Röntgen eines Menschlichen Beckens
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Osteoporose-Therapie

Wundermittel mit Wermutstropfen

Mehrmals war der Antrag auf Zulassung einer neuen Therapie gegen Osteoporose in den USA bereits gescheitert, Anfang April aber gab es grünes Licht. Romosozumab heißt das Mittel, auf dem große Hoffnungen ruhen. In Europa ist das biotechnologisch hergestellte Präparat erst in Begutachtung – zu unklar scheinen noch die Nebenwirkungen.

Osteoporose ist ein Missverhältnis zwischen Knochenanbau und Knochensubstanzverlust – laut Weltgesundheitsorganisation WHO zählt sie zu den zehn häufigsten Erkrankungen. Jede dritte Frau und jeder fünfte Mann erleidet im Krankheitsverlauf eine Fraktur, oft an Hüfte oder Wirbelsäule. Am häufigsten von Knochenschwund betroffen sind Frauen über 50, hormonelle Ursachen nach der Menopause begünstigen die Entstehung.

Etablierte Arzneimittel können den Knochenaufbau stimulieren oder den Knochenabbau hemmen – also osteoanabol oder antiresorptiv wirken. Auf Bisphosphonate sowie den Antikörper Denosumab trifft Zweiteres zu, Teriparatid kurbelt „den gesamten Knochenstoffwechsel an“, wie Katharina Kerschan-Schindl, Universitätsprofessorin für Physikalische Medizin und Rehabilitation an der Medizinischen Universität Wien, gegenüber ORF.at sagte. Die Knochenformation wird aber deutlich mehr gesteigert als die Knochenresorption.

Vermeintlicher Alleskönner

Mit Romosozumab wurde erstmals ein Mittel erzeugt, das beide wirksamen Eigenschaften in sich vereint. Der biotechnologisch hergestellte Antikörper hemmt Sklerostin, ein Protein, das die Knochenformation und –resorption blockiert. Die Entdeckung, dass Menschen mit einem seltenen, genetisch bedingten Sklerostinmangel eine hohe – oft zu hohe – Knochendichte aufweisen, führte die Wissenschaft dazu, das Protein als möglichen Schlüssel zur Osteoporose-Therapie zu definieren.

Symptome und Verbreitung

Osteoporose ist eine Erkrankung des Skeletts. Dabei sind Masse, Qualität und Festigkeit der Knochen vermindert und ihre Brüchigkeit ist erhöht. Osteoporose kann sowohl bei Frauen als auch bei Männern jeden Alters auftreten, ihre Häufigkeit steigt jedoch bei älteren Menschen. Weltweit sind etwa 250 Millionen Menschen von Osteoporose betroffen, in Österreich sind es rund 750.000, davon mehr als 600.000 Frauen.

Die Studien nahmen 1964 in Südafrika ihren Ausgang, wie die „New York Times“ kürzlich berichtete: Forscher untersuchten eine Gruppe von Menschen, die groß und schwer waren, nicht aber dick. Vielmehr waren ihre Knochen ungewöhnlich massiv und wurden laufend dichter. Durch den übermäßigen Knochenwuchs wurden Nerven im Schädel blockiert, die Folgen reichten von heftigen Kopfschmerzen bis hin zu Taubheit oder Gesichtslähmung. Bei einigen Patientinnen und Patienten verwuchsen Zeige- und Mittelfinger miteinander. Jahrzehnte später stellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest, dass eine einzelne Genmutation dahinter steckte: Die Betroffenen konnten kein Sklerostin aufbauen, ihr Knochenwuchs erfolgte somit ungebremst.

Langjährige Forschung

Diese Erkenntnis machten sich die Pharmaunternehmen Amgen und UCB zu eigen, die seit 2004 an der Entwicklung von Romosozumab arbeiteten. Im Jänner 2019 wurde der Wirkstoff unter dem Handelsnamen Evenity erstmals approbiert. Vorreiter war Japan, wo derzeit zwölf Millionen Menschen an Osteoporose leiden – Tendenz steigend: 2050 werden Prognosen zufolge 37 Prozent der Bevölkerung über 60 sein. Drei Monate später gab die Food and Drug Administration (FDA) in den USA ihren Sanktus für die Zulassung.

Osteoporose-Medikament
Amgen/UCB

Wirksamkeit und Sicherheit von Evenity wurden in Studien mit Tausenden Teilnehmerinnen mit postmenopausaler Osteoporose untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass die Behandlung mit Evenity über einen Zeitraum von einem Jahr das Risiko eines Wirbelbruchs im Vergleich zum Placebo um 73 Prozent senkte. Eine Dosis besteht aus zwei Injektionen, die einmal pro Monat verabreicht werden. Der knochenbildende Effekt des Antikörpers nimmt nach einem Jahr ab – im Anschluss ist eine Therapie angeraten, die dem Knochenabbau entgegenwirkt, wie Universitätsprofessorin Kerschan-Schindl betonte.

Die hohe Wirksamkeit und der Vorteil, nicht täglich an die Medikamenteneinnahme denken zu müssen, sprechen klar für Romosozumab. Doch dass das Präparat in Europa noch nicht zugelassen ist, hat einen triftigen Grund: sein kardiotoxisches Potenzial. Nicht geeignet ist es somit für Patientinnen, die im Vorjahr einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hatten. Kerschan-Schindl zitierte die Sicherheitsinformation der FDA: „Generell sollen Vor- und Nachteile der Therapie bei Patientinnen mit kardiovaskulären Risikofaktoren genau gegenübergestellt werden. Auf allfällige Symptome eines Herzinfarktes oder Schlaganfalles muss geachtet und gegebenenfalls sofort entsprechende medizinische Versorgung veranlasst werden.“

„Nichts anderes in der Pipeline“

Trotz potenzieller Nebenwirkungen hofft die Universitätsprofessorin auf eine baldige Zulassung auch in Europa, denn – „derzeit sind keine anderen Medikamente in der Pipeline“. Insbesondere bei Frauen in der Postmenopause mit einem hohen Frakturrisiko würde sich das therapeutische Spektrum dadurch deutlich erweitern.

Das könnte sich aber noch hinziehen. Zwar ist Romosozumab bereits bei der EMA (European Medicines Agency) zur Begutachtung eingereicht, wie Universitätslektor Christoph Baumgärtel von der österreichischen Arzneimittelbehörde AGES gegenüber ORF.at sagte. Doch eine tatsächliche Bewilligung wäre auch im besten Fall kaum vor Herbst möglich.

Etablierte Medikamente

Die derzeit gängigsten Osteoporose-Medikamente sind die antiresorptiv wirkenden Bisphosphonate wie Zoledronsäure. 2010 wurde der monoklonale Antikörper Denosumab, der zweimal jährlich injiziert wird, zugelassen. Anabol wirksam ist Teriparatid.

Komplexes Verfahren

Die EMA sieht im Fall von monoklonalen Antikörpern ein zentrales, also EU-weit gültiges Zulassungsverfahren vor. Eine notwendige positive Empfehlung, so Baumgärtel, könnte frühestens im Juni vorliegen. Wird ein entsprechendes Gutachten verfasst, erstellt die EU-Kommission den finalen Zulassungsbescheid, der für alle Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes (28 EU-Länder, sowie Norwegen, Island und Liechtenstein) rechtswirksam ist. Auch dieser Prozess veranschlagt mehrere Monate.

Für Baumgärtel steckt ein hohes Potenzial in monoklonalen Antikörper wie Romosozumab. Diese werden aufwendig in Bioreaktoren hergestellt und richten sich gezielt gegen einen Rezeptor oder ein Zielmolekül im Körper, in diesem Fall eben gegen Sklerostin. Diesbezügliche Therapieansätze gibt es bereits in der Krebstherapie: Rezeptoren von Tumorzellen werden dabei ausgeschaltet, bösartige Zellen können sich so nicht mehr teilen. Diese Medikamente gehören freilich zu den teuersten auf dem Markt, so Baumgärtel. Mehrere tausend Euro seien für eine Behandlung durchaus zu veranschlagen – insbesondere direkt nach der Zulassung.

Weiter warten

Der AGES-Experte sieht Romosozumab derzeit als „Second- bis Last-Line-Therapie“, geeignet ist es also primär für – vorwiegend – Frauen mit Knochenbrüchen in der Vergangenheit oder mit mehreren Risikofaktoren für Knochenbrüche sowie für Patientinnen, die auf andere Therapien nicht angesprochen oder diese nicht vertragen haben. Noch aber heißt es hierzulande weiter warten und auf die Wirkung etablierter Therapiemöglichkeiten zu setzen.