Japans Kaiser Akihito
Reuters/Issei Kato
Kaiser Akihito dankt ab

Japan startet mit Premiere in neue Ära

Seit mehr als 200 Jahren hat in Japan kein Kaiser mehr abgedankt. Das ändert sich am Dienstag, das Land steht vor einer neuen Epoche: Kaiser Akihito gibt den Thron auf, tags darauf wird ihn sein ältester Sohn Kronprinz Naruhito besteigen. Eine Veränderung, die für Japans Beziehungen zum Rest der Welt nicht bedeutungslos ist.

Akihito kündigte zu Beginn des Kaiserwechsels am Dienstag den Göttern des Landes seine Abdankung an. Der 85 Jahre alte Monarch führte in den Schreinen seines Palasts religiöse Riten aus – gekleidet in die moderne Version einer jahrhundertealten höfischen Tracht aus goldbrauner Robe und hoch aufragender schwarzer Kopfbedeckung. In den Heiligtümern der japanischen Ur-Religion Shinto wird unter anderem die Sonnengöttin Amaterasu Omikami verehrt. Den Mythen nach sind die japanischen Kaiser unmittelbare Nachfahren von Amaterasu Omikami.

Japanischer Kaiser Akihito
AP/Japan Pool
Akihito kündigte den Göttern den Thronwechsel in einem Ritual an

Wenn Akihito am Dienstag dann den Thron aufgibt, wird die Zeremonie in gerade einmal etwa zehn Minuten über die Bühne gehen. Das Zeremoniell findet im Matsu-no-Ma, einer 370 Quadratmeter großen Halle im Kaiserpalast in Tokio, statt. Dabei werden auch ein Schwert und ein Juwel als Insignien der Legitimität eines Tenno („himmlischer Herrscher“, etwa: Kaiser) präsentiert.

An der Zeremonie nehmen mehr als 300 Menschen teil, darunter neben Mitgliedern der Kaiserfamilie auch Vertreter der japanischen Regierung und des Parlaments, hochrangige Richter und regionale Regierungschefs. Ministerpräsident Shinzo Abe wird eine Rede im Namen des Volkes halten, bevor Akihito seine letzte offizielle Ansprache als Tenno vorträgt. Formal bleibt der 85-Jährige bis Mitternacht Kaiser.

Ab Schlag Mitternacht neuer Kaiser

Ab der ersten Minute des 1. Mai ist Akihitos 59-jähriger Sohn Naruhito japanischer Kaiser. Mit ihm beginnt eine neue Ära, „Reiwa“ genannt. Der Begriff steht für „Ordnung“, „Frieden“ und „Harmonie“. Die vergangenen 30 Jahre unter Akihito, dessen Ära den Namen „Heisei“ (Frieden schaffen) trägt, lebten die Japanerinnen und Japaner tatsächlich in Frieden. Zum ersten Mal in der modernen Geschichte Japans erlebte das Land eine Zeit ohne Krieg.

Japanischer Kronprinz Naruhito und Kaiser Akihito
APA/AFP/Toshifumi Kitamura
Der Sohn (Naruhito, l.) tritt noch zu Lebzeiten des Vaters (Akihito, r.) die Thronfolge an – eine Premiere in Japan

„Viele voller Erwartung“

Zugleich war „Heisei“ eine Zeit, in der es mit Japan nach Jahrzehnten des wirtschaftlichen Aufstiegs bergab ging und das Land vom Regionalrivalen China überholt wurde. Auch begann sich die Schere zwischen Arm und Reich zu öffnen. „Es war schon für das Volk hart, chaotisch und schwierig“, sagte der Kaiserhaus-Experte Hideya Kawanishi von der Universität Nagoya der dpa. „Deshalb warten so viele Menschen auf die neue Kaiserära mit voller Erwartung, dass sich eine so schwierige Zeit ändert“, so Kawanishi im Hinblick auf soziale Probleme im Land. Der Tenno-Experte Ernst Lokowandt in Tokio sprach von einem „neuen Aufbruch“.

Der Name „Reiwa“ wurde von der rechtskonservativen Regierung unter Ministerpräsident Abe gewählt. Die Regierung nahm bei der Auswahl erstmals einen japanischen Klassiker als Referenz statt chinesischer Literatur. Für Kritiker ist das Ausdruck einer „Rückkehr zum Nationalismus“, andere hingegen begrüßen, dass der neue Ära-Name auch „Frieden“ bedeutet. Frieden war für den scheidenden Kaiser von zentraler Bedeutung – das betonte er, ein Zeitzeuge des Zweiten Weltkriegs, bei jeder Rede.

Touristen machen vor dem Kaiserpalast Fotos
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Touristinnen und Touristen bei der Anlage des Kaiserpalasts in Tokio – am Dienstag der wichtigste Schauplatz des Landes

Neues Kaiserpaar vor Premieren

Mit Naruhito und seiner Frau Masako steht Japan hingegen vor Premieren, schließlich haben sie einen gänzlich anderen Lebenslauf: Beide haben Universitätsausbildung, sind mehrsprachig und lebten mehrere Jahre außerhalb Japans. Bei seinem Studienaufenthalt in Oxford soll Naruhito seine Wäsche gar selbst gewaschen haben, heißt es – angesichts strenger kaiserlicher Traditionen eigentlich unvorstellbar.

Auf eine entsprechende Abkehr von althergebrachten Strukturen bei der Amtsführung hoffen viele in Japan: So halten es Experten für möglich, dass das neue Kaiserpaar mehr Kontakt zum japanischen Volk unterhält bzw. noch mehr ins Ausland reisen wird als die Vorgänger. Das könne der Außenpolitik Japans mehr Gewicht verleihen. Außerdem ist Naruhitos besonderes Interesse an Umweltthemen bekannt – es gilt entsprechend als nicht unwahrscheinlich, dass er sich hin und wieder in die Debatte einbringen wird.

Kritik von Konservativen?

Doch damit könnte er sich wiederum Gegner schaffen: Eine stärkere Zuwendung zu globalen Themen könntee zu Kritik bei Konservativen führen, dass sich der neue Kaiser mehr um die „Außenwelt“ kümmere als ums eigene Volk, so Kawanishi. In diesem Umstand sieht der Experte auch die Herausforderungen für das neue Oberhaupt des Landes: Es werde für den künftigen Kaiser schwierig werden, „zwischen Tradition und seinen eigenen Ideen und Wünschen zu balancieren“.

„Ich glaube, es gibt die Möglichkeit für diese neueste Generation kaiserlicher Familienmitglieder, ein bisschen Grenzen auszuloten“, so Shihoko Goto vom US-Forschungszentrum Wilson Center gegenüber der „Japan Times“. Sie begründet das unter anderem mit der Erfahrung der 55-jährigen Masako als Diplomatin. „Sie haben einen einzigartigen Werdegang, und ich glaube, sie haben ein Interesse daran und sie sollten die Palette an Fähigkeiten dazu haben, sich mehr einzubringen.“

„Keine politischen Rechte, aber erstaunlich viel Macht“

Zwar darf sich der Tenno zu politischen Fragen nicht äußern. Dennoch wurde der scheidende Kaiser Akihito zum Verfechter der pazifistischen Nachkriegsverfassung – indem er indirekt Kritik an denen übte, die versuchen, Japans Kriegsvergangenheit zu rechtfertigen. Dazu zählen Kritiker die rechtskonservative Regierung. „Der japanische Kaiser hat zwar keine politischen Rechte, aber erstaunlich viel Macht“, so Lokowandt.

Akihito und Kaiserin Michiko, die als Novum den Kronprinzen ausschließlich selbst aufzogen, suchten die Nähe der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere wenn es nach Katastrophen darum ging, sie zu trösten – Anlass waren etwa das Erdbeben in Kobe 1995, der verheerende Saringasanschlag 1995 auf die U-Bahn in Tokio sowie Erdbeben, Tsunami und Atomunfall 2011 in Fukushima. Akihitos Abdankung zog schließlich auch Diskussionen über die Rolle des Kaisers nach sich.

Japans Kronprinzessin Masako
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Die künftige Kaiserin Masako – sie leidet seit Jahren unter dem Druck des Palasts

Aktivere Rolle

„Es gab klar zwei Sichtweisen. Die eine, dass der Kaiser wie Akihito aktiv sein und mit den Menschen sprechen sollte, und die andere: Alles, was er zu tun braucht, ist zu beten“, so ein ehemaliges Mitglied des kaiserlichen Haushalts. „Aber wenn man an die Zukunft denkt, glaube ich nicht, dass wir die zwei Optionen haben: Ein Kaiser, der bloß existiert, würde nie das Vertrauen und die Empathie des Volkes gewinnen.“

Das könnte auch über neue Wege geschehen: „Angesichts der heutigen Zeiten sollte die kaiserliche Familie Dinge wie Soziale Netzwerke nutzen, um ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen“, wurde Psychiaterin Rika Kayama in der „Japan Times“ zitiert. Sie hat ein Buch über die Frauen in der kaiserlichen Familie geschrieben. „Wenn nicht mit Worten, dann mit Fotos auf Instagram.“ Sie verweist auf Selfies mit Passanten, für die Naruhito im Ausland posierte.

„Anpassungsstörung“

Insbesondere Masako könnte eine solche Rolle übernehmen. Sie hatte lange damit zu kämpfen, was in Worten des Palasts eine „Anpassungsstörung“ war. In Wahrheit litt sie enorm unter dem Druck des kaiserlichen Hofes. Sie wurde für rund zehn Jahre aus der Öffentlichkeit ferngehalten, was den Druck nicht weniger werden ließ. Weil nur Männer den Thron besteigen dürfen, war zudem der Druck auf sie groß, einen Thronfolger in die Welt zu setzen.

Auch wenn dieses Problem mittlerweile gelöst ist, wird der Druck hoch bleiben: „Sogar der jetzige Kaiser und die Kaiserin ernteten viel Kritik. Zum Beispiel wurde Michiko vorgeworfen, ‚die Autorität des Kaisers zu beschädigen‘, als sie sich hinkniete, um Menschen zu trösten, und sie an den Händen nahm“, so Historiker Kawanishi. „Daher werden sie (die Nachfolger, Anm.) Schritt für Schritt ihre Handschrift hinterlassen. Sie werden ein bisschen verändern, abwarten und dann wieder ein bisschen verändern.“