Russischer Präsident Putin
APA/AFP/Sergei Ilnitsky
Streit mit Kiew

Putin will russische Pässe für alle Ukrainer

Russlands Präsident Wladimir Putin erwägt nach eigenen Worten Erleichterungen bei der Vergabe russischer Pässe für Bürger aus der gesamten Ukraine. „Wir denken tatsächlich darüber nach, die Staatsangehörigkeit auf vereinfachte Weise allen Bürgern der Ukraine zu genehmigen, nicht nur Bewohnern der Republiken Luhansk und Donezk“, sagte Putin am Samstag am Rande der Seidenstraßen-Konferenz in Peking.

Erst am Mittwoch hatte der Präsident ein Dekret unterschrieben, wonach die Menschen im Kriegsgebiet in der Ostukraine einfacher einen russischen Pass bekommen sollen. Demnach sollen Ukrainer und Ukrainerinnen mit ständigem Wohnsitz in „einzelnen Kreisen“ der Gebiete von Donezk und Luhansk in einem „vereinfachten Verfahren“ russische Staatsbürger werden.

Auch soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Damit baut Russland seinen Einfluss in dem Gebiet weiter aus. Dieser Schritt war von der Führung der Ukraine, aber auch von der EU und den USA scharf kritisiert worden.

Der designierte Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenski
AP/Efrem Lukatsky
Selenski wird sich mit einigen großen politischen Problemen herumschlagen müssen – etwa mit dem Verhalten des großen Nachbarn Russland

EU: Russland will Ukraine destabilisieren

Die Entscheidung Putins folgte unmittelbar auf die Präsidentenwahl in der Ukraine, bei der sich am vergangenen Sonntag der Komiker und Politneuling Wolodymyr Selenski deutlich gegen Amtsinhaber Petro Poroschenko durchgesetzt hatte. Kritiker sprechen von einem ersten „Test“ für Selenski, der sein Amt im Juni antreten soll. Selenski verlangte bereits am Donnerstag eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland.

13.000 Tote durch Konflikt

Die Beziehungen zwischen den Nachbarländern Russland und der Ukraine sind seit Jahren schwer belastet. Russland hatte 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektiert und unterstützt außerdem separatistische Kämpfer im Osten des Landes. Als einen Grund für sein Handeln führte Russland den Schutz russischer Minderheiten in der Ukraine an. Seit Beginn des Konflikts wurden rund 13.000 Menschen getötet.

Die EU stärkte Selenski sofort den Rücken. Die Entscheidung zur Passvergabe sei „ein weiterer Angriff Russlands auf die Souveränität der Ukraine“, erklärte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Der Zeitpunkt unmittelbar nach der ukrainischen Präsidentschaftswahl zeige „Russlands Absicht, die Ukraine weiter zu destabilisieren und den Konflikt zu verschärfen“. Auch Deutschland und Frankreich verurteilten den Schritt Russlands.

Putin: Haben alles vorher berechnet

Putin sagte der Agentur TASS zufolge weiter mit Blick auf die Passregelung in den Separatistengebieten der Ukraine, die Russen müssten deshalb nicht um eigene Sozialleistungen und Pensionen fürchten. „Es gibt keinen Zweifel: Alle sozialen Verpflichtungen werden erfüllt.“ Er bezeichnete Vorwürfe als „Horrorgeschichten“, wonach der Haushalt Russlands mit der Regelung zu sehr belastet werden könnte. „Wir haben alles vorher berechnet“, sagte der Kreml-Chef.

Putin will im Falle eines Gesprächs mit Selenski zuerst über die Lage in der umkämpften Ostukraine reden. Es müsse in erster Linie darüber gesprochen werden, wie der Konflikt gelöst werden könne, sagte der russische Präsident. Putin betonte abermals, dass er ein Treffen mit dem Komiker und Politeinsteiger nicht ausschließe. Auch Selenski hatte Friedensverhandlungen für die Ostukraine mit Russland in seiner Siegesrede am Sonntagabend so wie zuvor bereits im Whalkampf als Priorität benannt.

Die Ukraine rief im Passstreit unterdessen den UNO-Sicherheitsrat auf einzuschreiten. Der ukrainische UNO-Botschafter Wolodymyr Jeltschenko bezeichnete das russische Vorgehen am Donnerstag als „illegal“. Er warnte vor einer „schleichenden Annexion“ der Ostukraine. Der Sicherheitsrat müsse das „schlimmste Szenario“ verhindern und das russische Vorgehen verurteilen, sagte Jeltschenko. Allerdings hat Russland im wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen ein Vetorecht und dürfte jedes gegen sich gerichtete Vorgehen unterbinden.

Ukrainisches Sprachgesetz als Retourkutsche

Der künftige ukrainische Präsident Selenski ist noch vor seinem Amtsantritt außerdem wegen eines ukrainischen Gesetzes als Krisenmanager gefordert: Ein umstrittenes Gesetz zur Stärkung der ukrainischen Sprache hat am Donnerstag die Spannungen zwischen Kiew und Moskau zusätzlich angeheizt. Während Russland die neue Regelung als „skandalös“ verurteilte, kündigte Selenski an, das Gesetz nach seinem Amtsantritt zu überprüfen.

Das am Donnerstag, einen Tag nach der russischen Passankündigung, vom Parlament in Kiew verabschiedete Gesetz schreibt Ukrainisch als Sprache in öffentlichen Einrichtungen vor. Beamte auf allen Ebenen sowie Lehrer, Ärzte oder Anwälte müssen in Zukunft Ukrainisch sprechen und werden andernfalls mit Geldstrafen belegt. Zudem wird die Quote für ukrainischsprachige Fernseh- und Radioprogramme erhöht.

Das Gesetz werde erst in drei Jahren wirklich wirksam, bis dahin würden Zentren zum Erlernen der ukrainischen Sprache und Kultur im Land eröffnet, sagte der Abgeordnete Nikolai Knjaschitski der Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine. Russland reagierte empört. „Das ist ein skandalöses Gesetz, man kann es nicht anders nennen“, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Die Entscheidung werde „nur die Spaltung der ukrainischen Gesellschaft vertiefen“ und die Möglichkeit einer Beendigung der Ukraine-Krise in weite Ferne rücken.

Selenski spricht bevorzugt Russisch

Während der scheidende ukrainische Präsident Poroschenko die Verabschiedung des Gesetzes als „historisches Ereignis“ bezeichnete, reagierte sein Nachfolger Selenski deutlich zurückhaltender. Er kündigte an, die Neuregelung nach seinem Amtsantritt „gründlich zu analysieren“, um einen Verstoß gegen die Rechte von Minderheiten auszuschließen.

Es sei der falsche Weg, die ukrainische Sprache durch „Verbote und Bestrafung“ stärken zu wollen, fügte er hinzu. Der Komiker und Schauspieler spricht bevorzugt Russisch und will die Spannungen mit Moskau abbauen. Die meisten Menschen in der Ukraine sprechen sowohl Ukrainisch als auch Russisch. Der Osten und der Süden der Ukraine sind aber hauptsächlich russischsprachig.