Mann mit einer EU-Fahne und eine Fahne Großbritanniens auf auf einem Podest
Reuters/Francois Lenoir
Treffen in Brüssel

Entscheidender EU-Gipfel zu Brexit

Zwei Tage vor dem – vorläufig – endgültigen Datum für den Austritt Großbritanniens aus der EU kommt es am Mittwoch zu einem letzten Spitzentreffen in Brüssel. Die britische Premierministerin Theresa May wird bei der EU um eine weitere Verschiebung des EU-Austritts ansuchen. Nur ein einstimmiges Ja der verbleibenden 27 EU-Mitglieder kann einen ungeregelten Brexit noch verhindern.

Mit dem Ziel, den Brexit bis zum 30. Juni aufzuschieben, reist May am Mittwoch nach Brüssel. Innenpolitisch sind ihr die Hände gebunden, denn erst am Montag entschied sich das britische Abgeordnetenhaus für ein Gesetz, das die Premierministerin daran hindert, ohne Abkommen aus der EU auszuscheiden. Am Dienstag bestätigte das Parlament den Termin für den Aufschub – damit ist May mit einem fixen Auftrag in Brüssel.

Die Führung des EU-Parlaments forderte May vor dem Gipfel zu einer klaren Vorgangsweise auf: „Wir erwarten von May, Auskunft über die Gespräche mit der Labour-Partei zu geben und ob es eine parlamentarische Mehrheit für ein Ergebnis geben könnte“, so die Parlamentsführung am Mittwoch. Wenn das nicht der Fall sei, müsse May die weiteren Schritte aufzeigen, Sei es ein Referendum, Neuwahlen oder ein Zurückziehen des Austrittsantrags.

EU für Verlängerung bis Tag X

Doch das letzte Wort hat die EU: Am Abend müssen die Staats- und Regierungschefs der restlichen 27 Mitglieder über den weiteren Ablauf des Brexits entscheiden. Ob sie Mays Vorschlag, nur einen Monat nach der EU-Wahl aus der EU auszuscheiden, zustimmen werden, ist jedoch unklar. Zwar dürften die meisten Länder für eine Verlängerung sein, doch: Die Entscheidung muss einstimmig fallen. Andernfalls dürfte das ungeregelte Ausscheiden Großbritanniens am Freitag praktisch nicht mehr aufzuhalten sein.

Doch dieser Zeitplan könnte sich jetzt grundlegend ändern: In einem Entwurf der Erklärung, der am Dienstag an die Öffentlichkeit gelangte, wird der 1. Juni als Austrittsdatum genannt – und zwar nur dann, wenn Großbritannien nicht an der EU-Wahl teilnimmt. Sonst sei auch eine längere Verschiebung möglich, heißt es darin.

Die EU will Großbritannien damit offenbar eine flexible Brexit-Fristverlängerung anbieten. Das Datum wurde in dem Entwurf derzeit allerdings nur mit „X“ gekennzeichnet. „Wenn das Vereinigte Königreich diese Verpflichtung nicht erfüllt, wird der Austritt am 1. Juni 2019 stattfinden.“ Weiters heißt es in dem Dokument, das noch mit einem Datum befüllt werden muss: „Eine solche Verlängerung soll nur so lange dauern wie notwendig, und auf jeden Fall nicht länger als (XX.XX.XXXX).“ Angeblich soll als Datum der 30. März 2020 im Raum stehen, heißt es indes aus EU-Kreisen.

Dokument Medien zugespielt

Die EU behält sich in dem Entwurf, der unter anderem dem Sky-News-Journalisten Faisal Islam zugespielt wurde, vor, dass eine Verlängerung keine Untergrabung der EU-Institutionen vonseiten Großbritanniens dulde. Großbritannien habe sich „konstruktiv und verantwortungsbewusst“ bis zum Tag X zu verhalten. Der EU-Rat könnte dabei auf einen Tweet des Tory-Abgeordneten Jacob Rees-Mogg angespielt haben. Er forderte Großbritannien auf, der EU im Falle einer Verlängerung das Leben so schwer wie möglich zu machen.

Verschiebung des Brexit-Stichtags

In einem Entwurf für den am Mittwoch stattfindenden EU-Sondergipfel ist von einer flexiblen Verlängerung des Brexit die Rede, dieser dürfte demnach auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

Zudem dürfe die Verlängerung auch nicht dafür benutzt werden, künftige Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien zu diskutieren, zum Beispiel etwaige Handelsabkommen. Jener Teil des Deals, der den umstrittenen Backstop beinhaltet, soll zudem nicht mehr aufgeschnürt werden können. Der Backstop stellt eine offene Grenze zwischen Irland und Nordirland sicher.

May verteidigt Brexit-Vorgehen

May verteidigte ihre Linie, ihr Land nicht ohne Abkommen aus der Europäischen Union zu führen. Es sei der beste Weg, die Staatengemeinschaft geordnet und mit einer Vereinbarung zu den zukünftigen Beziehungen zu verlassen, sagte May am Mittwoch in London während einer Regierungsbefragung im britischen Unterhaus.

Ein zweites Referendum über den EU-Austritt der Briten lehnt May weiterhin ab: „Meine Meinung hat sich nicht geändert“, sagte sie. Auch das Parlament habe das bereit zweimal abgelehnt. Es sei aber möglich, dass die Abgeordneten noch einmal darauf drängen.

Österreich gegen „Hard Brexit“

Bereits im Vorfeld des EU-Gipfels meldeten sich einige europäische Politiker und Politikerinnen zu Wort. Österreich will sich nach den Worten von Europaminister Gernot Blümel (ÖVP) dafür einsetzen, dass ein harter Brexit vermieden wird. Einer weiteren Verlängerung der Ausstiegsfrist würden die EU-Mitgliedsländer allerdings nur zustimmen, wenn es substanzielle Vorschläge der Briten gebe, die eine Verschiebung sinnvoll machten. „Ich erwarte aber, dass die Einheit der EU-27 auch hier aufrecht bleibt“, sagte Blümel.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) rechnet mit einer Verlängerung der Frist für den Austritt Großbritanniens aus der EU. „Es läuft in Richtung Verlängerung und wahrscheinlich über den 1. Juni hinaus“, sagte Kurz im Vorfeld des Brexit-Gipfels am Mittwoch vor Journalisten in Wien.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen wandte sich gegen zu pessimistische Einschätzungen bezüglich der EU-Wahl. Wenn man dauernd sage, die Sprengmeister würden gewinnen, werde das dann vielleicht tatsächlich eintreten. Er sei „gemäßigt optimistisch“, so das Staatsoberhaupt am Mittwoch. Der Brexit sei aber ohnehin eine Lose-Lose-Situation und ein wirtschaftspolitischer Unsinn, der die Gefahren der Demokratie aufzeige.

Merkel: „Es bleiben noch knapp 59 Stunden“

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist zu einem längeren Aufschub des Brexit-Datums bereit, stellt dafür aber Bedingungen. Der britische EU-Austritt könne auch über die von Großbritannien erbetene Fristverlängerung bis zum 30. Juni hinaus verschoben werden, sagte Merkel am Mittwoch im Bundestag.

Ein Aufschub des Brexits sollte ihr zufolge aber so kurz wie möglich sein. Man dürfe sich aber auch nicht andauernd neu mit der Frage beschäftigen müssen, sagte sie bei einer Fragestunde im deutsche Bundestag. „Ich trete dafür ein, dass es durchaus eine Verlängerung über mehrere Monate, aber mit der Option des sofortigen Ausscheidens Großbritanniens gibt.“

Bei einem längeren Verbleib Großbritanniens in der EU müsse sichergestellt sein, „dass die europäischen Institutionen weiterhin ordnungsgemäß funktionieren können“. Großbritannien müsse sich dann an der Europawahl beteiligen und die Bereitschaft zeigen, „bei Entscheidungen konstruktiv mitzuwirken“, sagte sie weiter. Merkel verwies darauf, dass es zum Zeitpunkt ihrer Rede vor dem Bundestag „nur noch knapp 59 Stunden Zeit“ gebe, „um gemeinsam einen ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union zu verhindern“.

Angela Merkel verabschiedet Theresa May
APA/AFP/Michele Tantussi
Merkel winkte May zum Abschied des Treffens am Dienstag

Am Tag zuvor traf Merkel May persönlich, bevor diese zu dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron weiterreiste, um auch bei ihm Rückendeckung für eine Verschiebung zu suchen. Frankreich hatte eine Verlängerung zuvor mehr als skeptisch gesehen, ist aber nun offenbar auf eine Linie mit Deutschland geschwenkt.

Dänemark und Schweden „offen“ und „flexibel“

Der dänische Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen sprach sich ebenso für einen längeren Brexit-Aufschub aus. „Ich reise mit einer offenen Einstellung nach Brüssel und gehöre zu dem Lager, das eine längere Verschiebung für besser hält, um dem Vereinigten Königreich mehr Zeit zu geben“, sagte er vor Journalisten und Journalistinnen.

Neue Brexit-Verschiebung möglich

In Brüssel treffen die Spitzen der EU zu einem Sondergipfel zusammen. Sie wollen den Briten ermöglichen, ihren Austritt aus der EU noch einmal zu verschieben, vielleicht sogar bis Jahresende.

Der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven zeigte sich in Bezug auf einen Aufschub des Brexits flexibel. Für ihn komme auch eine längere Frist als der von May vorgeschlagene Termin Ende Juni infrage, sagte er am Mittwoch laut der Nachrichtenagentur TT bei einem Treffen des parlamentarischen schwedischen EU-Ausschusses.

Belgien fordert „Schleudersitz“-Klausel

Belgien forderte ein automatisches Ausscheiden Großbritanniens, wenn es während der Verlängerungsphase gegen Interessen der Europäischen Union verstößt. Nötig sei „große Klarheit“ darüber, wie sich Großbritannien in dieser Zeit verhalten werde, sagte der belgische Regierungschef Charles Michel am Mittwoch dem Radiosender RTL. Vorstellbar seien „Bedingungen“, die bei Nichteinhaltung „automatisch zum Ende der Präsenz Großbritanniens innerhalb der EU führen“.

London müsse „von jeglicher Maßnahme absehen, die das Erreichen der Unionsziele gefährden könnte“. Hier ist bereits eine „Schleudersitz“-Klausel vorgesehen, wenn Großbritannien nicht an der Europawahl Ende Mai teilnimmt. Das Land würde dann zum 1. Juni automatisch aus der EU ausscheiden.

EU-Kommission: Harter Ausstieg „macht uns keine Angst“

Die EU-Kommission setzte indes am Mittwoch ihre Reihe von Notfallmaßnahmen im Fall eines harten Brexits fort. Ein Sprecher sagte, ein „No Deal“ sei „gewiss nicht das Ergebnis, das wir uns wünschen, aber es macht uns keine Angst. Wir sind vorbereitet.“

Am Mittwoch seien Leitlinien zu fünf Bereichen beschlossen worden. Diese betreffen die Aufenthalts- und Sozialversicherungsansprüche der Bürger und Bürgerinnen, den Datenschutz, die Arzneimittel- und Medizingeräte sowie die politische und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Ein reibungsloser Übergang solle damit gewährleistet werden.

Emmanuel Macron und Theresa May
APA/AFP/Martin Bureau
Nach den Gesprächen mit Merkel suchte May am Dienstag auch Rückendeckung bei Macron

Brexit-Minister: Flexible Verschiebung akzeptabel

Der britische Brexit-Minister Stephen Barclay kann sich einen langen Aufschub des EU-Austritts nicht vorstellen. „Ich möchte keine Verzögerung bis zu einem Jahr sehen“, sagte der Minister am Mittwoch der BBC. Positiv hob Barclay aber Brüssels Vorschlag hervor, eine Verlängerung flexibel zu gestalten. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte hingegen eine Verzögerung um bis zu zwölf Monate vorgeschlagen – mit der Option, die Staatengemeinschaft früher zu verlassen, wenn eine Einigung auf einen Brexit-Deal gelingt.

Ursprünglich hätte Großbritannien bereits am 29. März austreten sollen. Dann wurde praktisch in letzter Minute eine Verlängerung erreicht. Diese sah vor, dass Großbritannien am 12. April ausscheidet, wenn es bis dahin zu keiner anderen Einigung kommt – sollte man sich auf einen Vertrag einigen, könnte Großbritannien bis zum 22. Mai, dem Tag vor der EU-Wahl, aus der Union ausscheiden.