Wahlplakat in der Ukraine
www.picturedesk.com/Yuri Dyachyshn
Ukraine-Stichwahl

Politdarsteller auf dem Weg zum Präsidenten

Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Ukraine am Sonntag scheint der Sieger festzustehen: Einer Nachwahlbefragung vom Sonntagabend zufolge kommt der Komiker Wolodymyr Selenski auf 73 Prozent der Stimmen. Auf Amtsinhaber Petro Poroschenko entfielen 25 Prozent. Ein Mann ohne jedwede politische Erfahrung dürfte damit die Geschicke des immer noch im Krieg befindlichen Landes übernehmen.

Selenski ist durch die Comedyserie „Sluga naroda“ (Dt.: „Diener des Volkes“) bekannt geworden. Dort spielt er seit Jahren einen erfolgreichen Präsidenten, der gegen die korrupte Machtelite des Landes kämpft. Diese Rolle sucht er nun in die Realität umzusetzen: „Ein neues Leben beginnt, ein normales Leben“, kündigte er nach dem ersten Wahldurchgang großspurig an. „Ein Leben ohne Korruption, ohne Schmiergeld – ein Leben in einem neuen Land, dem Land unserer Träume.“

Sein Antreten passt in eine Zeit, in der Populisten weltweit auf dem Vormarsch sind. Der Politiker und Journalist Serhij Leschtschenko etwa verglich Selenski mit US-Präsident Donald Trump: „Sie sind beide TV-Stars, sie verkaufen den Menschen einen Traum (…), die Menschen haben die Nase voll von der alten Politikerkaste.“ Auch Parallelen zu dem italienischen Komiker Beppe Grillo, der einst die mittlerweile regierende Fünf-Sterne-Bewegung in Italien gründete, wurden gezogen.

Ergebnisse des ersten Wahldurchgangs
APA/AFP/Sergei Supinsky
Exit-Polls nach dem ersten Wahlgang am 31. März. Schließlich landete Selenski bei rund 30 Prozent, Poroschenko bei 16 Prozent.

Drogentests und Scheindebatten

Passend zu dieser Entwicklung verlief der Wahlkampf – Aktionismus überlagerte inhaltliche Diskussionen. Vor laufender Kamera etwa ließen sich die Kandidaten Blut abnehmen, um wechselseitige Alkohol- und Drogenmissbrauchsvorwürfe zu entkräften. Verzweifelt versuchte Poroschenko, Selenski für eine echte Debatte zu treffen. Vergangene Woche tauchte der Präsident uneingeladen in einer Sendung des TV-Kanals 1+1 auf – der Sender steht im Besitz des umstrittenen Oligarchen Igor Kolomoiski, der Selenskis Wahlkampf unterstützte. Poroschenko verlangte seinen Konkurrenten zu sprechen – vergeblich.

Der Schauspieler ließ Poroschenko auch am vergangenen Sonntag sitzen, als dieser für ein geplantes Rededuell im Olympiastadion erschien. Der Präsident aber beharrte auf einem direkten Duell. Mitte der Woche einigten sich die Kandidaten schließlich nach langem Gezerre auf die Eckdaten: Showdown am Freitag im Olympiastadion mit 70.000 Plätzen. Eine wirkliche inhaltliche Debatte stand dabei aber nicht im Vordergrund, neue inhaltliche Akzente wurden vermieden. Es blieb die einzige direkte Begegnung der beiden.

Leere Versprechungen

Läuft alles wie erwartet, endet am Ostersonntag nach fünf Jahren die Ära eines einstigen Hoffnungsträgers. Der durch ein Süßwarenimperium reich gewordene Poroschenko war 2014 im Zuge der Maidan-Proteste an die Macht gelangt. Damals hatte er versprochen, die Ukraine stärker am Westen auszurichten, gegen die weitverbreitete Korruption vorzugehen und den bewaffneten Konflikt mit den prorussischen Rebellen im Osten des Landes zu beenden – nichts davon erfüllte sich, viele Menschen sind ärmer als vor den Protesten.

Amtsinhaber Petro Poroschenko
APA/AFP/Sergei Supinsky
Poroschenko scheiterte wiederholt damit, Selenski zu einem Rededuell zu bewegen

So empfindet Herausforderer Selenski seine eigene politische Unerfahrenheit nicht als Nachteil, im Gegenteil: „Ich bin ein frisches Gesicht. Ich habe nie etwas mit Politik zu tun gehabt“, sagte er. Um mit den gleichen Versprechen aufzuwarten, wie seinerseits Poroschenko: Krieg beenden, Korruption bekämpfen, Armut senken. Dass er in keinem Punkt verrät, wie er das erreichen will, scheint vielen in dem Showwahlkampf gar nicht aufzufallen.

Der Komiker Wolodymyr Selenski
APA/AFP/Genya Savilov
Herausforderer Selenski hielt sich im Wahlkampf nicht weiter mit Inhalten auf

Die ukrainische Soziologin Iryna Bekeschkina brachte in dem Onlinemedium Censor.net ein Beispiel: „37 Prozent der Wähler Selenskis treten für einen NATO-Beitritt ein, 37 Prozent für eine Neutralität des Landes. Um nicht einen Teil seiner Wähler zu verlieren, will er meines Erachtens nicht klar Position beziehen.“ Das wiederum versuchte Poroschenko für sich zu nutzen, indem er sich als einzigen Garanten für prowestliche Werte inszenierte. Auf einem Wahlplakat etwa steht er Kreml-Chef Wladimir Putin mit eiserner Miene gegenüber, darüber die Worte: „Eine entscheidende Wahl“.

Für Poroschenko scheint die Botschaft zu spät zu kommen – auch wenn das saubere Image seines Herausforderers schon etwas gelitten hat. So musste er sich Vorwürfe gefallen lassen, 2014/2015 vier Stellungsbefehle ignoriert zu haben, oder als Russischsprachiger der Amtssprache Ukrainisch nicht gewachsen zu sein.

Wirklich neuer Stil?

Die größten Probleme könnte ihm aber seine Verbindung zu dem Oligarchen Kolomoiski bereiten – dieser war einst Hauptaktionär der inzwischen verstaatlichten PrivatBank, dem Geldwäsche und Betrug im großen Umfang vorgeworfen wurden. Selenski beteuert, seine Beziehung zu Kolomoisky sei rein beruflich, selbstverständlich werde er die Verstaatlichung auch im Falle eines Wahlsieges nicht rückgängig machen. Ob es dem Komiker aber tatsächlich gelingen könnte, einen neuen, sauberen Politstil in der Ukraine zu etablieren, bleibt fraglich.