Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Roland Schlager
Nach Kurz-Statement

Fragen zu Regierung offen

Auch nach dem Statement von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Anschluss an den ÖVP-Bundesparteivorstand am Montag ist die Zukunft der Regierung offen. Zwar kritisierte Kurz in seiner Stellungnahme Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) – eine Entlassung, wie am Vormittag gemutmaßt, kündigte er jedoch nicht an. Kurz zuvor bot die FPÖ den Rücktritt sämtlicher Ministerinnen und Minister an, sollte Kickl gehen müssen.

In der kurzen Stellungnahme des Kanzlers, bei der erneut keine Fragen zugelassen waren, fasste Kurz die Stimmung innerhalb der eigenen Partei zusammen: Man sei sich „einig“: Das „Ibiza-Video“ und der Umgang damit „hat uns gemeinsam sehr erschüttert“. Auch habe es das „plötzliche Ende der Koalition“ bedeutet und dem Ansehen des Landes geschadet.

Ziel der ÖVP sei es, den bisherigen Kurs fortzusetzen und zu stärken, „ohne den Hemmschuh, den wir hier die ganze Zeit erleben mussten“. Mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen sei er einig, dass volle Aufklärung aller Verdachtsmomente in Zusammenhang mit dem „Ibiza-Video“ der FPÖ erfolgen müsse. Zum weiteren Vorgehen bis zur Neuwahl, vor allem zu den Regierungsmitgliedern der FPÖ, sagte er jedoch nichts außer: „Wir brauchen stabile Verhältnisse in Österreich.“

Kurz kritisiert Ernennung Goldgrubers

Dass Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) seinen Generalsekretär Peter Goldgruber in der Krise noch rasch als Direktor für die öffentliche Sicherheit installiert, bestärkt Kurz nach eigenen Aussagen in seiner Entscheidung für Neuwahlen.

Am Vormittag wurde noch spekuliert, dass Kurz die Entlassung Kickls ankündigen könnte. Trotz scharfer Kritik am Minister kam es dazu jedoch nicht. Vor allem die Entscheidung Kickls, den umstrittenen Vertrauensmann Peter Goldgruber zum Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit zu machen, hob Kurz hervor. Diese Aktion sei ein Zeichen dafür, dass es kein Bewusstsein innerhalb der FPÖ für die Situation gebe.

FPÖ bot Rücktritt von Ministern an

Kurz zuvor spielten Kickl und der designierte FPÖ-Chef Norbert Hofer den Ball zurück zum Kanzler. In einer Stellungnahme am Vormittag bot Hofer den Rücktritt sämtlicher FPÖ-Ministerinnen und -Minister an: „Als Regierungsmitglieder haben wir gesagt: Stellen wir unsere Ämter zur Verfügung, wenn die Abberufung unseres Innenministers Herbert Kickl erfolgt“, so Hofer. „Herbert Kickl hat sich nichts zuschulden kommen lassen“, so der designierte FPÖ-Chef zu den Forderungen der ÖVP, das Ressort des Innenministers im Zuge von Heinz-Christian Straches Rücktritt ebenfalls frei zu machen. „Viele in den Reihen“ der ÖVP hätten Kurz den Verlust des Innenministeriums „nicht verziehen“, so Kickl.

Anstatt zu sagen, wie die FPÖ nun weitermachen will, zogen Hofer und Kickl vielmehr eine positive Bilanz ihrer Arbeit in der Regierung. Für den anstehenden Wahlkampf stellte Hofer in Aussicht, dass es keinen „Schmutzkübelwahlkampf“ geben werde: „Jetzt werden wir einen respektvollen Wahlkampf machen.“ Ohne bereits auszusprechen, dass die Minister geschlossen zurücktreten, sagte Hofer vor Kickls Erklärung: „Es tut mir sehr leid, wir hätten wirklich gerne weitergemacht.“

Die zentrale Aussage: Es geht um die Personalie Kickl

Die FPÖ stellt ihre Ämter zur Verfügung, wenn es zur Abberufung von Kickl kommen sollte.

Kickl attackiert ÖVP scharf

Kickl sparte mit Kritik an der ÖVP hingegen nicht. Er warf der Partei eine „kalte und nüchterne Machtbesoffenheit“ vor. Der Bundespräsident habe die wahre Absicht hinter einem „jungen und freundlichen Gesicht“ nicht durchschaut, so Kickl. Dass die ÖVP das Innenressort auf keinen Fall mit einem FPÖ-Politiker besetzen will, sei für ihn ein „Rückfall in die Untiefen der ÖVP-Machtpolitik, die dieses Land so viele Jahre gelähmt gehalten hat“. Er verwies auch darauf, dass normalerweise alle Minister bis zur Neuwahl im Amt bleiben – eine „Staatskrise“ sehe er nicht.

Der „Ibiza-Skandal“

Der „Ibiza-Skandal“ ist Auslöser einer schweren innenpolitischen Krise. Ein Treffen von Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Klubchef Johann Gudenus (beide FPÖ) mit einer angeblichen russischen Oligarchennichte geriet zum Sittenbild für Korruption und Käuflichkeit höchster Amtsträger. Ein heimlich aufgenommenes Video des Treffens brachte die beiden Politiker zu Fall – und die ÖVP-FPÖ-Koalition gleich mit.

Vorschlagsrecht läge bei Kurz

Sollten tatsächlich alle FPÖ-Ministerinnen und -Minister zurücktreten, ist Kanzler Kurz in seinem Vorschlagsrecht frei. Sowohl der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger als auch die Experten der Präsidentschaftskanzlei haben erklärt, dass der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten eine Person seiner Wahl vorschlagen kann. Der Bundespräsident kann einen neuen Minister nur auf Vorschlag des Bundeskanzlers ernennen.

Sollte der Bundespräsident den Vorschlag des Bundeskanzlers ablehnen, müsste der Regierungschef eine andere Person vorschlagen. Eine theoretische Möglichkeit ist auch, dass ÖVP-Minister die Leitung der bisherigen FPÖ-Ressorts bis zur Wahl bzw. zur Bildung einer neuen Regierung mit übernehmen.

Hofer kündigt Prüfung der FPÖ-Finanzen an

Die Finanzen der FPÖ sollen unterdessen durch einen „externen Prüfer“ kontrolliert werden, kündigte der designierte FPÖ-Chef an. Es werde eine „strenge Prüfung“ geben, so Hofer. Laut Hofer habe es keine Großspenden gegeben, die größte Spende sei „10.000 Euro“ gewesen, diese stamme von einer „Landwirtin, die in eine Notlage geraten ist“ und sich für die Hilfe der FPÖ revanchiert habe.

Zuvor sprach Hofer noch einmal die Ereignisse des Wochenendes an: „Zweifellos“ sei es so, dass das Video, das veröffentlicht wurde, und die Inhalte darin „unentschuldbar“ sind, so Hofer. „Joschi (Johann, Anm.) Gudenus und HC (Heinz-Christian, Anm.) Strache haben aus diesen Vorkommnissen die Konsequenzen gezogen.“

„Habe mich nie in Auftragsvergabe eingemischt“

Bezüglich der von Strache in dem Video in Aussicht gestellten Änderung der Auftragsvergabe bei der STRABAG sagte Hofer im Hinblick auf sein Ressort: „Es gibt eine ganz exakte Auftragsvergabe bei ÖBB und ASFINAG, ich habe mich da nie eingemischt“, so Hofer, der auch darauf verwies, dass an der „Spitze der ÖBB ein Sozialdemokrat“ stehe.

Am Nachmittag wird Kurz mit dem Innenminister sprechen, zuvor traf er zu einem Gespräch mit Bundespräsident Van der Bellen ein – Stellungnahme gab der Kanzler danach jedoch keine ab. Anschließend traf Hofer bei Van der Bellen ein. Um 17.30 Uhr wird SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner bei Van der Bellen erwartet. Am Dienstag sind Gespräche mit NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Jetzt-Chefin Maria Stern in der Hofburg angekündigt.

Aufregung über Termin für Sondersitzung des Nationalrats

Die von der SPÖ beantragte Sondersitzung des Nationalrats zur Regierungskrise, bei der bereits ein Neuwahlantrag eingebracht werden könnte, soll nach dem Willen der ÖVP unterdessen bis zum Montag nach der EU-Wahl herausgezögert werden. Das sei APA-Angaben zufolge vom schwarzen Klubdirektor mitgeteilt worden.

Auf diese Meldung folgte scharfer Protest von SPÖ, NEOS und Jetzt. Für SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried sei das ein „demokratiepolitischer Machtmissbrauch, den das österreichische Parlament in der zweiten Republik noch nicht erlebt hat“. NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak forderte „Schluss mit dem Taktieren“, und Wolfgang Zinggl (Jetzt) kritisierte, dass die Vorgangsweise „lediglich den Interessen der ÖVP“ diene.