Flugzeugwrack wird geborgen
AP/Fauzy Chaniago
Lion-Air-Boeing

Piloten suchten in Handbuch nach Lösung

Beim Absturz einer Boeing 737 Max 8 in Äthiopien und dem einer baugleichen Maschine in Indonesien gibt es Gemeinsamkeiten. Das bestätigte die französische Luftsicherheitsbehörde BEA. Umso relevanter sind daher auch die Untersuchungsergebnisse und der Vergleich beider Katastrophen. Erstmals wurden nun Details aus dem Stimmenrekorder der indonesischen Lion-Air-Maschine bekannt.

Offiziell veröffentlicht wurde es noch nicht, Reuters zitierte aber drei Personen, die mit den Details aus den Auswertungen des erst im Jänner gefundenen Stimmenrekorders dieser Boeing 737 Max 8 vertraut sind. Die Piloten sollen in den Minuten vor dem Absturz eiligst das Handbuch durchkämmt haben, um eine mögliche Ursache für die Flugprobleme zu bekommen.

Es war ein vergeblicher Wettlauf mit der Zeit. Wie beim Absturz in Äthiopien war die Lion-Air-Maschine nach dem Start mit äußerst unregelmäßiger Flugkurve und -geschwindigkeit gestiegen, dann unkontrolliert gesunken und steil aufgeschlagen.

Erste Probleme kurz nach Start

Nur zwei Minuten nach dem Start berichtete der Kopilot der Luftverkehrskontrolle laut den Aufzeichnungen des Stimmenrekorders von „Flugkontrollproblemen“. Die konkreten Auswirkungen nannte er nicht, zu hören waren aber offenbar Hinweise auf die Fluggeschwindigkeit, es sollen auch am Display des Piloten Probleme gezeigt worden sein.

Black Box der abgesürtzen Lion Air
Reuters/Antara Foto Agency
Der Flugschreiber aus der Ende Oktober vor Indonesien ins Meer gestürzten Boeing 737 Max 8 der Fluglinie Lion Air

Danach soll der Pilot seinen Kopiloten gebeten haben, das Handbuch nach Handlungsanleitungen für außergewöhnliche Ereignisse durchzuschauen. Die folgenden neun Minuten gab die Boeing 737 Max 8 Warnungen aus, weil der Bordcomputer offenbar fälschlicherweise einen Strömungsabriss diagnostizierte und damit davon ausging, dass die Luftströmung zu schwach sei für den weiteren Auftrieb. Um gegenzusteuern, drückte die Software des Flugzeugs die Nase nach unten.

„Dachten nur an Fluggeschwindigkeit und Höhe“

Das Boeing-Trimmsystem MCAS könnte für die Abstürze der beiden Maschinen verantwortlich sein. Boeing hatte das Trimmsystem wegen der neuen, im Verbrauch effizienteren Triebwerke eingeführt. Diese verändern aufgrund ihres erhöhten Gewichts die Aerodynamik und den Schwerpunkt des Flugzeugs. Besonders im Steigflug kann der Schub der Triebwerke so stark werden, dass sich die Maschine nicht mehr gerade ausrichten lässt. Das Kontrollsystem soll das verhindern.

MCAS

Beim Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) melden Sensoren, die den Flugwinkel messen, dem System, wenn das Flugzeug zu übersteuern droht. Dann drückt ein Stabilisierungsmechanismus am Heck der Maschine die Nase wieder nach unten.

Das dürfte im Fall der Lion-Air-Maschine so passiert sein. Der Pilot versuchte noch gegen das System zu steuern und zu steigen. Es gelang ihm aber nicht. „Die Piloten scheinen nicht bemerkt zu haben, dass das Stabilisierungssystem nach unten drückt“, sagte einer der Insider. „Sie dachten nur an Fluggeschwindigkeit und Höhe. Das war das Einzige, worüber sie sprachen.“

Piloten blieben nach außen ruhig

Dem Reuters-Bericht zufolge bewahrten die Piloten die meiste Zeit Ruhe. Kurz vor dem Ende übergab der Flugkapitän seinem Kopiloten, um selbst im Handbuch nach Lösungen zu suchen – vergeblich. Der Kopilot konnte währenddessen die Maschine nicht unter Kontrolle bringen. „Es ist wie ein Test, wo es 100 Fragen gibt. Die Zeit ist aus, und man hat nur 75 beantwortet“, sagte eine der von Reuters zitierten Personen: „Man gerät in Panik.“

Eine Minute bevor die Maschine vom Radar verschwand, bat der Pilot noch die Luftverkehrskontrolle, den Flugverkehr unter einer Höhe von 3.000 Fuß zu räumen. Dem wurde laut einem früheren Bericht stattgegeben. Am Ende der Aufzeichnungen, als offenbar klar war, dass die Maschine nicht mehr unter Kontrolle zu bringen ist, wird ersichtlich, dass der indischstämmige Pilot ruhig blieb, während sein indonesischer Kopilot die Entwicklungen mit „Allahu akbar“ kommentierte (Indonesien ist ein mehrheitlich islamisches Land). Beim Aufprall im Meer starben alle 189 Menschen an Bord.

Der Lion-Air-Absturz weist Ähnlichkeiten mit dem Unglück in Äthiopien vor wenigen Tagen auf. Einem Bericht der „New York Times“ zufolge soll der Pilot „mit panischer Stimme“ gebeten haben, zum Flughafen zurückkehren zu dürfen. Die Zeitung berief sich dabei auf eine Person, die sich die Kommunikationsprobleme zwischen Tower und Maschine näher angesehen hatte.

Mit Checklisten System ausgeschaltet

Im Fall der Lion-Air-Boeing hatte nur einen Tag vor deren Absturz die Crew mit derselben Maschine ein ähnliches Problem. Sie hatten es geschafft, laut Boeing mit Hilfe der Checklisten das MCAS außer Kraft zu setzen. Dafür muss allerdings die gesamte automatisierte Flugkontrolle abgeschaltet werden. Boeing äußerte sich am Mittwoch nicht zu diesem Bericht und verwies auf die laufenden Ermittlungen.

Boeing war nach dem Absturz des Lion-Air-Flugzeugs in die Kritik geraten, weil der Konzern Piloten der 737 Max 8 nicht ausreichend zu MCAS geschult habe. Daraufhin hatte der Konzern neue Anleitungen an die Airlines geschickt, die das Modell nutzten. Nach dem Absturz der Ethiopian-Air-Maschine kündigte Boeing nun ein Software-Update für MCAS an.

Kritik an Flugaufsicht

Die US-Flugaufsicht FAA steht wegen ihrer Zertifizierungspraktiken unter Druck. Während des vergangenen Jahrzehnts ließ sie neue Flugzeuge großteils von externen Experten und den Herstellern selbst testen. So halfen auch Boeing-Mitarbeiter dabei, die Maschinen des US-Konzerns sowie die Trainingsprozesse für Piloten zu genehmigen.

Die ursprüngliche Sicherheitsanalyse seiner neuen Flugzeuge, die der Flugzeughersteller an die Luftfahrtbehörde überstellte, enthielt laut Berichten der „Seattle Times“ mehrere entscheidende Mängel. Frühere und aktuelle Techniker der FAA, die in den Evaluierungsprozess eingebunden waren, unterschätzten laut dem Bericht die Kraft des Kontrollsystems. Sowohl Boeing als auch die FAA seien dem Bericht zufolge über die Risiken des MCAS informiert gewesen und sollten noch vor dem Absturz in Äthiopien dazu antworten.