Bundeskanzleramt in Wien
ORF.at/Dominique Hammer
Regierungskrise

Warten auf nächste Schritte

Die Zukunft der Regierung ist weiterhin unklar: Bis zum späten Nachmittag war offen, ob Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) ankündigen wird. Die FPÖ will in diesem Fall mit allen Ministerinnen und Ministern zurückzutreten. In einigen Ministerien hat das Packen bereits begonnen.

Auch nach einem Gespräch zwischen Bundespräsident Alexander Van der Bellen und dem designierten FPÖ-Chef Norbert Hofer gab es keine Klarheit über die nächsten Schritte der Regierung. Hofer bezeichnete das Gespräch mit dem Präsidenten als gut, Van der Bellen habe darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, für die „notwendige Stabilität im Staatsgefüge Sorge zu tragen“. Er wolle alles dafür tun, damit diese gewährleistet sei, so Hofer.

Hofer sagte, dass Van der Bellen auch mit den anderen Parteichefinnen und -chefs Gespräche führen werde. Für Montag war noch SPÖ-Chefin Pamela Rendi Wagner angekündigt, am Dienstag sind Gespräche mit NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Jetzt-Chefin Maria Stern in der Hofburg geplant.

Kurz kritisiert Kickl scharf

Vor dem Bundeskanzleramt war das Gedränge der Journalistinnen und Journalisten unterdessen groß, denn Kanzler Kurz könnte jederzeit die Entlassung Kickls ankündigen. Am späten Nachmittag wurde bekanntgegeben, dass Kurz nach dem Gespräch mit dem Innenminister um 18.30 an die Öffentlichkeit treten werde, wie ein Sprecher der APA bestätigte.

Schon kurz nach Mittag war Kurz im Anschluss an den Bundesparteivorstand vor die Presse getreten – wie auch Hofer nahm er keine Frage der anwesenden Journalistinnen und Journalisten entgegen. In seiner Stellungnahme kritisierte er Innenminister Kickl zwar scharf, kündigte aber noch keine weiteren Schritte an, er sagte lediglich: „Wir brauchen stabile Verhältnisse in Österreich.“ Mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen sei er einig, dass volle Aufklärung aller Verdachtsmomente in Zusammenhang mit dem „Ibiza-Video“ der FPÖ erfolgen müsse.

Vor allem die Entscheidung Kickls, den umstrittenen Vertrauensmann Peter Goldgruber zum Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit zu machen, hob Kurz hervor. Diese Aktion sei ein Zeichen dafür, dass es kein Bewusstsein innerhalb der FPÖ für die Situation gebe. Gegen die Ernennung Goldgrubers legte sich letztlich der Bundespräsident quer.

Kurz kritisiert Ernennung Goldgrubers

Dass Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) seinen Generalsekretär Peter Goldgruber in der Krise noch rasch als Direktor für die öffentliche Sicherheit installiert, bestärkt Kurz nach eigenen Aussagen in seiner Entscheidung für eine Neuwahl.

Wahlkampfstimmung bei Stellungnahmen

Sowohl von Kurz als auch Hofer, der schon am Vormittag gemeinsam einen Auftritt vor der Presse mit Innenminister Kickl hatte, wurde Bilanz gezogen und der Kurs für die nächsten Wahlen vorgegeben. Ziel der ÖVP sei es, den bisherigen Kurs fortzusetzen und zu stärken, „ohne den Hemmschuh, den wir hier die ganze Zeit erleben mussten“, so Kurz.

Am Vormittag spielten Kickl und Hofer den Ball zurück zum Kanzler. In einer Stellungnahme am Vormittag bot Hofer den Rücktritt sämtlicher FPÖ-Ministerinnen und -Minister an: „Als Regierungsmitglieder haben wir gesagt: Stellen wir unsere Ämter zur Verfügung, wenn die Abberufung unseres Innenministers Herbert Kickl erfolgt“, so Hofer.

Anstatt zu sagen, wie die FPÖ nun weitermachen will, zogen Hofer und Kickl vielmehr eine positive Bilanz ihrer Arbeit in der Regierung. Für den anstehenden Wahlkampf stellte Hofer in Aussicht, dass es keinen „Schmutzkübelwahlkampf“ geben werde: „Jetzt werden wir einen respektvollen Wahlkampf machen.“ Ohne bereits auszusprechen, dass die Minister geschlossen zurücktreten, sagte Hofer vor Kickls Erklärung: „Es tut mir sehr leid, wir hätten wirklich gerne weitergemacht.“

Die zentrale Aussage: Es geht um die Personalie Kickl

Die FPÖ stellt ihre Ämter zur Verfügung, wenn es zur Abberufung von Kickl kommen sollte.

Kickl attackiert ÖVP scharf

Kickl sparte mit Kritik an der ÖVP hingegen nicht. Er warf der Partei eine „kalte und nüchterne Machtbesoffenheit“ vor. Der Bundespräsident habe die wahre Absicht hinter einem „jungen und freundlichen Gesicht“ nicht durchschaut, so Kickl. Dass die ÖVP das Innenressort auf keinen Fall mit einem FPÖ-Politiker besetzen will, sei für ihn ein „Rückfall in die Untiefen der ÖVP-Machtpolitik, die dieses Land so viele Jahre gelähmt gehalten hat“. Er verwies auch darauf, dass normalerweise alle Minister bis zur Neuwahl im Amt bleiben – eine „Staatskrise“ sehe er nicht.

Der „Ibiza-Skandal“

Der „Ibiza-Skandal“ ist Auslöser einer schweren innenpolitischen Krise. Ein Treffen von Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Klubchef Johann Gudenus (beide FPÖ) mit einer angeblichen russischen Oligarchennichte geriet zum Sittenbild für Korruption und Käuflichkeit höchster Amtsträger. Ein heimlich aufgenommenes Video des Treffens brachte die beiden Politiker zu Fall – und die ÖVP-FPÖ-Koalition gleich mit.

Vorschlagsrecht läge bei Kurz

Sollten tatsächlich alle FPÖ-Ministerinnen und -Minister zurücktreten, ist Kanzler Kurz in seinem Vorschlagsrecht frei. Sowohl der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger als auch die Experten der Präsidentschaftskanzlei haben erklärt, dass der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten eine Person seiner Wahl vorschlagen kann. Der Bundespräsident kann einen neuen Minister nur auf Vorschlag des Bundeskanzlers ernennen.

Sollte der Bundespräsident den Vorschlag des Bundeskanzlers ablehnen, müsste der Regierungschef eine andere Person vorschlagen. Eine theoretische Möglichkeit ist auch, dass ÖVP-Minister die Leitung der bisherigen FPÖ-Ressorts bis zur Wahl bzw. zur Bildung einer neuen Regierung mit übernehmen.

Erste Mitarbeiter in Ministerien packen

In den FPÖ-Ministerien wird unterdessen bereits gepackt, wie am Montag bekanntwurde. Die ZIB berichtete, dass im Sozialministerium von FPÖ-Ministerin Beate Hartinger-Klein gepackt werde. Das könne ein Hinweis darauf sein, dass die FPÖ-Ministerriege aus der Regierung ausscheidet, hieß es. Und auch im Verkehrsministerium von Hofer wird laut „Standard“ gepackt, Hofer soll sich bereits im Ministerium verabschiedet haben. Im Sportministerium von Heinz-Christian Strache ist man operativ ohne Führung, aus dem Ministerium heißt es jedoch: „Wir sind funktionstüchtig.“

Hofer kündigt Prüfung der FPÖ-Finanzen an

Die Finanzen der FPÖ sollen unterdessen durch einen „externen Prüfer“ kontrolliert werden, kündigte der designierte FPÖ-Chef an. Es werde eine „strenge Prüfung“ geben, so Hofer. Laut Hofer habe es keine Großspenden gegeben, die größte Spende sei „10.000 Euro“ gewesen, diese stamme von einer „Landwirtin, die in eine Notlage geraten ist“ und sich für die Hilfe der FPÖ revanchiert habe.

Aufregung über Termin für Sondersitzung des Nationalrats

Die von der SPÖ beantragte Sondersitzung des Nationalrats zur Regierungskrise, bei der bereits ein Neuwahlantrag eingebracht werden könnte, soll nach dem Willen der ÖVP unterdessen bis zum Montag nach der EU-Wahl herausgezögert werden. Das sei APA-Angaben zufolge vom schwarzen Klubdirektor mitgeteilt worden.

Auf diese Meldung folgte scharfer Protest von SPÖ, NEOS und Jetzt. Für SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried sei das ein „demokratiepolitischer Machtmissbrauch, den das österreichische Parlament in der zweiten Republik noch nicht erlebt hat“. NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak forderte „Schluss mit dem Taktieren“, und Wolfgang Zinggl (Jetzt) kritisierte, dass die Vorgangsweise „lediglich den Interessen der ÖVP“ diene.

Misstrauensantrag könnte Kurz unter Druck bringen

Der von Jetzt angekündigte Misstrauensantrag gegen den Kanzler gewinnt unterdessen an Fahrt. Aus FPÖ-Kreisen hieß es gegenüber der APA, sollte die ÖVP auf den Abzug von Innenminister Herbert Kickl beharren, könnte man das Votum bei der Sondersitzung des Nationalrats unterstützen. Listengründer Peter Pilz hatte am Montag bekanntgegeben, einen Misstrauensantrag einzubringen. Er hofft dafür auf die Stimmen von SPÖ und NEOS.