Die britische Premierministerin Theresa May und der EU-Ratspräsident Donald Tusk
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Mögliche Teilnahme an EU-Wahl

May bittet um Brexit-Aufschub bis Ende Juni

In das Tauziehen um eine mögliche Brexit-Verschiebung kommt starke Bewegung: Premierministerin Theresa May hat die EU um einen Brexit-Aufschub bis 30. Juni gebeten. Sollte das britische Parlament vor Ablauf dieser Frist dem Austrittsvertrag zustimmen, könne der Brexit entsprechend früher erfolgen, schrieb die Regierungschefin am Freitag in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Es sei frustrierend, dass der Prozess noch nicht zu einem „erfolgreichen und geordneten Abschluss“ gekommen sei, schrieb May in dem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk. London werde aber „verantwortlich Vorbereitungen treffen“ für die Abhaltung der EU-Wahl, sollte eine Ratifizierung nicht möglich sein. An der Wahl wolle sie aber nur teilnehmen, wenn der Deal nicht rechtzeitig angenommen werde.

Tusk hatte seinerseits einen „flexiblen“ Brexit-Aufschub von bis zu zwölf Monaten ins Spiel gebracht. Innerhalb dieses Zeitrahmens solle Großbritannien geordnet aus der EU austreten können, sobald das Land ein Brexit-Abkommen ratifiziert habe, berichtete die BBC unter Berufung auf einen ranghohen EU-Diplomaten.

Hunt gegen längeren Brexit-Aufschub

Großbritannien muss der EU bis zu einem Brexit-Sondergipfel am Mittwoch mitteilen, wie es aus der Union austreten will. Derzeit verhandeln die Regierung der konservativen Premierministerin und die Labour-Opposition über einen Kompromiss. Ohne Lösung würde Großbritannien automatisch am 12. April ohne Abkommen aus der EU ausscheiden.


Balkengrafik zeigt die Sitze im EU-Parlament mit bzw ohne Teilnahme Großbritanniens an der EU-Wahl
Grafik: APA/ORF.at, Quelle: APA/pollofpolls.eu/politico.eu

Der britische Außenminister Jeremy Hunt sprach sich gegen einen längeren Brexit-Aufschub aus. Weder die EU noch Großbritannien dürften daran Interesse haben, sagte er am Rande des G-7-Außenministertreffens im französischen Dinard. Auch habe man in Großbritannien keine Absicht, an der EU-Wahl teilzunehmen. Auf der Suche nach einer Brexit-Lösung werde die Regierung aber „jeden Stein umdrehen“.

„Ungeschickte“ Kommentare

Frankreich hält es Präsidialamtskreisen zufolge für verfrüht, Großbritannien eine weitere Brexit-Verlängerung zu gewähren. Ein Alternativplan als Voraussetzung dafür liege noch nicht vor, sagte ein Diplomat aus dem Umfeld von Staatschef Emmanuel Macron. Bis Dienstag müssten die Briten liefern, damit auf dem EU-Gipfel entschieden werden könne. Dass Tusk laut Brüsseler Diplomatenkreisen eine flexible Verlängerung von bis zu zwölf Monaten vorschlage, seien „ungeschickte“ Kommentare eines EU-Beamten.

Berlin bewertet Mays Wunsch nicht

Die deutsche Regierung will den Wunsch Mays nach Aufschub vor dem EU-Gipfel Mitte kommender Woche nicht bewerten. Aus Sicht der Bundesregierung sei es aber wichtig, dass die Briten nicht nur den Austritt aufschieben wollten, sondern dass sie auch anerkennen würden, dass sie dann Vorbereitungen für die Europawahl treffen müssten, so Regierungssprecher Steffen Seibert.

Euro-Gruppe-Chef Mario Centeno sagte, die EU-Finanzminister hätten Maßnahmen ergriffen, um sich auf einen Brexit ohne Abkommen vorzubereiten. Die EU wolle ein derartiges Szenario aber vermeiden. Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) hoffte bis zuletzt auf einen geordneten Austritt. „Aber man muss auch mit einem harten Brexit leben“, so Löger – das wäre „verdaubar“.

Verhandlungen zwischen May und Corbyn nicht befristet

Ein Ende der Suche von May und Labour-Chef Jeremy Corbyn nach einem gemeinsamen Weg aus der Brexit-Blockade ist vorerst nicht absehbar. Es gebe keine Frist für die Verhandlungen mit Labour, so Mays Sprecher. Die Verhandlungsteams beider Parteien würden auch am Freitag Gespräche führen. Thema ist dabei wohl auch ein zweites Referendum, die Debatte wurde zuletzt wieder angefacht. Am Donnerstag mehrten sich die Stimmen für und gegen ein neues Brexit-Votum.

Der für Brexit-Fragen zuständige Labour-Politiker Keir Starmer sagte vor der neuen Gesprächsrunde mit der Partei von May, dass über ein „bestätigendes“ Referendum diskutiert werde, wie die BBC schrieb. Ins Rollen gebracht hatte die Debatte jedoch ein Politiker aus den Reihen der Premierministerin: Schon in der Nacht auf Donnerstag sprach sich Finanzminister Philip Hammond für ein weiteres Referendum aus.

Labour-Chef Jeremy Corbyn
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Labour-Chef Jeremy Corbyn wurde auch von den eigenen Parteimitgliedern unter Druck gesetzt

Eine Abstimmung zur Bestätigung der Bedingungen des EU-Austritts sei „ein vollkommen glaubwürdiger Vorschlag“ und verdiene es, im Parlament getestet zu werden, so Hammond, der sich damit gegen die Parteilinie stellte. Entsprechend abgelehnt wird ein neues Referendum deshalb etwa von Gesundheitsminister Matt Hancock: Er sei „sehr stark gegen“ ein zweites Referendum, sagte er der BBC.

Doch auch bei Labour ist eine eindeutige Linie nach wie vor nicht zu erkennen. 25 Labour-Abgeordnete wandten sich in einem Brief an Labour-Chef Corbyn und forderten ihn auf, einen „zusätzlichen Schritt“ auf May zuzugehen, um ein mehrheitsfähiges Austrittsabkommen auf die Beine zu stellen. Ein zweites Referendum würde das Land „einfach weiter spalten“, heißt es in dem Brief.

Oberhaus entscheidet über Brexit-Verschiebung

Im Oberhaus wird davon ungehindert über den vom Unterhaus am Mittwoch knapp angenommenen Beschluss zu einer möglichen Verschiebung des Brexits diskutiert. Der Ausgang der Debatte der Adeligen und Geistlichen wird mit Spannung erwartet, das Gesetz könnte im Eiltempo beschlossen werden, nachdem man sich im Oberhaus für eine beschleunigte Behandlung des Vorschlags aussprach.

Dennoch wird mit Verzögerungen durch EU-skeptische Mitglieder gerechnet – nicht zuletzt, weil Mays konservative Torys das Oberhaus dazu aufriefen, den Vorschlag genau zu prüfen. Normalerweise ist die Zustimmung des großteils proeuropäischen House of Lords, das sich aus Adeligen und Geistlichen zusammensetzt, jedoch nur Formsache. Nach Angaben von Labour könne das Oberhaus die Debatte auch erst am Montag abschließen. Das Gesetzgebungsverfahren dauert in Großbritannien üblicherweise Monate.

Britische Polizei warnt vor aufgeheizter Stimmung

Die britische Polizei rief unterdessen zur Mäßigung im Brexit-Chaos auf. Die Menschen dürften nicht – etwa in Reden – aufgewiegelt werden, sagte der Vorsitzende des Rats der Polizeichefs (NPCC), Martin Hewitt, am Donnerstag in London. Etwa 10.000 speziell ausgebildete Einsatzkräfte stünden binnen 24 Stunden bei größeren Störungen im Falle eines ungeregelten EU-Austritts parat. „Wir befinden uns in einer unglaublich aufgeheizten Stimmung“, sagte Hewitt. Es handle sich aber nur um Vorsichtsmaßnahmen.