Frauen am Tiananmen-Platz
AP/Ng Han Guan
Gipfel in Brüssel

Chinas Aufstieg und Europas Schlingerkurs

China hat für die nächsten Jahrzehnte große Pläne. Das Land will bei Technologie, Handel und Militär an die Weltspitze, und derzeit stehen die Chancen dafür gut. Unablässig rüttelt die Volksrepublik durch ihren rasanten Aufstieg am globalen Machtgefüge. Die EU, eingespannt mit inneren Problemen wie dem Brexit, hadert mit ihrer Rolle und sucht nach einer Strategie. Ein Gipfel soll nun Weichen stellen – doch die Differenzen sind erheblich.

Es ist eine riesige Palette an Themen, die zwischen der EU und China am Dienstag auf dem Tisch liegen. Ganz oben auf der Agenda: die Wirtschaftspolitik. China ist nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner der EU, allerdings hat Brüssel ein großes Problem mit chinesischer Marktverzerrung. Staatliche Einmischung, geschlossene Märkte, die fehlende Gleichbehandlung ausländischer Unternehmen in China, das alles geht der EU gegen den Strich. Es brauche eine „balancierte Beziehung“, so Ratspräsident Donald Tusk.

Akute Themen sind aber auch der 5G-Ausbau in der EU und die Sorge vor chinesischer Spionage, Stichwort Huawei. Reichlich Gesprächsstoff bieten wohl auch die Pläne für Chinas gigantisches Infrastrukturprojekt Belt and Road Initiative, auch „Neue Seidenstraße“ genannt. Dieses soll auch Europa großflächig umspannen, und China schielt bereits auf europäische Häfen, Straßen und Bahnstrecken. Dort sorgen die Pläne für gespaltene Reaktionen. Während die einen einen Ausverkauf fürchten, wittern die anderen gute Geschäfte.

„Beispielloses“ Wachstum rüttelt EU auf

Das Thema China gewinnt derzeit in Brüssel wieder fühlbar an Gewicht. Denn der kometenhafte Aufstieg des Landes ist nicht wegzureden. Der wirtschaftliche und politische Einfluss sei in „beispiellosem Ausmaß und Geschwindigkeit“ gewachsen, so ein neues EU-Papier. Über strikte Kontrolle von Wirtschaft und Bevölkerung sowie konsequenten Zentralismus hat sich China vom Entwicklungsland zum globalen Schwergewicht gewandelt. Und es geht rasant weiter: Laut einer Studie des Forschungsinstitut MERICS ist China dabei, die USA in Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) und Quantentechnologie zu überholen.

Skyline der Yuzhong-Halbinsel
AP/Imaginechina/Zhou zhiyong
In den vergangenen Jahren sind in China Millionenstädte aus dem Boden geschossen, der Wohlstand ist gewachsen

Die EU sieht sich zum Handeln gezwungen. Doch innere Krisen machen es der Union schwer, das Thema tatsächlich anzupacken. Das zeigt sich oft beispielhaft: Bereits beim letzten großen EU-Gipfel stand China zwar groß auf der Agenda, doch in den Wirren rund um die Brexit-Verschiebung ging das Thema unter. China sei der „größte Gewinner“ des Brexits, sagte der deutsche EU-Handelskommissar Günther Oettinger am Freitag zur „Welt“. Während Europa mit sich selbst beschäftigt sei, treibe die chinesische Regierung ihre Strategie voran und schließe überall in der Welt Lücken, die Europa nicht füllen könne.

Staaten kochen eigene Suppe

Zur schwierigen Suche nach einer Strategie tragen auch Mitgliedsstaaten bei, die bei ihrer EU-China-Politik oft lieber eigene Wege gehen. Zum Beispiel Italien, das Ende März bei einem Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping als erster G-7-Staat eine Absichtserklärung zur Unterstützung der „Neuen Seidenstraße“ unterzeichnete. Auch mehrere osteuropäische Staaten verfolgen über die 16+1-Gruppe seit Jahren eine abgekoppelte China-Politik – nicht zuletzt weil sie bereits seit der Finanzkrise chinesische Gelder bekommen.

Grafik zum weltweiten BIP
Grafik: ORF.at; Quelle: Eurostat

Fachleute sprechen längst davon, dass Peking im Westen auf eine „Teile und herrsche“-Taktik setzt. Ein Vorwurf, den Chinas Premier Li Keqiang im „Handelsblatt“ zurückwies. Man unterstütze die europäische Integration und trage mit den Investitionen in Osteuropa dazu bei, dass sich die EU-Staaten ausgewogen entwickeln. Und tatsächlich scheint das Problem auch hausgemacht. Während China vor allem in Asien und Afrika Bünde schmiedet und auch Abhängigkeiten schafft, suchen viele Staaten in Europa in nationalen Alleingängen ihr Heil. Daneben stehen die USA, die sich mit ihrer „Make America Great Again“-Politik ebenfalls nach innen wenden.

Heikles Thema Menschenrechte

Dazu kommt, dass sich bei EU-China-Gesprächen zwei höchst unterschiedliche Parteien gegenüberstehen: Stark ist der Kontrast zwischen der oft schwierigen Konsensfindung innerhalb der EU und dem zentralistischen und hierarchischen Einparteiensystem Chinas. Ebenfalls nicht versiegende Konfliktquelle ist das Thema Menschenrechte, das die EU nicht aussparen kann. Allerdings seien Gespräche darüber „immer schwierig“, wie ein hochrangiger EU-Beamter am Freitag im Brüssel sagte.

Donald Tusk und Li Keqiang, 2017
Reuters/Virginia Mayo
EU-Ratspräsident Donald Tusk und Chinas Regierungschef Li Keqiang – er wird China am Dienstag vertreten

Doch Gesprächsstoff gibt es genug. Angefangen von der großflächigen Überwachung und Bewertung der Bevölkerung mittels des „Sozialkreditsystems“ über den Tibet-Konflikt bis hin zur Unterdrückung muslimischer Bevölkerungsgruppen wie der Uiguren: Die Menschenrechtssituation in China ist nach wie vor prekär. Nicht zuletzt weil der kollektiven Entwicklung Vorrang gegenüber Individuellem gegeben wird. Das kollidiert mit den Werten der Union, hilft China aber gleichzeitig beim Aufstieg. Und für die EU wird das Thema zum Balanceakt.

Wohl keine gemeinsame Erklärung

Dass die Differenzen groß sind, daran ließen EU-Vertreter am Freitag keinen Zweifel. Sie stellten auch ein Scheitern der gemeinsamen Gipfelerklärung in Aussicht. Der Grund seien mangelnde Zugeständnisse Chinas beim Hauptthema Handel und Investition. Die EU werfe China vor, keine ausreichenden Zusagen bei Fragen des Marktzugangs und fairen Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen zu machen.

Zudem verweigere Peking eine Verpflichtung auf eine „ernsthafte Reform“ der Welthandelsorganisation (WTO), die Subventionen bei Industriegütern umfasse. Weiters klaffen die Sichtweisen auch bei den Themen regelbasierte Ordnung, Technologietransfer, Menschenrechte und Stahlüberkapazitäten auseinander. Der Gipfel solle aber trotzdem stattfinden – denn auch ein Gipfel ohne Erklärung sei sinnvoll, gaben sich die EU-Vertreter betont zuversichtlich. Auch von China gab es noch Signale: Am Montag kündigte das Land Zollsenkungen für Konsumgüter wie Computer, Nahrungsmittel und Kleidung an.