Blick auf die Armbanduhr
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Urteil

Wo Arbeit beginnt und endet

Arbeitszeit muss laut österreichischer Rechtslage systematisch aufgezeichnet werden, auch wenn das nicht immer so geschieht. Als „Erinnerung“ gibt es seit Dienstag dazu ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Viele EU-Staaten müssen erst nachziehen. Es geht längst nicht mehr nur um die Anwesenheit am Arbeitsplatz, dafür aber wieder um die Frage, wo Arbeit eigentlich beginnt.

In der Begründung zu seinem Urteil weist der EuGH auf das „Grundrecht“ jedes Arbeitnehmers und jeder Arbeitnehmerin auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und die vorgeschriebenen Ruhezeiten hin. Nur mit einer Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit lasse sich überprüfen, ob die rechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. In Österreich besteht eine Aufzeichnungspflicht laut Paragraf 26 Arbeitszeitgesetz (AZG).

Zuletzt war in der Debatte darüber mehrfach die gute alte Stechuhr als Sinnbild bemüht worden, aber die ist nicht nur technisch überholt. Fixe Arbeitsplätze und Arbeitszeiten sind längst nicht mehr die Regel. In vielen Fällen müssen bzw. müssten Dienstnehmer ihre Arbeitszeit selbst aufzeichnen, auch das steht im AZG. Es gibt nur wenige gesetzliche Ausnahmen. Kontrollen fallen in die Zuständigkeit des Arbeitsinspektorats.

Kommt die „Überstunden-Wende“?

Das Urteil könne große Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben, hieß es am Dienstag in der internationalen Presse. Die „Süddeutsche Zeitung“ mutmaßte, es könnte sogar der „Flexibilisierung der Arbeitswelt Grenzen setzen“. Die deutsche „Welt“ schrieb, das Urteil verspreche „Arbeitnehmern die Überstunden-Wende“, Konsequenzen dürfte es vor allem dort haben, wo es um „Vertrauensarbeitszeit“ geht.

Im österreichischen AZG heißt es dazu unter Paragraf 2: „Arbeitszeit (…) ist auch die Zeit, während der ein im Übrigen im Betrieb Beschäftigter in seiner eigenen Wohnung oder Werkstätte oder sonst außerhalb des Betriebes beschäftigt wird.“

Stechuhr aus den 80er Jahren
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Die Stechuhr ist Geschichte

Unterschiedliche Rechtslage

Tatsächlich dürften die Auswirkungen je nach Land unterschiedlich sein. In Österreich sind die gesetzlichen Bestimmungen strenger als etwa in Deutschland und Spanien, wo nur Aufzeichnungen über Überstunden geführt werden müssen. Von dort kam der Anlassfall für das Urteil in der Rechtssache C-55/18. Die spanische Gewerkschaft Federacion de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO) hatte gemeinsam mit anderen Gewerkschaften eine regionale Tochter der Deutschen Bank geklagt.

Arbeitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) will das Urteil „genauestens prüfen“ lassen, hieß es am Dienstag. Sie ging aber davon aus, dass die schon länger bestehende heimische „Rechtslage im Arbeitszeitgesetz den Anforderungen des EuGH entspricht. Das haben nach einer ersten Einschätzung des Urteils auch unsere Arbeitsrechtsexperten bestätigt“.

Für Österreich habe das Urteil „keinerlei Auswirkungen“, hieß es auch in einer Aussendung der Wirtschaftskammer (WKÖ) am Dienstag. „Nach der österreichischen Gesetzeslage werden Beginn und Ende der Arbeitszeit ohnehin lückenlos aufgezeichnet, dasselbe gilt für Pausen.“

Grenzen verschwimmen

Für die Umsetzung lässt der EuGH den EU-Staaten freie Hand, sie seien lediglich verpflichtet, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“, heißt es in einer Presseaussendung zu dem Urteil.

Technisch ist das auch mobil recht einfach lösbar, es muss nur auch tatsächlich gemacht werden. Immer wieder heißt es, die Grenzen zwischen Job und Freizeit würden zunehmend verschwimmen, wenn etwa auf dem Weg zur Arbeit oder am Abend „schnell“ E-Mails gelesen und beantwortet oder dienstliche Telefonate geführt werden.

„Wann arbeite ich eigentlich?“

Mit dem Urteil vom Dienstag tauchte unweigerlich auch die Frage, wo Arbeit beginnt, erneut auf. Diese sei eigentlich sehr einfach zu beantworten, hieß es dazu von der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) auf Anfrage. „Alles, was ich für die Arbeit tue, ist auch Arbeit.“

Auch zusätzliche Arbeit zu Hause müsse erfasst werden. E-Mails zu bearbeiten und zu telefonieren seien mittlerweile „Klassiker“. Zweimal täglich eine halbe Stunde im Zug zu arbeiten – wobei der Weg zur Arbeit nicht als Arbeitszeit gilt – summiere sich. Arbeitnehmer müssten sich jedenfalls die Frage stellen: „Wann arbeite ich eigentlich?“