EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
Europäische Kommission
Juncker nimmt Abschied

Positive Bilanz trotz „Fehlern“

Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat am Dienstag in Brüssel eine durchwegs positive Bilanz seiner Präsidentschaft gezogen – gleichzeitig aber auch Fehler eingestanden.

So bedauerte Juncker, dass sich die EU-Kommission nicht in die Kampagne um das britische EU-Austrittsreferendum eingemischt hat. Er bezeichnete das als „größten politischen Fehler“ seiner Amtszeit. „Wir wären die Einzigen gewesen, die die Lügen in diesem Moment hätten zerstreuen können“, sagte Juncker am Dienstag in Brüssel im Vorfeld des EU-Gipfels in Sibiu.

Juncker schilderte, er habe damals auf den britischen Premier David Cameron gehört. Cameron habe ihn gebeten, sich nicht in die Referendumskampagne 2016 einzumischen. „Das war ein Fehler“, sagte der EU-Kommissionschef. Es sei rückblickend falsch gewesen, dass sich die EU still verhalten habe. Als seine größte Errungenschaft betrachte er hingegen den Verbleib von Griechenland in der Euro-Zone, sagte Juncker.

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Jean-Claude Juncker und Sebastian Kurz
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Auch Junckers Begrüßungen werden wohl Kennzeichen seiner Amtszeit bleiben, hier mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
Jean-Claude Juncker und Luis de Guindos
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Juncker packt Spaniens Ex-Wirtschaftsminister Luis de Guindos scherzhaft am Hals – beobachtet wird die Szene vom niederländischen Ex-Finanzminister Jan Kees De Jager
 Jean-Claude Juncker und David Coburn
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Juncker richtet die Krawatte des Brexiteers David Coburn
Jean-Claude Juncker und Frans Timmermans
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Ein Bussi für Frans Timmermans, den Vizepräsidenten der EU-Kommission
Jean-Claude Juncker und Evangelos Venizelos
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Juncker und der griechische Ex-Finanzminister Evangelos Venizelos
Jean-Claude Juncker und Traian Basescu
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Juncker, wie er den ehemaligen rumänischen Präsidenten Traian Basescu auf die Stirn küsst
Jean-Claude Juncker und Angela Merkel
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Juncker und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßen einander mittlerweile wie alte Freunde
Jean-Claude Juncker und Donald Tusk
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Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk reichen einander zur Begrüßung gleich beide Hände
Jean-Claude Juncker und Michel Barnier
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Der EU-Chefunterhändler für den Brexit, Michel Barnier, scheint von Junckers herzlicher Begrüßung wenig begeistert zu sein, …
Jean-Claude Juncker und Boyko Borisov
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… im Gegensatz zum bulgarischen Ministerpräsidenten Boyko Borisow. Dieser scheint sie sichtlich zu genießen.
Jean-Claude Juncker und Carlos Moedas
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Juncker, wie er EU-Kommissar Carlos Moedas’ Kopf tätschelt, ebenfalls im Bild EU-Kommissarin Corina Cretu
Jean-Claude Juncker und Simonetta Sommaruga
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Juncker küsst die ehemalige Schweizer Präsidentin Simonetta Sommaruga

„LuxLeaks“ größter „persönlicher “ Fehler

Als größten „persönlichen“ Fehler während seiner Amtszeit bezeichnete Juncker eine zu zögerliche Reaktion auf Vorwürfe in der Affäre um massive Steuervorteile für Großkonzerne in Luxemburg. Er habe eine Woche gewartet, darauf zu reagieren, sagte Juncker, der jahrelang Luxemburgs Regierungschef und Finanzminister war. „Ich hätte sofort antworten sollen. Das war ein großer Fehler.“

Die „LuxLeaks“-Affäre hatte Ende 2014 europaweit für Empörung gesorgt, als klar wurde, das multinationale Konzerne in Luxemburg auf Kosten anderer EU-Länder Steuerzahlungen vermieden. Juncker musste sich darauf im ersten Amtsmonat einem Misstrauensvotum im EU-Parlament stellen, das von europafeindlichen und rechten Parteien organisiert worden war. Es wurde mit großer Mehrheit zurückgewiesen.

„Haben unsere Versprechen gehalten“

Trotz der Fehler zog Juncker eine überwiegend positive Bilanz. Das Leben der Europäer und Europäerinnen hat sich seiner Ansicht nach mit ihm an der Spitze der Brüsseler Behörde deutlich verbessert. „Den Menschen in Europa geht es eigentlich besser. Nicht jeder merkt das, weil Reichtum und Wohlstand unterschiedlich verteilt bleiben“, sagte der Luxemburger. So seien etwa die drei zu Beginn seiner Amtsperiode gesetzten Prioritäten Beschäftigung, Wachstum und Investitionen verwirklicht worden. „Wir haben unsere Versprechen gehalten“, sagte Juncker.

12,6 Millionen Arbeitsplätze seien seit seinem Amtsantritt 2014 geschaffen worden, die Gehälter in der EU um 5,7 Prozent gestiegen und die Beschäftigungsquote auf 73 Prozent gewachsen, so Juncker, der das als Ergebnis von Einheit und Entschlossenheit sieht. Bis zum Jahr 2020 erwarte er, dass eine Beschäftigungsquote von 75 Prozent erreicht werde. „Die Jugendarbeitslosigkeit ist mit 14 Prozent noch immer zu hoch, konnte aber um sieben Prozent reduziert werden“, räumte der Kommissionschef ein.

Rechtspopulismus auch „Ergebnis von nationaler Politik“

Dass die EU dasselbe Investitionsniveau wie vor der Krise aufweist, führte er auf den „Juncker-Plan“ zurück, wie der Europäische Fonds für Strategische Investitionen (EFSI) genannt wird. 400 Milliarden Euro seien ohne zusätzliche Verschuldung dank neuer Finanzinstrumente mobilisiert worden, sagte Juncker.

Er zeigte sich auch zuversichtlich, dass der Handelskonflikt mit den USA kurzfristig nicht neu aufflammt. Seit seinen Absprachen mit US-Präsident Donald Trump im Juli 2018 habe sich die Lage nicht geändert, sagte Juncker. „Wir können dem Präsidenten der Vereinigten Staaten vertrauen, wenn es um die Handelsbeziehungen zwischen den USA und Europa geht“, fügte Juncker hinzu.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
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Juncker sieht sein Schweigen vor dem Brexit-Referendum als größten politischen Fehler

Den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa darf man laut dem Kommissionschef nicht alleine darauf zurückführen, dass die EU-Bürger und EU-Bürgerinnen von der Europäischen Union enttäuscht seien. „Dies ist auch das Ergebnis von nationaler Politik, die nicht den Erwartungen der Bürger entspricht“, so Juncker.

Appell an EU

Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen bei ihrem EU-Gipfel im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) am Donnerstag, dem Europatag, die strategischen Prioritäten für die kommenden fünf Jahre festlegen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will in Sibiu seine Forderung nach einer EU-Vertragsänderung bekräftigen. Juncker plädierte dafür, die geltenden EU-Verträge zu nutzen.

„Wir sollten die Verträge nutzen, die wir haben, wobei wir Änderungen nicht ausschließen sollten“, sagte Juncker im Vorfeld des Gipfels in Brüssel. Vieles könne aber im Rahmen der geltenden Verträge gemacht werden. Juncker sagte, die EU müsse effizientere Entscheidungen treffen und weg von der Einstimmigkeit kommen. Wenn der politische Wille dazu bestehe, könne man das auch machen, ohne die Verträge zu diskutieren.

Juncker: Staatengemeinschaft heute stärker als zuvor

Dennoch betonte Juncker auch, dass die Staatengemeinschaft heute stärker sei als zuvor. „Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis unserer Einheit, Entschlossenheit und auch Kompromissfähigkeit.“ Allerdings zeigten sich die EU-Staaten in den vergangen Jahren oft genug alles andere als geschlossen – etwa bei der Frage einer gemeinsamen Asylpolitik.

Juncker hatte 2017 eine Debatte über EU-Reformen angestoßen und unter anderem dafür plädiert, mehr EU-Länder in den Euro- und den Schengen-Raum aufzunehmen sowie Europa sozialer auszugestalten. Viele der damals debattierten Vorschläge sind jedoch nicht vorangekommen.

Unerledigte Aufhaben für Nachfolger

Vergangene Woche hatte Juncker bereits zehn Punkte „unerledigte Aufgaben“ für seine Nachfolger präsentiert. Darunter waren unter anderem die seit Jahren stockende Reform des Asylsystems, besserer Schutz vor Onlineterrorpropaganda und eine modernere Besteuerung, etwa der großen Digitalkonzerne.

Juncker hatte den Spitzenposten im November 2014 übernommen, Ende Oktober endet sein Mandat. Sein Nachfolger wird nach der EU-Wahl Ende Mai bestimmt. Es kandidieren sowohl der Niederländer Frans Timmermans, Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, als auch der EVP-Kandidat Manfred Weber.