Leeres Klassenzimmer
ORF.at/Zita Klimek
Bildungsministerium

Maßnahmenmix gegen Gewalt an Schulen

Mit einem neun Punkte umfassenden Plan will ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann Gewalt und Mobbing an Schulen in den Griff bekommen. Unter anderem setzt der Minister auf präventive Teambuildingmaßnahmen, die Qualifizierung von Lehrern zu Streitschlichtern sowie die Einrichtung von Time-out-Gruppen, hieß es bei einer Pressekonferenz am Freitag.

Der Vorfall an der HTL Wien-Ottakring in der Vorwoche sei „ein Beschleuniger unseres Nachdenkens gewesen, nicht der Auslöser“, so Faßmann. Den konkreten Fall wollte er nicht näher kommentieren. „Wer den ersten Stein geworfen hat, kann ich nicht feststellen. Das ist aber auch egal: Spucken, an die Wand drücken, Gewaltbereitschaft zeigen ist ein absolutes No-Go.“

Als Minister müsse er sich aber generell die Frage stellen, was dazu geführt habe – Systemversagen, Personenversagen oder eine schicksalhafte Fügung. „Derzeit tendiere ich zu einer Mischung aus Systemversagen und Personenversagen.“

Bildungsminister Heinz Faßmann
APA/Georg Hochmuth
ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann setzt auf mehrere unterschiedliche Maßnahmen – mehr Personal wird es aber nicht geben

„Die Weltformel gibt es nicht“

Als Reaktion darauf setzt Faßmann auf mehrere Maßnahmen: „Manches ist bekannt, man muss nicht alles neu erfinden – manches muss man neu erfinden, manches stärker akzentuieren. Die Weltformel gibt es nicht bei der Bekämpfung von Gewalt und Mobbing.“

So empfehle man etwa bei der Neuformierung von Klassengemeinschaften am Beginn des Schuljahres Teambuildingmaßnahmen wie gemeinsame Ausflüge, um eine Gemeinschaft zu formen. „Das sieht zwar aus wie Verschwendung von Unterrichtszeit, aber alles, was man investiert, um eine Einheit zu schaffen, erspart man sich im Laufe des Schuljahrs an Maßnahmen“, so die Leiterin der niederösterreichischen Schulpsychologie, Andrea Richter.

Lehrkräfte sollen besser vorbereitet werden

In der Ausbildung sollen angehende Lehrer und Lehrerinnen – dazu zählten auch Quereinsteiger – außerdem besser auf extreme Konflikte vorbereitet werden, so Faßmann. Außerdem sollten Schülerinnen und Schüler durch Verhaltensvereinbarungen zum Selbstbild einer gewaltfreien Schule beitragen – bei Nichteinhalten wären etwa Hilfsdienste in der Bibliothek und die Mithilfe bei Veranstaltungen denkbar.

Neben Präventionsmaßnahmen sollen auch Lehrerinnen und Lehrer, Direktorinnen und Direktoren sowie die Schulaufsicht besser zu den rechtlichen Rahmenbedingungen geschult, eine Plattform für betroffene Lehrkräfte und Schüler eingerichtet sowie Pädagogen zu Streitschlichtern ausgebildet werden.

Zur Deeskalation sollen außerdem Schüler kurzfristig außerhalb des Klassenverbands untergebracht werden können – etwa für den Rest der Stunde oder des Tages. Derzeit kommen in Österreich nur rund 200 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter auf die mehr als 1,1 Millionen Schüler und Schülerinnen. Die meisten werden von den Ländern finanziert.

Time-out-Gruppen, aber kein neues Personal

Schließlich soll ein Konzept für Time-out-Gruppen erarbeitet werden, in denen die zu Unterrichtenden „mit erheblichen Verhaltensauffälligkeiten“ für einen begrenzten Zeitraum – „etwa eine Woche oder ein Monat“ – untergebracht werden. Dort würden sie in Gruppen von fünf bis acht Personen durch pädagogisch geschultes Personal betreut und auch im normalen Stoff weiterunterrichtet. Das soll auch schulübergreifend passieren können. Ziel sei die baldige Rückkehr in die Klasse, um nicht zu viel zu versäumen. Konkrete Konzepte sollen bis Sommer ausgearbeitet und dann erprobt werden.

Neues Personal soll es dafür aber voraussichtlich nicht geben: Schon jetzt finanziere der Bund allein 800 Stellen für psychosoziale Betreuung durch Beratungslehrer, Psychologen und Sozialarbeiter, so Faßmann. Dazu kämen noch Stellen in den Ländern. Neu geregelt werden könnte auch die Suspendierung oder der Ausschluss von Schülern ab der Oberstufe. Eine Absage erteilte Faßmann dagegen einer von der FPÖ geforderten Koppelung der Familienbeihilfe an die Betragensnote.

Faßmann setzt auf Time-out-Gruppen

Mit einem Maßnahmenpaket soll die Gewalt an Schulen eingedämmt werden. Bei Eskalationen sollen Schüler künftig eine Auszeit in Time-out-Gruppen nehmen. Wie diese genau aussehen sollen, ist noch unklar.

Vorreiter Kärnten

In Österreich wird bereits jetzt teilweise auf das Modell Time-out-Klassen gesetzt. In Kärnten etwa laufen seit dem Schuljahr 2007/08 an einzelnen Standorten Schulprojekte zu Time-out-Gruppen. Dort werden an Volksschulen und NMS fünf bis sieben Schüler und Schülerinnen zwischen sechs Wochen und einem Schuljahr in eigenen „Fördergruppen“ unterrichtet.

Die betroffenen Kinder haben teilweise, wie es heißt, schwere sozio-emotionale Störungen und Defizite, teilweise sonderpädagogischen Förderbedarf, teilweise auch körperliche oder psychische Einschränkungen. Betreut werden sie neben Lehrern, für die spezielle Fortbildungen angeboten werden, auch von Sonder- und Sozialpädagogen. In die Bildungsplanung sind auch Psychologen sowie Kinder- und Jugendpsychiater eingebunden.

Fachleute skeptisch

Von der Lehrergewerkschaft kommt grundsätzliche Zustimmung zu den geplanten Time-out-Klassen, immerhin finden sie sich schon seit Ende der 1990er regelmäßig in deren Forderungskatalogen. Fachleute zeigen sich indes skeptisch: Gewalt und Mobbing in der Klasse könne man nur nachhaltig verhindern, wenn man bei der ganzen Klasse bzw. Schule ansetze, so Bildungspsychologin Christiane Spiel. Sie sieht Time-out-Klassen nur als Notlösung – mehr dazu in wien.ORF.at. Der Soziologe Kenan Güngör warnte im „Standard“, dass Time-out-Klassen dazu verleiten würden, Problemschüler in separate Klassen abzuschieben und längerfristige Lösungen gar nicht erst zu suchen.

Opposition reichen Maßnahmen nicht

SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid forderte am Freitag per Aussendung hundert zusätzliche Schulpsychologen und einen weiteren Ausbau von Peer-Mediationsprogrammen, bei denen Schüler zu Streitschlichtern ausgebildet werden. Kritisch sieht sie die geplanten Time-out-Klassen: „Es gilt das Klassengefüge und Schulklima zu stärken und nicht einen Rückschritt zu veralteten Konzepten wie dem ‚Winkerlstehen‘ zu machen.“ „Noch nicht zu Ende gedacht“ ist für den Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer (SPÖ) das Konzept von Time-out-Gruppen. Vor allem brauche es mehr Personal – mehr dazu in wien.ORF.at.

Kritik übte auch NEOS-Bildungssprecher Douglas Hoyos an den geplanten Time-out-Klassen. Das Versetzen in solche Klassen habe etwas von „In-die-Ecke-Stellen“, eine „steinzeitliche Bestrafungsmethode an Schulen, die keineswegs zielführend war“, hieß es am Freitag in einer Aussendung. Hoyos hält das für die falsche Lösung. Es brauche Disziplinarmaßnahmen für Schülerinnen und Schüler, die Mobbing betrieben. Ein „Time-out“ werde niemanden abschrecken.

Auch Jetzt ist nicht zufrieden. „Eine wesentliche Präventionsmaßnahme fehlt mir im Neunpunkteplan", so Stephanie Cox, Bildungssprecherin des Parlamentsklubs. Sie forderte Diskussionsräume für die Schüler und Schülerinnen, wo sie sich auf „gemeinsame Werte und Umgangsformen verständigen und wo sie lernen, wie man mit eigenen Emotionen und Konflikten umgeht“. Cox forderte einen gemeinsamen Ethikunterricht für alle Kinder unabhängig von ihrer religiösen Konfession.