„Regelungswahnsinn“: Juncker kritisiert Kurz

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker übt Kritik an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen dessen Aussagen über eine angebliche „Überbürokratisierung“ der EU-Kommission und einen „Regelungswahnsinn“ in Brüssel. „Ich finde, dass diese Anwürfe gegen die Europäische Union völlig daneben sind“, sagte Juncker in einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“.

„Schließt sich Chor der gegnerischen Stimmen an“

Seine Behörde habe seit 2014 ganz im Gegenteil die Verwaltung deutlich „abgespeckt“ und die Zahl der Regelungsvorschläge um 75 Prozent reduziert. Kurz, den er für einen „überzeugten stetigen Europäer“ halte, „schließt sich jetzt aber der Themensetzung derer an, die das europäische Tun und Handeln zwar nicht infrage stellen, aber massiv bemängeln“. Davon sei er völlig überrascht, erklärte Juncker. „Ich finde es nicht gut, dass er, der für Europa steht, sich jetzt dem Chor der gegnerischen Stimmen anschließt.“

Fall „bewusster Schizophrenie“

Die Kritik des luxemburgischen Kommissionschefs, der als Christdemokrat wie Kurz der EVP angehört, fällt laut einer Vorabmeldung des „Standard“ ungewöhnlich deutlich aus. Er warnt davor, dass Regierungschefs nur „Teilzeiteuropäer“ seien. Weil Kurz seine Attacken unter anderem mit der EU-Richtlinie zum Schutz vor krebserregenden Substanzen beim Braten von Schnitzeln begründete, zeigte sich Juncker erstaunt: „Ich verstehe ihn nicht.“ Österreich habe der Richtlinie zugestimmt. Für ihn sei das ein Fall „bewusster Schizophrenie“.

Dahinter sieht der Kommissionschef eine Absicht, sich nur dann für Europa zu engagieren, wenn es dem nationalen Interesse dient: „Das Große wird klein gemacht, und das Kleine wird groß gemacht“, moniert er. Angesichts der bevorstehenden Wahl der neuen EU-Kommission sei das gefährlich. Es könnte sein, dass die Kommission „handlungsunfähig“ werde, wenn der Einfluss der „extremen Kräfte von rechts und links“ im neuen EU-Parlament zu groß werde.

Juncker warnte EVP

Seine eigene Parteifamilie warnte Juncker eindringlich davor, in Straßburg eine Nähe auch zu den extremen Rechten und Rechtspopulisten zu suchen, um Manfred Weber die Wahl zum Kommissionspräsidenten zu sichern: „Wenn dies passierte, würde ich zwar die Mitgliedschaft in meiner Partei, der Christlich-Sozialen Union in Luxemburg, nicht kündigen. Aber ich würde meine Partei auffordern, die EVP zu verlassen.“

Juncker hofft darauf, dass die vernünftigen Kräfte bei Christ- und Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen nach der EU-Wahl einen Weg finden, die Aufgaben und die EU-Topjobs auf faire und vernünftige Weise zu verteilen. Der siegreiche EU-Spitzenkandidat solle den ersten Zugriff auf den Posten des nächsten Kommissionspräsidenten erhalten.