Mann jubelt mit einer Türkei-Fahne aus einem Auto
Reuters/Kemal Aslan
Türkei

Rückschlag für Erdogan bei Kommunalwahl

Die türkischen Kommunalwahlen am Sonntag hat die Bevölkerung zumindest in den Metropolen dazu genutzt, Präsident Reccep Tayyip Erdogan einen Denkzettel zu verpassen. In der Hauptstadt Ankara musste seine AKP erstmals seit 16 Jahren eine Niederlage einstecken. Auch in Istanbul droht das Abrutschen auf Platz zwei. Die AKP reagierte mit der Berufung gegen das Wahlergebnis.

Nach Auszählung fast aller Stimmen lag in Ankara Mansur Yavas von der Oppositionspartei CHP mit 50,9 Prozent fast vier Prozentpunkte vor dem Kandidaten der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP. Die AKP kündigte allerdings umgehend an, gegen das Wahlergebnis zu berufen, und zeigte sich überzeugt, mit einer Neuauszählung das Ergebnis noch drehen zu können.

Erdogan sagte in Ankara vor Anhängern: „Auch wenn unsere Leute das Bürgermeisteramt verloren haben, haben sie die Stadtviertel an die AK-Partei gegeben.“ Die Partei werde, falls nötig, das Ergebnis anfechten.

Besonders knapp in Istanbul

Besonders widersprüchlich war die Lage in Istanbul. Montagmittag erklärte sich der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem Imamoglu, zum Wahlsieger. Er habe 25.158 Stimmen mehr als sein AKP-Konkurrent, Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim. Yildirim dagegen behauptete, mehr als 300.000 Stimmen in Istanbul seien ungültig. Er räumte ein, Imamoglu liege derzeit voran, betonte aber, die Zählung dauere an. Yildirim sagte, ein so knappes Rennen sei nicht zu erwarten gewesen.

Ein offizielles Ergebnis für Istanbul steht noch aus. Am späten Abend hatte sich AKP-Kandidat Yildirim überraschend zum Sieger erklärt. Imamoglu hatte schnell reagiert und betont, nach Zählungen seiner Partei liege er uneinholbar voran.

Anhänger der CHP jubeln mit Türkei-Fahnen
AP/Burhan Ozbilici
Anhänger der Opposition feiern in Ankara den Wahlausgang

Wahlbeobachter: Einzelne Unregelmäßigkeiten

Die Kommunalwahlen verliefen nach Ansicht einer Beobachterdelegation des Europarates grundsätzlich geordnet. „Abgesehen von einzelnen Unregelmäßigkeiten haben die Wahlkomitees ihre (…) Aufgaben kompetent durchgeführt“, hieß es in einer am Montag versandten Stellungnahme der 22-köpfigen Gruppe. Diese hatte nach eigenen Angaben die Kommunalwahlen am Sonntag in rund 140 Wahlstationen in mindestens sieben Städten verfolgt.

Die Gruppe kritisierte jedoch die Umstände, unter denen die Wahl stattgefunden hatte. Für eine wahrhaft demokratische Wahl sei mehr nötig, unter anderem Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Aber die erfolgreiche Teilnahme vieler Parteien sehe sie doch als „positives Zeichen für die Widerstandsfähigkeit der Demokratie in der Türkei“, hieß es in der Stellungnahme weiter.

Istanbul Ausgangspunkt von Erdogans Karriere

Sollte die Regierungspartei in Istanbul hinter der Opposition bleiben, wäre das eine herbe symbolische Niederlage. In der Stadt am Bosporus hatte Erdogan in den 1990er Jahren als Bürgermeister seine politische Karriere begonnen. Erdogan sagte, seine Regierung werde sich nun auf die Umsetzung eines starken Programms für die Wirtschaft konzentrieren. Der Präsident hatte die Wahlen zuvor als Frage des Überlebens für sein Land bezeichnet.

Im Vorfeld war nicht ausgeschlossen worden, dass die AKP in Ankara und Istanbul auf eine Niederlage zusteuert. Einige Wähler dürften damit auch auf die Wirtschaftskrise in dem Land reagieren. Die Türkei ist zuletzt in eine Rezession gerutscht. Zugleich ging die türkische Währung auf Talfahrt. Die Zahl der Arbeitslosen stieg innerhalb eines Jahres um rund eine Million, die Inflation betrug rund 20 Prozent. Lebensmittel wurden besonders teuer. Erdogan macht dafür den Westen verantwortlich.

Landesweit noch immer am stärksten

Landesweit blieb die AKP mit zunächst rund 45 Prozent aller ausgezählten Stimmen die stärkste Partei. Der Verlust der beiden wichtigsten Großstädte des Landes, die jahrzehntelang AKP-regiert waren, wäre aber ein herber Verlust für den machtgewohnten Staatspräsidenten – und Ansporn für seine Kritiker. Rund 57 Millionen Türken waren am Sonntag aufgerufen, in 81 Provinzen Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 84 Prozent.

Oppositionelle Medien wie Bianet und Dokuz8Haber berichteten von Unregelmäßigkeiten – das Ausmaß der Wahlmanipulationen war aber nicht unmittelbar absehbar. Besonders aufmerksam schauten Wahlbeobachterinnen und -beobachter in den kurdisch dominierten Osten, wo die große prokurdische Oppositionspartei HDP besonders stark ist. Hier gewann die HDP nach Teilergebnissen einige Gemeinden unter Zwangsverwaltung zurück.

Nach dem Putschversuch vom Juli 2016 hatte Ankara zahlreiche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der HDP wegen angeblicher Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) abgesetzt. Erdogan hat bereits damit gedroht, HDP-Bürgermeister gleich wieder abzusetzen.

Erdogan machte Wahl zu Votum über Regierung

Erdogan selbst hatte die Wahl zu einem Referendum über seine Regierung gemacht. Obwohl er gar nicht selbst zur Wahl stand, hatte er fast jeden Tag gleich mehrere Wahlkampfauftritte absolviert und war durchs halbe Land gereist. Die Wahl hatte er hochstilisiert zu einem Kampf um Fortbestand oder Niedergang des Landes. Im Wahlkampffinale versuchte er mit allen Mitteln, Stimmung für die AKP zu machen. So wiederholte er seinen alten Vorstoß, die Hagia Sophia in Istanbul zu einer Moschee umzuwidmen.

Vor allem aber machte Erdogan Stimmung gegen die HDP. Er warf ihr einmal mehr vor, die Türkei spalten zu wollen. Bei einer Kundgebung im östlichen Agri forderte er seine Anhänger auf, den „Terroristen unterstützenden Tyrannen eine osmanische Ohrfeige“ zu verpassen.

Opposition: Regierung spaltet Gesellschaft

Wegen dieser Rhetorik warf CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu der Regierung vor, selbst die Gesellschaft zu spalten und eine „ausländische Bedrohung“ heraufzubeschwören. „Es ist, als ob wir vor einem Krieg stünden. Dabei sind es nur Kommunalwahlen“, sagte der Oppositionsführer und versprach, die „drängendsten Probleme“ der Bürgerinnen und Bürger lösen zu wollen wie die steigende Arbeitslosigkeit und die hohen Lebenshaltungskosten.

Sonntagabend zog Erdogan dann eine erste Bilanz für seine Partei – und zeigte sich dabei ungewohnt selbstkritisch: „Wir müssen akzeptieren, dass wir da, wo wir gewonnen haben, die Herzen unseres Volkes erobert haben und da, wo wir verloren haben, nicht erfolgreich genug waren.“