Camp in Syrien
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IS-Kämpfer-Familien

Kosovo holt 110 Bürger aus Syrien zurück

Prishtina macht vor, wozu die USA und syrische Kurden europäische Länder schon länger drängen: Dutzende Familienmitglieder von Dschihadisten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) konnten am Samstag aus Syrien in ihr Heimatland zurückkehren. Anderswo herrscht Ratlosigkeit, wie mit den gefangenen IS-Kämpfern umzugehen ist.

Die mit Unterstützung der USA geplante Rückführungsaktion ist die bisher größte dieser Art in Europa. Wie das kosovarische Justizministerium in Prishtina mitteilte, waren unter den 110 Bürgern vier Männer, die in Syrien für den IS gekämpft haben sollen. Bei der Mehrheit der Rückkehrer handelte es sich um Frauen und Kinder von IS-Dschihadisten.

Justizminister Abelard Tahiri sprach von einer „sehr heiklen und wichtigen Operation“. Die vier mutmaßlichen IS-Kämpfer wurden für 48 Stunden in Untersuchungshaft genommen. 32 Rückkehrer waren Frauen, die ihren Männern nachgereist waren, nachdem diese sich Dschihadistengruppen angeschlossen hatten. Dazu kamen 74 Kinder – unter ihnen neun, deren Eltern während des Krieges in Syrien ums Leben gekommen sind. Tahiri sagte, die zurückgekehrten Menschen verdienten eine „Rehabilitierung und die Hoffnung auf ein friedliches Leben“, viele seien schwer traumatisiert.

Überproportional viele Kämpfer aus dem Kosovo

Der überwiegend muslimische Kosovo ist im Verhältnis zur Bevölkerungszahl das europäische Land, aus dem die meisten ausländischen IS-Kämpfer stammen: Nach Angaben aus Prishtina hatten sich insgesamt rund 300 Kosovaren Dschihadistengruppen in Syrien und im Irak angeschlossen. Rund 70 von ihnen starben, etwa 120 konnten in den Kosovo zurückkehren, wo die meisten unmittelbar nach ihrer Ankunft verhaftet wurden.

Polizisten und Kinder
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74 Kinder sind seit Samstag in ihrer Heimat, die sie in den meisten Fällen noch gar nicht kennen

Die US-Botschaft in Prishtina lobte den Kosovo für sein „Mitgefühl“. In einer Erklärung war von einem „wichtigen Vorbild“ die Rede, dem andere Staaten folgen sollten. US-Präsident Donald Trump hatte die Europäer bereits aufgefordert, nach dem militärischen Sieg über den IS ihre Staatsbürger von dort zurückzuholen.

Debatte in Europa

Über das Thema wird seit geraumer Zeit in Europa diskutiert. Anfang März sorgte der Fall der aus Großbritannien stammenden IS-Anhängerin Shamima Begum für Aufsehen. Sie bat darum, nach Großbritannien zurückkehren zu dürfen, zeigte in Interviews aber keine Reue für Anschläge des IS. Die britische Regierung erkannte ihr die Staatsangehörigkeit ab und verweigerte ihr die Rückkehr. Begums kurz darauf in einem Flüchtlingslager geborenes Baby starb nach wenigen Wochen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte am Freitag bei einem Treffen mit einer Delegation der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) versprochen, Frankreich werde sie beim „Umgang mit festgenommenen terroristischen Kämpfern und ihren Familien“ unterstützen. Mitte März hatte die Regierung in Paris fünf Kindern die Rückkehr erlaubt. Grundsätzlich aber spricht sich Frankreich, ebenso wie Deutschland, dafür aus, IS-Kämpfer mit französischem Pass in der Region vor Gericht zu stellen.

Österreich will konsularischen Schutz streichen

Aus Österreich halten sich laut Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) knapp 100 „Foreign Fighters“ in Kriegsgebieten auf. Rund 30 Prozent davon besitzen auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) will vermeiden, sie zurückzuholen. Die Regierung will den konsularischen Schutz für nach Österreich zurückkehrende IS-Kämpfer streichen.

Allerdings ist Österreich grundsätzlich rechtlich verpflichtet, österreichische Staatsbürger zurückzunehmen. Laut Experten besteht keine Möglichkeit, den Kämpfern die Staatsbürgerschaft aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation abzuerkennen. Zulässig wäre das erst nach einem abgeschlossenen Verfahren in Österreich. Laut Gesetz ist die Entziehung der Staatsbürgerschaft dann möglich, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird, also bei mehreren Staatsbürgerschaften.

70.000 Flüchtlinge in einem Lager

Der IS hatte Ende März mit Baghus seine letzte Bastion im Osten Syriens verloren. Damit verschwand auch das selbst ernannte „Kalifat“ von der Landkarte. Tausende IS-Kämpfer sind nach ihrer Aufgabe in Gefangenenlager gebracht worden, wo sie verhört werden. Mehr als 70.000 Flüchtlinge sind in dem von Kurden kontrollierten Lager al-Hul untergekommen, wo Hilfsorganisationen von einer dramatischen humanitären Lage berichten. Wie viele Kinder ausländischer IS-Kämpfer sich derzeit in Syrien aufhalten, ist unklar. Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass in den Flüchtlingslagern des Landes mehr als 3.500 Kinder ausländischer Abstammung leben.