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Reuters/Peter Nicholls
Abstimmung über Verschiebung

Brexit-Chaos geht in nächste Runde

Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung: Das Unterhaus in London hat in dieser Woche zuerst den Brexit-Deal und dann einen EU-Austritt ohne Abkommen abgelehnt. Am Donnerstag sollen die britischen Abgeordneten über eine Verschiebung des Brexit-Termins entscheiden. Bei den Torys von Premierministerin Theresa May herrscht mittlerweile heilloses Chaos.

Nach dem Willen Mays sollen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zwischen einer kurzen und einer langen Verschiebung des EU-Austritts wählen. Voraussetzung für eine Verlängerung der Frist ist aber, dass alle 27 übrigen EU-Mitgliedsstaaten dem zustimmen. Eigentlich wollte Großbritannien die EU am 29. März verlassen – also in gut zwei Wochen.

Erst am Vortag hatte das Parlament einen EU-Austritt ohne ein Abkommen mit der EU abgelehnt. Die Abgeordneten stimmten am Mittwoch mit 321 zu 278 Stimmen gegen einen Brexit ohne Deal. May verknüpfte die Abstimmung über die Verschiebung indirekt mit einer Entscheidung über ihr Brexit-Abkommen: Nur wenn die Abgeordneten bis zum 20. März in einer dritten Abstimmung für ihren Deal stimmten, sei eine kurze Verschiebung des Austritts bis zum 30. Juni möglich.

Weitere Niederlage für May

Erst am Dienstag hatte das Unterhaus zum zweiten Mal gegen den zwischen May und Brüssel ausgehandelten Deal gestimmt, obwohl die Regierungschefin kurz zuvor Zugeständnisse der EU erreicht hatte. Die Abstimmung war eine weitere Niederlage für May.

Die Regierungschefin hatte sich zwar auch gegen einen ungeordneten Brexit ausgesprochen, wollte diese Möglichkeit aber nicht gänzlich ausschließen. Die Abgeordneten votierten aber vor der Hauptabstimmung hauchdünn für einen Änderungsantrag zur Vorlage der Regierung, der einen chaotischen Brexit unter allen Umständen und damit auch nach dem 29. März ausschließt.

Premierministerin Theresa May mit Regierungskollegen im britischen Unterhaus
APA/AFP/Jessica Taylor
Erste Reaktion: May während der Verkündung des Abstimmungsergebnisses am Mittwochabend

Außer Rand und Band

In Mays Partei brach daraufhin Chaos aus. Die Premierministerin hatte zwar die Abstimmung für ihre Mandatarinnen und Mandatare freigegeben, dann wurde aber doch versucht, die Abgeordneten auf Parteilinie zu bringen. Selbst Mays Kabinett stimmte nicht geschlossen ab. Mit der Staatssekretärin für Menschen mit Behinderung, Sarah Newton, trat ein Kabinettsmitglied noch Mittwochabend zurück. Weitere Abgänge wurden nicht ausgeschlossen. Der Tory-Abgeordnete und Ex-Parteichef Iain Duncan Smith wurde mit den Worten zitiert, er habe Vorgänge wie diese in seinen 27 Jahren im Parlament nie erlebt.

Cornelia Primosch zur Brexit-Abstimmung

ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch berichtet aus London über die neuesten Entwicklungen im Brexit. „Es wird immer verrückter“, sagt sie.

Einen entsprechenden Antrag für den dritten Anlauf will May am Donnerstag ins Parlament einbringen, wie die Regierung mitteilte. Sollte das Abkommen diesmal angenommen werden, würde May die EU-Staats- und -Regierungschefs um einen kurzen Aufschub für den Brexit bis zum 30. Juni bitten. Voraussetzung für eine Verschiebung des Brexits ist, dass alle 27 übrigen Mitgliedsstaaten dem zustimmen – dafür muss London triftige Gründe liefern.

Noch mehr Zeit für Briten?

Sollte das Abkommen im Parlament ein drittes Mal abgelehnt werden, will London beantragen, den für den 29. März vorgesehenen Brexit über den 30. Juni hinaus zu verschieben. Das hätte die Beteiligung Großbritanniens an der Europawahl im Mai zur Folge, hieß es in dem Antrag. Allerdings bewiesen die Vorgänge am Mittwoch, dass nicht unbedingt beschlossen werden muss, was in den Regierungsvorlagen steht.

Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, sagte nach der Abstimmung: „Das Parlament muss nun die Kontrolle übernehmen.“ Er werde Gespräche mit Abgeordneten anderer Parteien führen, um einen mehrheitsfähigen Kompromiss zu finden, so Corbyn. Die Schottische Nationalpartei wiederum sprach sich noch am Abend für ein zweites Referendum aus.