verzichtet werden, hieß es.

Vierthöchste Niederlage in Geschichte

„Ihr Vertrag, Ihr Vorschlag, jener der Premierministerin, ist eindeutig tot“, hatte Labour-Chef Jeremy Corbyn Dienstagabend nach Verkündung des Abstimmungsergebnisses May auf den Kopf zugesagt. Nur 242 Abgeordnete stimmten für Mays Pläne, 391 dagegen – laut „Guardian“ ist das die vierthöchste Niederlage im britischen Parlament seit Einführung der Demokratie.

Erst im Jänner war Mays Deal vom Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt worden. In letzter Minute machte die EU am Montag noch neue Zugeständnisse – doch auch mit den Nachbesserungen konnte May das Unterhaus nicht überzeugen. Zwar änderten laut BBC rund 40 Abgeordnete ihrer Torys ihre Meinung – aber das reichte nicht annähernd aus, um das Ergebnis zu drehen. „Ich bedaure die Entscheidung, die das Abgeordnetenhaus getroffen hat, zutiefst“, so May unmittelbar nach Verkündung des Ergebnisses.

Corbyn fordert Neuwahl

Corbyn sagte nach der Abstimmung, dass die Regierung akzeptieren müsse, dass der von May ausgehandelte Deal nicht die Unterstützung der Abgeordneten habe. Er sprach sich gegen einen drohenden Brexit ohne Abkommen aus und warb für die Pläne seiner eigenen Partei, die etwa eine Zollunion vorsehen – ein zweites Referendum erwähnte Corbyn jedoch nicht.

Die Zeit von May als Premierministerin sieht Corbyn unterdessen als zu Ende an. „Ihre (Mays, Anm.) Zeit ist abgelaufen“, so der Chef der Oppositionspartei. „Jetzt ist es Zeit für Neuwahlen.“ Nur drei Abgeordnete von Labour stimmten entgegen der Parteilinie für Mays Deal.

EU sieht Risiko von ungeregeltem Austritt gestiegen

Die EU „bedauert“ die erneute Ablehnung des Brexit-Abkommens im britischen Parlament. „Vonseiten der EU haben wir alles Mögliche getan. Nachdem wir bereits im Dezember, Jänner und gestern Zugeständnisse gemacht haben, wissen wir nicht, was wir noch mehr tun können“, so ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk.

May scheitert erneut mit Brexit-Deal

In der ZIB2 sprechen Cornelia Primosch und Peter Fritz über das neuerliche Scheitern der britischen Premierministerin Theresa May.

Mit nur 17 Tagen bis zum vorgesehenen Ausstieg am 29. März habe das heutige Votum die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Austritts „deutlich“ erhöht, so Tusks Sprecher. EU-Verhandlungsführer Barnier schrieb auf Twitter, das Brexit-Problem könne nur in Großbritannien gelöst werden.

May appellierte an Parlamentarier

In der mehrstündigen Debatte, die der Abstimmung vorausgegangen war, hatte May, die vor Heiserkeit kaum sprechen konnte, das Parlament in London eindringlich dazu aufgerufen, für das nachgebesserte Brexit-Abkommen zu stimmen. „Wenn dieser Deal nicht angenommen wird, kann es sein, dass der Brexit verloren geht“, warnte die Regierungschefin die Abgeordneten. „Ich bin sicher, dass wir die bestmöglichen Änderungen erreicht haben.“

Sully und Schmidt analysieren Ergebnis

Die Politologin Melanie Sully und der EU-Experte Paul Schmidt sprechen über die verfahrene Brexit-Situation.

Viele Parlamentarier ihrer Konservativen Partei und der nordirisch-protestantischen DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, kritisierten das nachgebesserte Abkommen scharf. Der notwendige Fortschritt sei nicht erreicht worden, monierte die DUP.

„Brexiteers“ und DUP lehnten Deal ab

Ablehnung kam unter anderem von der EU-kritischen European Research Group (ERG), die vor der Abstimmung ankündigte, gegen Mays Deal zu stimmen. Die ERG, deren Vorsitzender der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg ist, holte im Vorfeld rechtlichen Rat ein, wie die am Montag präsentierten Änderungen zu bewerten seien.

Schon im Vorfeld kündigte auch die nordirische DUP an, die mit ihren zehn Abgeordneten Mays Minderheitsregierung unterstützt, nicht für das Abkommen zu stimmen. Man wolle einen „Deal sehen, der für das gesamte Vereinigte Königreich funktioniert“. Man werde daher nur das „passende Abkommen“ unterstützen, das den Stellenwert von Nordirland berücksichtige, so DUP-Chefin Arlene Foster.

Generalstaatsanwalt sah „unverändertes“ Risiko

Während die Zugeständnisse mancherorts zuerst als Durchbruch gewertet wurden, bremste Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox am Dienstag die Erwartungen. Viele der Abgeordneten wollten Cox’ Einschätzung abwarten. In seinem Gutachten sah er jedoch ein „unverändertes“ Risiko, dass Großbritannien nicht ohne Zustimmung der EU aus dem „Backstop“ aussteigen könnte.

Der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox
AP/Kirsty Wigglesworth
Das Gutachten des britischen Generalstaatsanwalts Geoffrey Cox wurde mit Spannung erwartet

Dennoch sprach er sich dafür aus, Mays Deal zu unterstützen. Die von May erzielten Zusagen würden das Risiko, dass Großbritannien durch den „Backstop“ aufgrund „böser Absicht und bewusster Manipulation der Union“ – unfreiwillig und für unbegrenzte Zeit – an Brüssel gebunden werde, „signifikant“ reduzieren, so Cox im britischen Unterhaus. „Es ist jetzt Zeit, für diesen Deal zu stimmen“, sagt er trotz seiner durchwachsenen Bewertung und rief die Abgeordneten damit auf, für den Deal zu stimmen.

Sollte sich das britische Parlament am Donnerstag für eine Verschiebung entscheiden, haben die EU-27 bereits angekündigt, dann einen „begründeten Antrag“ Großbritanniens auf Verlängerung der Austrittsfrist über den 29. März hinaus in Erwägung zu ziehen. Aber: „Die EU-27 erwarten eine glaubwürdige Begründung für eine mögliche Verlängerung und ihre Dauer.“ Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte, man solle „offen“ für eine Verschiebung sein – eine „Teilnahme von Großbritannien an den EU-Parlamentswahlen wäre allerdings absurd“.