Szene aus dem Film „Destroyer“
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„Destroyer“

Nicole Kidman sinnt auf Rache

Mit ihrem Copthriller „Destroyer“ interpretiert Regisseurin Karyn Kusama den Film noir neu. Nicole Kidman brilliert als hochintelligente, abgewirtschaftete Ermittlerin Erin Bell, die in Los Angeles auf Rache sinnt.

Irgendwann einmal war Bell eine aufstrebende FBI-Agentin, idealistisch und voller Hoffnung. Aber das ist viele Jahre her in Kusamas Thriller. Heute verdrehen die Kollegen schon die Augen, wenn sie Bell von der Ferne heranschlurfen sehen. Zu viele Nächte hat die Ermittlerin durchgesoffen, zu oft im Auto geschlafen, zu lange mit sich gehadert, warum damals nicht alles anders gelaufen ist.

Am Beginn ihrer Karriere war Bell als verdeckte Ermittlerin eingesetzt. Der Einsatz ging tödlich schief. Und mit den bitteren Konsequenzen muss sie bis heute leben. Dass sie außerdem eine renitente, entfremdete Teenager-Tochter hat, dass sie eskaum schafft, ihrem Ex-Freund Alimente zu zahlen, dass sie selbst eine kaputte Kindheit hinter sich hat, passt ins Bild des klassischen „Hardboiled Cop“, der in solchen Filmen üblicherweise die Hauptrolle spielt. Allerdings: Sie ist eine Frau.

Szene aus dem Film „Destroyer“
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Darf keinesfalls auf die schiefe Bahn geraten: Teenager-Tochter (Jade Pettyjohn) von Polizistin Erin Bell (Kidman)

Verkatert, verbittert, kompetent

Was diese Erin Bell für eine ist, macht die allererste Szene deutlich, in der Kidman hinter dem Steuer ihres verdreckten Wagens sitzt. Die Morgensonne scheint ihr ins Gesicht, und sie wankt mehr, als sie aufrecht zum Tatort geht: Eine Leiche wurde gefunden, ein Revolver ohne Seriennummer daneben, der Wind verweht von Farbpatronen markierte Dollar-Scheine. Der Tote hat im Nacken ein seltsames Tattoo, drei schwarze Kreise. Und mit einem Blick weiß Bell, wer diesen Mord verübt hat.

„Destroyer“: Nicole Kidman in Copthriller

Oscar-Preisträgerin Nicole Kidman wurde für ihre Rolle im Thriller „Destroyer“ für einen Golden Globe nominiert. Die 51-Jährige spielt darin eine heruntergekommene Polizistin in Los Angeles.

Für „Destroyer“ haben sich zwei gefunden: Kidman mit dem extravaganten Sinn für große Rollen, inzwischen in dem Alter, in dem schöne Schauspielerinnen Königinnen und Heldenmütter zu spielen bekommen, und die sich immer um verschrobene Figuren bemühte. Und Regisseurin Kusama, die im ORF.at-Interview über Kidman sagt: „Ich dachte immer, sie wäre eher eine präzise, technische Schauspielerin, aber sie ist pure Emotion bei ihrer Arbeit. Sie hat sich an jedem einzelnen Tag mit aller Kraft in die Rolle gestürzt.“

Die „Abwesenheit jeder Höflichkeit“

Kusamas Karriere dauert schon fast 20 Jahre, hob aber nie recht ab: Nach dem Boxfilm-Erstling „Girlfight“, dem Sundance-Sieger 2000 mit Michelle Rodriguez in der Hauptrolle, kam der teure Science-Fiction-Flop „Aeon Flux“ mit Charlize Theron. Die Horrorkomödie „Jennifer’s Body – Jungs nach ihrem Geschmack“ mit Megan Fox entwickelte sich erst durch Streamingplattformen zum Kultfilm junger Frauen, auch der klaustrophobische Thriller „The Invitation“ reüssiert als Video-on-Demand.

Dass nun „Destroyer“, diese Salto-rückwärts-Neukonstruktion des amerikanischen Film noir, endlich gebührend Aufmerksamkeit bekommt, liegt vor allem an der Leistung von Kidman. Sie agiert als Erin Bell mit brachialer Kühnheit, nicht nur in den Kampfsequenzen. Auch zwischenmenschlich habe sie viel von einem „Dirty Harry“-Eastwood, so Kusama: „Viele von Clint Eastwoods besten Rollen haben gemeinsam, dass seinen Figuren egal ist, was andere von ihm halten. Das macht auch Erin aus, diese Abwesenheit jeder Höflichkeit.“

Keine Hosenrolle

Eine Szene charakterisiert Bells Kompromisslosigkeit besonders deutlich. Sie braucht eine Information von einem Todkranken, aber der will im Gegenzug auch etwas von ihr: mit der Hand befriedigt werden, wohl zum letzten Mal in seinem Leben. „Das Wichtigste bei der Szene war, dass sich niemand als Opfer fühlt“, so Kusama. „Jeder verfolgt hier seine eigenen Ziele. Erin kann das, was sie hier tut, einfach als Tausch sehen. Kompliziert wird es aber dadurch, dass dieser Mann im Sterben liegt, fast zu einem Akt der Barmherzigkeit.“

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Kidman als Polizistin Bell: „Jeder verfolgt hier seine eigenen Ziele“

Nur auf den ersten Blick wirkt „Destroyer“ wie ein Thriller, der ursprünglich für einen Mann geschrieben wurde. Kusama legt darauf Wert, dass Bell keine Hosenrolle ist: „Erin hat zwar Verhaltensweisen, die wir üblicherweise bei Männern im Kino sehen, aber wir verstehen auch ihre spezifische Weiblichkeit, ihren Kampf als Mutter, als verlassene Tochter. Wir glauben gern, dass Frauen von Natur aus emotionaler sind, aber ich denke nicht, dass das immer stimmt. So eine unausgewogene Frau, die sich nicht sicher ist, wie ihr emotionales Leben überhaupt sein soll, die ist für mich sehr spannend. Vielleicht, weil ich mich selbst mit ihr identifiziere.“