Video belastet Strache

Kurz kündigt Reaktion an

Knapp vor der EU-Wahl steht Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) schwer unter Druck. Deutsche Medien veröffentlichten am Freitag ein Enthüllungsvideo, auf dem er im Juli 2017 mit einer vermeintlichen russischen Investorin auf Ibiza unter anderem über Staatsaufträge für millionenschwere Spenden spricht. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kündigte an, am Samstag dazu Stellung zu nehmen. Im Vorfeld wurde bereits über eine Neuwahl spekuliert.

Sonstige Reaktionen der ÖVP blieben bis Samstagvormittag aus. Die Beratungen liefen der ZIB2 zufolge noch spät nachts. Die FPÖ dementierte alle erwähnten Geldflüsse – und ging in die Gegenoffensive. Generalsekretär Christian Hafenecker stellte in einer Aussendung die Frage, wer von der Veröffentlichung kurz vor der Wahl profitiere – und zeigte sich „an die sattsam bekannten schmutzigen Silberstein-Methoden aus dem Nationalratswahlkampf 2017“ erinnert. Er kündigte Rechtsschritte wegen der „offensichtlich illegalen“ Aufnahme an.

Wie schon Strache und der ebenfalls im Video zu sehende FPÖ-Klubchef Johann Gudenus gegenüber „Spiegel“ und „Süddeutscher Zeitung“ betonte Hafenecker, dass erwähnte Spenden nicht eingegangen seien. Die FPÖ habe „niemals irgendwelche Vorteile von diesen Personen erhalten oder selbigen gewährt“. Und Strache habe in diesem Gespräch mehrmals die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung betont. Laut Justizgeneralsekretär Christian Pilnacek wurde die Oberstaatsanwaltschaft mit einer Prüfung des Videos beauftragt.

„Lockvogel“-Video bringt Strache unter Druck

Das Video von dem sechsstündigen Treffen Straches und Gudenus’ mit der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen wurde „Spiegel“ und „SZ“ zugespielt – die beiden Medien publizierten das politisch hochbrisante Video am Freitagabend überraschend. Das Video war offensichtlich als Falle für die FPÖ-Politiker organisiert worden, berichteten sie. Der „Lockvogel“ soll erzählt haben, eine Viertelmilliarde Euro in Österreich investieren zu wollen – und angedeutet haben, dass es sich um Schwarzgeld handle. Strache und Gudenus reden in dem Video dennoch mit ihr über Anlagemöglichkeiten.

Videoaufnahmen belasten Strache

In den laut „Spiegel“ und „SZ“ vor der Nationalratswahl 2017 auf Ibiza gefilmten Aufnahmen erklärt Strache einer vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen, wie sie verdeckte Parteispenden an die FPÖ schleusen könnte.

Strache sagt in den veröffentlichten Videoausschnitten, dass „ein paar sehr Vermögende“ im Wahlkampf – im Oktober 2017 wurde der Nationalrat gewählt – zwischen 500.000 und zwei Mio. Euro über einen gemeinnützigen Verein an die FPÖ bezahlen würden, ohne dass das dem Rechnungshof (RH) gemeldet werde. Strache nennt den Waffenproduzenten Gaston Glock, die Milliardärin Heidi Goess-Horten, den Unternehmer Rene Benko und den Glücksspielkonzern Novomatic.

Alle vier dementierten umgehend, dass sie an die FPÖ gespendet hätten. „Der Rechnungshof sieht sich veranlasst, von der FPÖ Aufklärung zu verlangen“, twitterte RH-Sprecher Christian Neuwirth unterdessen. Ein Sprecher des Vizekanzlers war für ORF.at Freitagabend nicht erreichbar.

Ein Screenshot der Startseite der Süddeutschen Zeitung-Online am 17. Mai 2019.
APA/Screenshot Sueddeutsche

Strache stellt in Video öffentliche Aufträge in Aussicht

Laut „Süddeutscher Zeitung“ sagte die vermeintliche russische Investorin, sie wolle relevante Anteile an der „Kronen Zeitung“ erwerben und anschließend den FPÖ-Wahlkampf durch die Berichterstattung unterstützen. Die Frau wurde den Politikern als „Aljona Makarowa vorgestellt, angebliche Nichte eines Putin-nahen russischen Oligarchen“, heißt es in der „SZ“.

„Wenn sie die Kronen Zeitung übernimmt drei Wochen vor der Wahl und uns zum Platz eins bringt, dann können wir über alles reden“, sagt Strache in dem Video. Denn: Würde die „Krone“ die FPÖ zwei, drei Wochen vor der Wahl pushen, „dann machen wir nicht 27, dann machen wir 34“ Prozent.

Außerdem stellte Strache der Frau in dem Video öffentliche Aufträge im Straßenbau in Aussicht: „Das Erste in einer Regierungsbeteiligung, was ich heute zusagen kann: Der Haselsteiner kriegt keine Aufträge mehr“, sagt er. Hans Peter Haselsteiner ist der langjährige Vorstandsvorsitzende und Miteigentümer des Baukonzerns STRABAG. Auch über den Verkauf von Österreichs Trinkwasser spricht Strache. Man könne „eine Struktur schaffen, wo wir das Wasser verkaufen, wo der Staat eine Einnahme hat und derjenige, der das betreibt, genauso eine Einnahme hat“, zitierte der „Falter“ den Vizekanzler mit Verweis auf das Video.

Schaltung zu Leila Al-Serori, „Süddeutsche Zeitung“

Leila Al-Serori, Journalistin von der "Süddeutschen Zeitung“ über die Recherchen des „Spiegels“ und der „Süddeutschen Zeitung“.

Darin spricht Strache überdies davon, das österreichische Mediensystem nach dem Vorbild Ungarns gestalten zu wollen. Unter der Regierung des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban wurde die Pressefreiheit in dem Land massiv eingeschränkt. „Würden wir in einer Regierungsbeteiligung sein, würden wir uns sogar vorstellen können, einen Sender zu privatisieren. Da gibt’s natürlich dann Interessenten unterschiedliche … Wir könnten uns vorstellen, den ORF auf völlig neue Beine zu stellen“, sagt Strache in der Aufnahme.

Strache zu „Spiegel“: „Rein privat“

Es sei „ein rein privates“ Treffen in „lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre“ gewesen, erklärte Strache laut „Spiegel“ schriftlich. „Auf die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung wurde von mir in diesem Gespräch bei allen Themen mehrmals hingewiesen“, teilte Strache dort schriftlich überdies mit.

Das gelte auch für „allenfalls in Aussicht gestellte Parteispenden bzw. Spenden an gemeinnützige Vereine im Sinne der jeweiligen Vereinsstatuten“. Strache ergänzte, er oder die FPÖ hätten „niemals irgendwelche Vorteile“ von diesen Personen erhalten oder gewährt. „Im Übrigen“, schrieb Strache, „gab es neben dem Umstand, dass viel Alkohol im Laufe des Abends gereicht wurde, auch eine hohe Sprachbarriere“.

Analyse von Peter Filzmaier

Politologe Peter Filzmaier analysiert, dass bei Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) „die Rücktrittsfrage auf jeden Fall im Raum“ steht. Der Ball liege jetzt bei Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Die Enthüllung wirft viele Fragen auf. So ist unklar, wer die Personen waren, die Strache und Gudenus die Falle stellten. Auch wer den Medien das Material zuspielte, ist offen. „Spiegel“ und „SZ“ berufen sich auf den Quellenschutz. Und ebenfalls bisher nicht erklärbar ist, warum das belastende Video erst jetzt, rund eine Woche vor der EU-Wahl, publik wurde. Leila Al-Serori von der „SZ“ erklärte in der ZIB2, dass man das Video bereits vor Monaten angeboten bekommen habe. Erhalten habe man es aber erst vor Kurzem.

„SZ“: Böhmermann wusste von Causa

Die „SZ“ verweist in ihrem Artikel auch auf einen Scherz des deutschen Satirikers Jan Böhmermann, der in einem Videogrußwort für die Verleihung des Filmpreises „Romy“ Mitte April gesagt hatte, er hänge „gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza“ rum und verhandle über die Übernahme der „Kronen-Zeitung“. Dem Artikel zufolge war die Existenz des Videos zu dem Zeitpunkt „offenbar schon einer Reihe von Personen bekannt, die davon nicht von der SZ erfahren haben.“

Ein Screenshot der Twitter-Seite von Spiegel-Journalist Mathieu von Rohr mit der Titelseite von „Der Spiegel“, Ausgabe 18. Mai 2019.
APA/Screenshot Spiegel

Opposition fordert Rücktritt bis Neuwahl

Die Opposition forderte umgehende Konsequenzen – von Straches Rücktritt bis zu einer Neuwahl. „Vizekanzler Strache ist für Österreich nicht mehr tragbar. Bundeskanzler Kurz muss ihn augenblicklich entlassen“, fordern die Jetzt-Klubobleute Wolfgang Zinggl und Bruno Rossmann. „Ab sofort übernimmt der Bundeskanzler allein die volle Verantwortung für den rapiden Niedergang Österreichs und sein weltweites Ansehen", so Klubobmann Zinggl.

Fassungslos reagierte auch NEOS-Vorsitzende und Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger: „Wenn sich dieser Bericht und dieses Video als wahr herausstellen sollten, ist eines klar: Strache und Gudenus sind rücktrittsreif. Und ebenfalls klar: Diese Regierung ist am Ende, das muss auch Sebastian Kurz einsehen. An Neuwahlen führt kein Weg mehr vorbei“, so Meinl-Reisinger.

Jarolim zeigt Strache bei WKStA an

„FPÖ-Vizekanzler Strache ist nicht mehr tragbar. Sein Rücktritt ist nach dieser Videosequenz zwingend. Das Gleiche gilt für Klubobmann Gudenus“, sagte SPÖ-Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim zeigt Strache und Klubobmann Gudenus unterdessen bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) an. Im „Ibiza-Video“ zu sehende Aussagen und Aktivitäten könnten Straftatbestände – bzw. zumindest deren Vorbereitung – von Amtsmissbrauch, Bestechung, Geldwäscherei über staatsfeindliche Verbindung bis zu unerlaubtem Umgang mit Suchtgiften erfüllen, schreibt Jarolim in der Sachverhaltsdarstellung.

Auch SPÖ-EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder verlangte sofortige Konsequenzen. „Wiederholt sich der ewige blaue Kreislauf, Oppositionsbank – Regierungsbank – Anklagebank?“, fragte Werner Kogler, Bundessprecher und EU-Spitzenkandidat der Grünen in einer ersten Reaktion.

Experte: „Verstoß gegen Parteiengesetz“

Der Politikwissenschaftler Hubert Sickinger hält die von Strache in dem Video geschilderte verdeckte Parteienfinanzierung für „einen gravierenden Verstoß gegen das Parteiengesetz“. Fraglich sei aber, ob die Causa wirklich aufgeklärt werden kann, sagt Sickinger. Denn strafrechtliche Sanktionen sind nicht vorgesehen – und Konten öffnen könne nur die Staatsanwaltschaft.