Die UNO befürchtet, dass die Hauptlast der Gewalt vor allem Zivilisten trifft. Fast 10.000 Menschen sind laut UNO bereits vor den anhaltenden Gefechten rund um Tripolis geflüchtet. Die Hälfte der Betroffenen wurde in den vergangenen zwei Tagen vertrieben, teilte die UNO am Freitag mit. Zudem seien „viele Familien in Konfliktgebieten eingeschlossen“, sagte UNO-Sprecher Rheal Leblanc. Auch die Nahrungsmittelvorräte würden knapper. Die UNO forderte am Freitag eine „humanitäre Feuerpause“ rund um Tripolis, damit Zivilisten geholfen oder die Flucht ermöglicht werden kann.
„Die Kämpfer nähern sich dem Inneren von Tripolis“, warnte auch Sjed Dschaffar Hussain, Abgesandter der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die WHO hat sich bereits für den Notfall gewappnet. Nach eigener Auskunft habe die WHO bereits Krisenpläne für den Fall, dass die Zahl der Geflüchteten in die Hunderttausende steigt. Dann seien wegen der schlechten sanitären Lage Epidemien zu erwarten.
Seit vergangener Woche wurden mindestens 75 Menschen bei Kämpfen getötet, sieben davon waren Zivilisten. Zudem wurden 323 Menschen verletzt, wie ein WHO-Mitarbeiter sagte. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) konnte unterdessen 160 Menschen in Sicherheit bringen. Die Menschen wurden nach Mali, Burkina Faso und an die Elfenbeinküste geflogen.
Chaos nach Sturz von Gaddafi
Seit der Militärintervention der NATO in Libyen und dem Sturz des Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 herrscht in dem nordafrikanischen Land Chaos. Die Regierung in Tripolis ist schwach und hat weite Teile des Landes nicht unter Kontrolle. Militärführer Chalifa Haftar unterstützt mit den Truppen der Libyschen Nationalen Armee (LNA) eine Gegenregierung, die im Osten Libyens herrscht.
Ihm war es in der Vergangenheit gelungen, mit einer Reihe erfolgreicher Militäreinsätze einen großen Teil des Landes, darunter Teile des Südens, wo sich große Ölfelder befinden, unter Kontrolle zu bringen. Am 4. April hatte Haftar eine Offensive gegen Tripolis angekündigt. Haftar will die international anerkannte Regierung Libyens, die Regierung der nationalen Einheit (GNA) unter der Führung von Fajis al-Sarradsch, stürzen, um den Westen Libyens zu kontrollieren. Haftar wird nach Angaben von EU-Diplomaten von Russland, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien unterstützt.
Laut Augenzeugen sowie Berichten von Haftars LNA bombardierten LNA-Kampfflugzeuge am Freitag ein Lager von GNA-nahen Truppen in Zuwara, westlich von Tripolis. Zuwara befindet sich in der Nähe eines Öl- und Gaswerks des italienischen Öl- und Gasunternehmens ENI. Dieses hatte zuletzt sein Personal aus dem Land gebracht. Auch der Flughafen Mitiga in Tripolis, der sich nur teilweise in Betrieb befindet, wurde angegriffen. Es folgten Gefechte. Das Ausmaß des Schadens war unklar.
EU-Hilfskommission abgezogen
Die EU reagierte bereits auf den Konflikt und brachte die Mitglieder ihrer Hilfsmission aus der libyschen Hauptstadt Tripolis in Sicherheit. Etwa 20 Mitglieder der zivilen Grenzschutzmission der EU in Libyen (EUBAM) wurden bereits am Mittwoch ins benachbarte Tunesien gebracht, teilte AFP zuletzt mit Verweis auf EU-Kreise mit.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini forderte am Donnerstag ein sofortiges Ende der Kämpfe. Sie habe alle Konfliktparteien, insbesondere Haftar, „nachdrücklich aufgefordert, alle militärischen Operationen einzustellen und an den Verhandlungstisch unter der Schirmherrschaft der UNO zurückzukehren“. Sie habe sowohl mit Haftar als auch mit Sarradsch gesprochen.
UNO-Konferenz auf unbestimmte Zeit verschoben
Auch der UNO-Friedensplan für das zerrissene nordafrikanische Land ist durch den Vormarsch Haftars in Gefahr. Die geplante Allparteienkonferenz der UNO zur Zukunft Libyens war zuletzt auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Treffen sei wegen der Kämpfe südlich der Hauptstadt Tripolis vorerst abgesagt worden, sagte der UNO-Gesandte Ghassan Salame. „Wir können die Teilnahme an der Konferenz nicht verlangen, solange geschossen wird und Luftangriffe geflogen werden“, hieß es weiter. Er sei aber entschlossen, die Konferenz „so bald wie möglich“ auszurichten.
Zu der Konferenz, die vom 14. bis zum 16. April stattfinden sollte, wurden in der Stadt Ghadames zwischen 120 und 150 Delegierte erwartet. Sie sollten Termine für Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Libyen festlegen. Das ölreiche Libyen ist ein wichtiges Transitland für Flüchtlinge, die Europa erreichen wollen.
Gegner Haftars werfen dem 75-Jährigen vor, er wolle sich als neuer Diktator in Libyen etablieren. Ferner wird befürchtet, dass sich islamistische Milizen das Chaos zunutze machen und die riskante Migration über das Mittelmeer zunimmt. Der Chef der staatlichen Ölgesellschaft, Mustafa Sanalla, warnte überdies vor einer Zerstörung der Produktion.