Angela Merkel
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„Bis zum Jahreswechsel“

Merkel offen für Verschiebung des Brexits

Die britische Premierministerin Theresa May hat im Brexit-Streit Rückendeckung in Deutschland und Frankreich gesucht. Während sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel eine Verschiebung des britischen EU-Austritts bis zum Jahreswechsel vorstellen kann, steht man diesem in Paris skeptisch gegenüber. Ein Tag, der einen Vorgeschmack auf den EU-Gipfel am Mittwoch zu geben scheint.

In einer Sitzung der deutschen CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe sich die Kanzlerin offen für einen Aufschub von mehreren Monaten bis zum Jahreswechsel gezeigt, berichteten am Dienstag Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Sitzung in Berlin. Ein ungeordneter Austritt Großbritanniens aus der EU sei nicht im Interesse Europas, sagte Merkel demnach.

May sicherte Merkel nach deren Angaben wiederum zu, dass Großbritannien alle Rechte und Pflichten in der EU wahrnehmen werde, solange das Land Mitglied der Europäischen Union sei. Merkel wurde mit den Worten zitiert, der Ansatz des britischen Parlaments, keinen ungeordneten Brexit zuzulassen, „sollte als Schatz begriffen werden, den wir stützen sollten“.

Skepsis in Frankreich

Nach dem Treffen mit Merkel in Berlin reiste May zu Beratungen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Paris. Das Onlineportal Buzzfeed berichtete am Dienstag unter Berufung auf europäische Diplomaten, Macron wolle eine Brexit-Aufschiebung höchstens bis zum Jahresende. Einer seiner Mitarbeiter sagte aber: „Ein Jahr wäre für uns zu lang.“ Der französische Präsident sei zudem für Überprüfungen alle drei Monate. Damit solle sichergestellt werden, dass das Vereinigte Königreich die EU-Geschäfte nicht lahmlegt.

Angela Merkel und Theresa May
AP/Markus Schreiber
May traf in Berlin mit Merkel zusammen

Die französische Europaministerin Amelie de Montchalin sagte, Großbritannien müsse einen „glaubwürdigen Plan“ vorlegen. Zweitens müsse London darlegen, welche Rolle es in der EU während der Fristverlängerung spielen werde und welche EU-Entscheidungen es mitmachen werde, sagte De Montchalin. Paris halte es etwa für logisch, dass sich Großbritannien dann auch nicht an EU-Budgetverhandlungen beteilige, sagte ein Vertreter des französischen Präsidialamts.

May kann wohl mit weiterem Brexit-Aufschub rechnen

May will einen weiteren Aufschub bis zum 30. Juni. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat dagegen eine Verlängerung um bis zu zwölf Monate vorgeschlagen. Die Entscheidung soll am Mittwochabend oder in der Nacht auf Donnerstag auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel fallen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte auf die Frage, ob es am Freitag noch einen „harten Brexit“ geben könnte: „Sicherlich nicht.“

Die EU will Diplomaten zufolge Großbritannien einen weiteren Brexit-Aufschub gewähren. Kurz vor dem Sondergipfel werde nur noch über die Bedingungen für eine Fristverlängerung und die zeitliche Dauer diskutiert, hieß es nach einem Ministertreffen in Luxemburg zur Vorbereitung des Treffens.

Trend in Richtung längere Frist

Ein Teil der Mitgliedsstaaten sei dafür, die Austrittsfrist wie von der Regierung in London gewünscht zu verlängern. Ein anderer Teil bevorzugt einen längeren Aufschub, um das Risiko neuer Diskussionen im Sommer auszuschließen. Der Trend soll den Angaben zufolge in Richtung einer längeren Frist gehen. Einige Medien – darunter der britische „Guardian“ – spekulierten, dass die EU-Staaten eine Deadline bis Ende dieses Jahres anbieten könnten.

Eine Bedingung für eine neue Verschiebung des Brexit-Datums soll sein, dass die Briten am 23. Mai an der Europawahl teilnehmen. Das soll sicherstellen, dass es keine rechtlichen Schwierigkeiten gibt, wenn Großbritannien im Sommer noch EU-Mitglied sein sollte. Frankreich spreche sich jedoch gegen eine Teilnahme an der EU-Wahl aus, so der Vertreter des französischen Präsidialamts.

Brexit: May trifft auf Merkel

May traf einen Tag, bevor die EU über eine Verschiebung des Brexit entscheidet, auf Merkel

Zudem wollen Mitgliedsstaaten erreichen, dass sich London verpflichtet, nicht aktiv in EU-Entscheidungen einzugreifen. Relevant könnte das etwa bei der Ernennung des nächsten EU-Kommissionspräsidenten oder den Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis Ende 2027 sein.

Blümel fordert „substanzielle Begründung“

Den 12. April als neuen Brexit-Stichtag nach dem verstrichenen Austrittsdatum 29. März hatten die EU-Staats- und -Regierungschefs zuletzt auf einem Gipfel für den Fall vereinbart, dass der Austrittsvertrag bis dahin vom britischen Unterhaus nicht verabschiedet ist. Bisher verpasste der Austrittsvertrag dreimal in Westminister die nötige Mehrheit. Die aktuelle Beschlusslage sei, dass Großbritannien Ende dieser Woche aus der EU ausscheiden würde. „Das gilt derzeit“, sagte EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP).

Wenn sich daran etwas ändern sollte, müsste es eine „substanzielle Begründung“ geben, die derzeit noch nicht vorliege. Blümel sagte aber ebenso, es sei die Priorität aller, „die Einheit der EU-27 aufrecht zu halten, aber auch einen ‚No Deal‘ zu verhindern“. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hält eine Verlängerung der Brexit-Austrittsfrist unter gewissen Bedingungen für vorstellbar. Im Kanzleramt hieß es am Dienstag auf Anfrage der APA, dass dazu jedenfalls ein konkreter Plan der britischen Premierministerin notwendig sei. Kurz habe Montagabend mit May gesprochen, wobei vor allem die Vermeidung eines „Hard Brexit“ erörtert wurde.

„Konstruktive“ Gespräche in London

Für Verwunderung sorgte ein Vorschlag der britischen Regierungsvertreterin Andrea Leadsom: Die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin schlug am Dienstag plötzlich Änderungen am längst fixierten Brexit-Abkommen vor. Dabei hatte Brüssel immer wieder betont, dass das zwischen der EU und May vereinbarte Austrittsabkommen auf keinen Fall wieder aufgeschnürt wird. Spielraum gebe es nur bei der Politischen Erklärung zum Brexit.

Auf der Suche nach einem Weg aus der Brexit-Sackgasse setzten die britische Regierung und die Opposition in London ihre Gespräche fort. Labour hatte zuvor kritisiert, dass die Regierung auf ihrer Meinung beharre. Justizminister David Gauke sprach hingegen von „konstruktiven“ Gesprächen. Es sei aber noch zu früh zu sagen, ob man zu einer Einigung komme. „Flexibilität von beiden Seiten ist nötig“, sagte Gauke am Dienstag der BBC.

Das britische Parlament stimmte indes der Bitte von May um eine erneute Verlängerung der Brexit-Frist bis zum 30. Juni zu. Der Antrag der Regierung bekam am Dienstag im Unterhaus in London eine große Mehrheit von 420 zu 110 Stimmen. Dass die Parlamentarier überhaupt darüber abstimmen konnten, hatten sie sich erst in der Nacht zum Dienstag per Gesetz gesichert. Hätte das Parlament den Antrag abgelehnt, hätte die britische Regierung wohl einen neuen stellen müssen – aber trotzdem die Möglichkeit gehabt, mit den 27 anderen EU-Staaten zu verhandeln, wie ein Parlamentssprecher erklärte.