US-Panzer
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Vor 70 Jahren gegründet

Streitigkeiten überschatten NATO-Jubiliäum

Überschattet von internem Streit haben in Washington die Feierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen der NATO begonnen. Vor allem zwischen den USA und Deutschland sowie zwischen den USA und der Türkei kriselt es, wie Wortmeldungen am Vortag und beim eigentlichen Treffen der NATO-Staaten zum Jubiläum am Donnerstag deutlich machten.

Die Außenminister der NATO wollten sich daher bei ihrem Treffen in Washington noch einmal ausdrücklich zur Beistandspflicht des Militärbündnisses bekennen. Das kündigte US-Außenminister Mike Pompeo Donnerstagfrüh (Ortszeit) zu Beginn des Treffens an. Die NATO sei durch das Bekenntnis zur gegenseitigen Beistandspflicht stark geworden, die in Artikel 5 des Nordatlantikvertrags verankert sei, sagte Pompeo. Zu dieser Pflicht wolle man sich noch einmal bekennen.

Im Artikel 5 haben die Mitgliedstaaten der NATO vereinbart, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen als ein Angriff gegen alle angesehen werden wird und sie sich gegenseitig unterstützen.

Trump drohte mit NATO-Ausstieg

US-Präsident Donald Trump hatte in der Vergangenheit mehrfach Zweifel aufkommen lassen, ob die USA im Falle eines Angriffs auf einen europäischen Alliierten wirklich bedingungslos militärische Unterstützung leisten würden. Aus Verärgerung über die seiner Meinung nach zu geringen Verteidigungsausgaben von Ländern wie Deutschland drohte er sogar mit einem Rückzug der USA aus dem Bündnis. Der Bündnisfall wurde bisher erst einmal ausgelöst – und zwar nach den Terrorangriffen gegen die USA vom 11. September 2001.

Russland wünscht zum Geburtstag „innere Ruhe“

Als Seitenhieb auf den internen Streit hat Russland dem Militärbündnis „innere Ruhe“ gewünscht. „Was kann man der NATO denn mit auf den Weg geben?“, fragte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Donnerstag in Moskau. „Weniger nervös zu sein und nicht zwanghaften Ideen und Ängsten zu folgen.“ Als Nachsatz fügte sie hinzu: „Und natürlich Weisheit.“

Russland beobachte die Diskussionen der NATO, hieß es aus dem Moskauer Ministerium. Dabei sei nicht zu erkennen, dass man auch den Konflikt mit Russland lösen wolle. Die Beziehungen sind seit vielen Jahren extrem angespannt. Mit dem Aufkündigen eines der wichtigsten Abrüstungsverträge durch die USA und Russland wurde der Streit zusätzlich noch einmal verstärkt.

Jens Stoltenberg, Mike Pence, Nancy Pelosi
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Mike Pence, Jens Stoltenberg (vorne Mitte) und die demokratische Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi

Stoltenberg verweist auf NATO-Wichtigkeit

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erinnerte am Mittwochabend in einer Rede vor dem US-Kongress zum 70. Jahrestag der Gründung des westlichen Militärbündnisses an die Errungenschaften der NATO und verwies dabei auf die Wichtigkeit des Militärbündnisses. „Immer wieder haben Europa und Nordamerika gemeinsam unter derselben Flagge für Frieden und Demokratie gedient“, so Stoltenberg. Die Verbündeten stünden weiterhin Seite an Seite, um sich den Herausforderungen der heutigen Zeit zu stellen. „Aber wir können und müssen gemeinsam mehr tun, um die Sicherheit und den Wohlstand von uns allen sicherzustellen.“

Kein gutes Haar an Deutschland gelassen

Die US-Regierung blieb vor den eigentlichen Feierlichkeiten ihrem konfrontativen Kurs gegenüber anderen Bündnispartnern treu. US-Vizepräsident Mike Pence schlug in eine ähnliche Kerbe wie Trump und holte am Mittwoch zu einem Rundumschlag gegen Deutschland aus. Deutschland habe die stärkste Wirtschaft in Europa, weigere sich aber, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren. „Deutschland muss mehr tun“, so Pence.

Pence kritisierte auch die Kooperation des Landes mit Russland beim Bau der umstrittenen Ostseepipeline „Nord Stream 2“ scharf. Diese wird derzeit über 1.200 Kilometer zwischen Deutschland und Russland durch die Ostsee verlegt und soll russisches Erdgas nach Europa bringen. Etliche EU-Länder und die USA lehnen das Projekt ab. Die Amerikaner haben offen den Ausstieg aus dem Vorhaben verlangt.

„Schlicht inakzeptabel“

Pence warnte, die Sicherheit des Westens könne nicht gewährleistet werden, wenn sich Verbündete von Russland abhängig machten. Es sei falsch, wenn sich Deutschland bei der Energie von Russland abhängig mache. Das könne die deutsche Wirtschaft zu einem Gefangenen der Russen machen. Und es sei schlicht inakzeptabel, wenn Europas größte Volkswirtschaft die Bedrohung durch Russland ignoriere.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas wehrte sich gegen die Kritik an den deutschen Ausgaben. Er bekräftigte das deutsche Bekenntnis zur NATO. „Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, dass die NATO allen Herausforderungen der Zukunft gerecht werden kann“, sagte er am Donnerstag anlässlich des NATO-Treffens zur anhaltenden Kritik am Verteidigungshaushalt, Deutschland sei „entschlossen, unsere Verpflichtungen zu erfüllen“.

Stoltenberg: Nicht wegen USA mehr ausgeben

Stoltenberg sagte am Donnerstag in Washington, er begrüße, dass Deutschland und andere Verbündete nach Jahren der Kürzungen wieder mehr Geld in ihre Verteidigungshaushalte steckten. Er erwarte aber noch mehr.

„Alle Verbündeten haben das Versprechen abgegeben, mehr in Verteidigung zu investieren und die Lastenteilung im Bündnis zu verbessern“, sagte der Norweger. Man habe dieses Versprechen nicht abgegeben, um die USA zu erfreuen, sondern weil man in einer zunehmend unsicheren und unberechenbaren Welt lebe.

Neues Bekenntnis zu Verteidigungsausgaben

Unter dem Druck der USA gaben die NATO-Staaten dann ein neues Bekenntnis zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben ab. „Wir haben wesentliche Fortschritte erzielt, aber wir können, müssen und werden mehr tun“, heißt es in einer von den Außenministern in Washington verabschiedeten Erklärung zum 70. Jahrestag der Bündnisgründung.

Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten hatten 2014 vereinbart, dass sie sich bei ihren Verteidigungsausgaben bis 2024 einem Wert von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts annähern sollen. Die deutsche Regierung hat bisher nur 1,5 Prozent zugesagt, kann aber nicht einmal darlegen, wie sie dieses Ziel erreichen will.

Auch Konflikt Washington – Ankara eskaliert

Auch zwischen den USA und der Türkei eskalierte unterdessen der Streit um den Kauf eines umstrittenen russischen Raketenabwehrsystems durch die Regierung in Ankara. Die USA erhöhten am Mittwoch den Druck auf die Türkei, die an dem Deal mit Moskau aber unbeirrt festhielt.

Pence sagte in Washington: „Die Türkei muss wählen: Will sie ein entscheidender Partner des erfolgreichsten Militärbündnisses der Weltgeschichte bleiben, oder will sie die Sicherheit dieser Partnerschaft riskieren, indem sie unverantwortliche Entscheidungen trifft, die dieses Bündnis untergraben?“ Sollte die Türkei das S-400-Raketenabwehrsystem kaufen, riskiere das Land den Ausschluss aus dem Programm des F-35-Kampfjets.

Der türkische Vizepräsident Fuat Oktay reagierte mit ähnlicher Wortwahl. „Die Vereinigten Staaten müssen wählen“, schrieb er auf Twitter. „Wollen sie ein Verbündeter der Türkei bleiben, oder wollen sie unsere Freundschaft riskieren, indem sie sich mit Terroristen zusammentun, um die Verteidigung ihres NATO-Verbündeten gegen seine Feinde zu untergraben?“ Oktay spielte auf die Unterstützung der USA für die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien an. Ankara sieht in der YPG einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.