Kurz-Vorstoß: CDU-Politiker ortet „Brüssel-Bashing“

Die EU-kritischen Aussagen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) stoßen in der deutschen Schwesternpartei CDU auf Unverständnis. Der Vorsitzende des EU-Ausschusses im Deutschen Bundestag, Gunter Krichbaum, hält nichts von der Formulierung „Regelungswahnsinn“ und ortet „Brüssel-Bashing“, wie „Die Presse“ gestern in ihrer Onlineausgabe berichtete.

„Man sollte Ross und Reiter nennen“

An sich finde Krichbaum die EU-Vorstöße von Kurz oft „erfrischend und geeignet, manches kritisch zu überdenken“. Der jüngsten Forderung nach der Streichung von 1.000 EU-Verordnungen – der ÖVP zufolge sei diese auch von EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber erhoben worden – kann der CDU-Politiker aber wenig abgewinnen: „Das hört sich erst einmal gut an. 99 Prozent der Bevölkerung werden sagen: ‚Das ist ja super.‘ Aber ich würde gerne wissen: Ja, welche Verordnungen sollen denn gestrichen werden? Man sollte Ross und Reiter nennen. Denn dann sieht die Realität meistens schon anders aus“.

Kein Mensch brauche EU-Vorgaben für die Zubereitung von Schnitzel und Pommes, hatte Kurz gemeint. Krichbaum hält das für ein schlechtes Beispiel: „Das Thema hat ja einen ernsten Hintergrund. Und den sollte man auch erklären.“ Nämlich: „Durch die Verordnung sollte die Acrylamid-Konzentration gesenkt werden. Wir wissen aus Tierversuchen, dass dieser Stoff krebserregend ist.“ Es gehe also in der Sache um europäischen Gesundheits- und Verbraucherschutz, „dass der österreichische Tourist sich auch beim Urlaub in Spanien oder Griechenland darauf verlassen kann, dass seine Pommes dort nicht krebserregend sind“. Solche Hintergründe sollte die Politik benennen: „Dann bekommt so eine Diskussion einen ganz anderen Drive.“

„Das Wort würde ich nicht benutzen“

Einen „Regelungswahnsinn“ wie Kurz sieht Krichbaum nicht: „Das Wort würde ich nicht benutzen. Da steckt ‚Wahn‘ drin. Da ist man schon mittendrin im Brüssel-Bashing“, auch wenn man natürlich „Dinge kritisch hinterfragen kann“. Die Kommission von Jean-Claude Juncker sei bei Regelungen aber „eher zurückhaltend“ gewesen.

In einem Punkt gab Krichbaum Kurz indes recht: Früher seien 90 Prozent der Brüsseler Rechtssetzungsakte sogenannte Richtlinien gewesen, die den Nationalstaaten Spielraum bei der Umsetzung geben, „Luft zum Atmen lassen“. Die Zahl der Richtlinien habe sich deutlich zugunsten von konkreten Verordnungen verschoben, die unmittelbar in der ganzen EU gelten. Aber auch das habe Gründe: „Wenn es im Verbraucher- und Umweltschutz zu viel Spielräume gibt, dann können Sie sicher sein, dass das in manchen südlichen EU-Ländern – ich nenne keine Namen – etwas anders umgesetzt wird. Und das wirkt dann wieder wettbewerbsverzerrend.“

Karas „überrascht“

Scharfe Kritik an Kurz kam von SPÖ und NEOS. „Zwischen der ÖVP und der FPÖ gibt es keinerlei Unterschiede mehr“, so SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger verglich Kurz mit dem damaligen britischen Premier David Cameron vor dem Brexit-Referendum. Für Jetzt-Klubobmann Bruno Rossmann ist Kurz mit seinen europakritischen Aussagen „zum Antieuropäer geworden“ und „sehr weit nach rechts gerückt“.

Gegen das Abschaffen der Verordnung trat ÖVP-Delegationsleiter und EU-Spitzenkandidat Othmar Karas auf. Er halte nichts davon, die Verordnung „jetzt zwei Jahre danach einzustampfen“. Einen Konflikt mit dem Kanzler sah er aber nicht. Er sei „überrascht“, dass aus der Diskussionsrunde „nur ein Satzsplitter“ herausgegriffen worden sei, „um einen Konflikt mit dem Bundeskanzler zu konstruieren, den es nicht gibt“, so Karas.

Köstinger für „Faktencheck“

Auch Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) wollte keinen Disput zwischen Kanzler und Karas erkennen. „Kurz und Karas haben dieselbe Einstellung“, so Köstinger. Gesundheitsschutz stehe an oberster Stelle, „aber man muss nicht alles bis ins kleinste Detail regeln“.