Bekanntgabe des Ergebnisses
Reuters TV
Brexit

Unterhaus votiert für Verschiebung

Nachdem das britische Parlament diese Woche sowohl den vorhandenen Brexit-Vertrag als auch einen „No Deal“-Brexit abgelehnt hat, hat eine Mehrheit der Abgeordneten im Unterhaus am Donnerstag schließlich für eine Verschiebung des geplanten Austritts Großbritanniens aus der EU gestimmt. Doch einem Aufschub müssen auch die EU-Staats- und -Regierungschefs zustimmen. Und dafür werden sie von London triftige Gründe verlangen.

Zwei Wochen vor dem geplanten Brexit votierten die Abgeordneten in London mit 413 zu 202 Stimmen für eine Fristverlängerung. Premierministerin Theresa May konnte damit nach den Niederlagen der vergangenen Tage endlich einen kleinen Zwischenerfolg erringen. May kann nun diese Bitte um Verschiebung in Brüssel vorbringen.

Doch einem Brexit-Aufschub müssen auch noch die EU-Staats- und -Regierungschefs auf ihrem Gipfel in der nächsten Woche einstimmig zustimmen. „Es wird Sache des Europäischen Rates sein, einen solchen Antrag zu prüfen“, sagte eine Kommissionssprecherin am Donnerstagabend in Brüssel. Vorrang müsse haben, das Funktionieren der EU-Institutionen zu gewährleisten. Zudem werde man die Gründe für den Wunsch auf Verschiebung sowie deren Dauer zu berücksichtigen haben.

Verschiebung verknüpft mit Mays Brexit-Abkommen

May verknüpfte die Abstimmung über die Verschiebung indirekt mit einer Entscheidung über ihr Brexit-Abkommen. Ihr zufolge sollen die Abgeordneten die Wahl zwischen einer langen und einer kurzen Verschiebung haben. Nur wenn die Abgeordneten bis zum 20. März – also einen Tag vor dem nächsten EU-Gipfel – für ihren Deal stimmten, sei eine kurze Verschiebung des Austritts bis zum 30. Juni möglich, betonte die Regierungschefin. Jede längere Verschiebung mache eine Teilnahme Großbritanniens an der Europawahl (23. bis 26. Mai) nötig. Das neu gewählte EU-Parlament will am 2. Juli erstmals zusammentreten.

Proteste in London
AP/Matt Dunham
Brexit-Gegner und -Gegnerinnen demonstrieren vor dem Parlament für den Verbleib in der EU

Zweites Brexit-Referendum im Unterhaus abgelehnt

Im Abstimmungsreigen im britischen Unterhaus hatten die Abgeordneten zunächst einen Antrag auf ein zweites Brexit-Referendum abgelehnt. Die Abstimmung ging wenig überraschend mit 334 zu 85 Stimmen aus. Der Antrag war von der Abgeordneten Sarah Wollaston eingebracht worden, die vor Kurzem die Konservativen verlassen hatte, um sich der neuen Gruppe der Unabhängigen anzuschließen.

Die meisten oppositionellen Labour-Abgeordneten enthielten sich der Stimme. 25 stimmten dafür, 18 dagegen. Eine Gruppe von Labour-Abgeordneten, die sich eigentlich sehr wohl für ein zweites Referendum ausspricht, blieb fern, begründete ihr Verhalten aber in einem offenen Brief. Darin heißt es, die Abstimmung heute sei ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen. Mit einem eigenen Antrag in einigen Tagen rechnen sie sich bessere Chancen aus.

Machtverlagerung an Parlament abgelehnt

Knapp abgelehnt wurden Probeabstimmungen über das weitere Vorgehen beim Brexit. Damit behält May vorerst die Kontrolle über den Brexit-Prozess. Die Abgeordneten votierten mit 312 zu 314 Stimmen gegen einen Antrag, der dem Parlament die Möglichkeit geben sollte, das weitere Vorgehen festzulegen. Die Abstimmung sollte ein Meinungsbild liefern, welche Optionen zum Brexit mehrheitsfähig wären. Bisher legt lediglich die Regierung Vorschläge dazu vor. Damit hätte das Parlament die Initiative ergreifen können.

Schusterschitz: „Wir brauchen ein positives Votum“

Der österreichische Brexit-Verhandler Gregor Schusterschitz analysiert die aktuelle Brexit-Situation in der ZIB 2.

Ebenfalls abgelehnt wurde ein Vorstoß der Labour-Partei. Die größte Oppositionspartei wollte über Alternativen zum bereits zweimal abgelehnten Austrittsabkommen abstimmen lassen. Ein entsprechender Änderungsantrag wurde aber mit 318 zu 302 Stimmen abgelehnt.

Rückendeckung von Tusk

Bereits vor der Abstimmung schlug EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag eine deutliche Verlängerung der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens über den geplanten Austritt am 29. März hinaus vor – im Gespräch ist wohl mindestens ein Jahr. Er werde sich bei der Vorbereitung auf den EU-Gipfel kommende Woche bei den restlichen 27 Ländern für eine lange Verzögerung einsetzen, sagte Tusk in Brüssel.

Tusk betonte, London solle ausreichend Zeit bekommen, um seine Brexit-Strategie zu überdenken. Die übrigen 27 EU-Länder müssen eine Verlängerung einstimmig billigen. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sprach sich dafür aus. „Bevor es einen ungeregelten Brexit gibt, dann lieber nochmals eine Ehrenrunde.“

Weber: „Verlängerung alleine reicht nicht“

Auch Italiens Außenminister Enzo Moavero sprach sich für einen Brexit-Aufschub aus. Die EU könnte nach Einschätzung von Irlands Außenminister Simon Coveney eine Verlängerung um bis zu 21 Monate anbieten. Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramegna bezeichnete es in einem Zeitungsinterview allerdings als „undenkbar“, den Brexit auf die Zeit nach der Europawahl Ende Mai zu verschieben.

EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) hat reserviert auf die Entscheidung des britischen Parlaments reagiert, den Brexit verschieben zu wollen. „Es reicht nicht, wenn das britische Parlament sagt, wir möchten verlängern. Wir müssen auch wissen, zu welchem Ziel“, erklärte Weber am Donnerstagabend im Kurzbotschaftendienst Twitter. „Die EU darf nicht ins britische Durcheinander hineingezogen werden.“

EU-Wahl und Mitentscheidung als Problem

Problemlos durchzusetzen ist die Verlängerung nicht. Die britische Regierung gibt zu bedenken, dass während einer langen Verschiebung das Land noch vollwertiges EU-Mitglied ist und mit Brüssel keine Verhandlungen über die künftigen Beziehungen führen könnte. Als EU-Mitglied kann London selbstständig keine Handelsverträge abschließen, das Recht hat nur die EU-Kommission.

Problematisch für die EU und die Mitglieder ist zudem, dass das Königreich bei einem längeren Verbleib an der Wahl zum EU-Parlament von 23. bis 26. Mai teilnehmen muss. Das bestätigte eine Person aus dem Umfeld von Tusk. Allerdings blieb bei den Vorbereitungen auf die EU-Wahl Großbritannien komplett unberücksichtigt. Die Sitze der britischen Abgeordneten gehen bereits teilweise an andere Länder, und gleichzeitig wird das Haus auf 705 Parlamentarier verkleinert.

Wenn die Briten doch noch an die Europawahlurne gehen, könnten ihre Abgeordneten und die Regierung in London auch noch über den nächsten Kommissionspräsidenten mitbestimmen – für viele in Brüssel eine Horrorvorstellung. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte sich zuletzt daher für eine höchstens kurze Verschiebung ausgesprochen. Der Brexit solle vor der Europawahl Ende Mai abgeschlossen sein, erklärte er.

Trump kritisiert May für Brexit-Handhabe

US-Präsident Donald Trump hat kurz vor der Abstimmung massive Kritik am Brexit-Management von May geübt. „Ich bin überrascht, wie schlecht es gelaufen ist“, sagte Trump, der die Entscheidung zum EU-Austritt Großbritanniens befürwortet, am Donnerstag zum Auftakt eines Besuches des irischen Premierministers Leo Varadkar in Washington.

„Sie hat nicht auf mich gehört“, sagte der US-Präsident über die Herangehensweise von May. Dies sei aber in Ordnung, weil jeder seine eigenen Entscheidungen treffen müsse. Bereits zuvor hatte Trump in einem Tweet für ein Handelsabkommen zwischen den USA und Großbritannien geworben. „Meine Regierung freut sich darauf, einen umfangreichen Handelsdeal mit Großbritannien auszuhandeln. Das Potenzial ist unbegrenzt!“, schrieb Trump am Donnerstag auf Twitter.