Ein fröhlich-bunter Farbteppich in Rot, Grün und Blau ziert seit einigen Tagen den mumok-Treppenaufgang: ein Vorbote der Op-Art-Ausstellung „Vertigo“, gestaltet vom französisch-venezolanischen Künstler Carlos Cruz-Diez. Wer genauer – und etwas geduldiger – hinschaut, der kann dabei mehr erleben als ein hübsches Lamellenmuster. Denn wendet man den Blick ab, spielen einem die eigenen Sehorgane Streiche, indem sie die Farbflächen im Nachbild plötzlich in der Komplementärfarbe erscheinen lassen: Rot als Grün, Blau als Gelb. „Schuld“ am irritierenden Effekt sind die linearen Strukturen, die sich der Künstler hier zunutze macht.
„Zirkus fürs Auge“ also? So jedenfalls urteilte die „New York Post“ schon anno 1965 über die Op-Art – mit einem abfälligen Beiklang, der nicht ganz zufällig war. Mit der New Yorker MOMA-Schau „The Responsive Eye“ hatte gerade eine der ersten Blockbuster-Ausstellungen eröffnet, gewidmet einer Kunstströmung, die damals dem Zeitgeist entsprach: Op-Art, kurz für „Optische Kunst“, stand gemeinhin für kontrast- oder farbenreich flimmernde Bilder mit optimistischem Touch, verwirrend und scheinbar entgrenzt. Beschrieben auch als „Kunst gewordener LSD-Trip“, schien sie perfekt zum „Mood der Sixties“ zu passen und fand rasch Platz als Poster im psychedelisch angehauchten Wohnzimmer, auf T-Shirts und Kaffeetassen.
Auf Hype folgt Fall
Auf den großen Hype, der sich vor allem um Victor Vasarely drehte – den selbst ernannten Vater der Op-Art und, so die Kuratorin Eva Badura-Triska, den „eigentlich schlechtesten aller Op-Art-Künstler“ –-, folgte rasch der große Fall. „Oberflächlich, keine intellektuelle Tiefe“, lautete das Urteil der Kunstkritik – bis die Op-Art vor einigen Jahren mit Ausstellungen in Kopenhagen, Frankfurt und Madrid wieder Aufmerksamkeit fand. Die neue Wertschätzung vollzieht man jetzt auch im mumok nach – ganz unabhängig davon, wie man beteuert.
Als österreichisches „60er-Jahre-Kompetenzzentrum“, sogar mit eigenem Sammlungsbestand, war das mumok eigentlich schon lange prädestiniert für so eine Schau. Trotzdem ist die Op-Art die letzte der im Haus oft gezeigten, damaligen Avantgarden, von der Pop-Art bis zum Nouveau Realisme, die man jetzt aus den Depots holt. Das Warten hat sich gelohnt: Die nach Alfred Hitchcocks schwindelerregendem Filmklassiker benannte Ausstellung zeigt überzeugend, dass die Op-Art viel mehr zu bieten hat als faszinierende Spielchen mit unserer Wahrnehmung.
Jahrmarktstimmung im mumok-Obergeschoß
Sicher, künstlerisch verpackte „Jahrmarktstimmung“ gibt es auch hier – und sie gehört schließlich auch dazu. Vor allem im zweiten Obergeschoß des mumok geht es den Besucherinnen und Besuchern mit großformatigen Erlebnisräumen an die Substanz. Spielerisch noch Marina Apollonios betretbare konzentrische Kreise, die so wirken, als würden sie sich ausstülpen.
Tatsächlich in sich hat es dann Gianni Colombos großartiges, labyrinthähnliches Raumgeflecht von der Venedig-Biennale 1968, dessen Lichteffekte zu echten Beklemmungszuständen führen – vor allem im dritten Raum, ausgelöst durch ein raumübergreifendes Netz aus Neonseilen, das sich langsam zueinander verschiebt. Klingt vielleicht nicht wild, ist es aber. Damit nicht genug, blinkt einem, sobald man die dunklen Kuben verlässt, gleich Francois Morellets flimmernde Lichtinstallation in Neonorange entgegen.
Samt Schwindel und Übelkeit
Wer das Stockwerk ohne schummriges Gefühl verlässt – übrigens noch verstärkt durch das stimmig-verwirrende Labyrinth-Display – den kann vermutlich nur wenig erschüttern. Hinweise, die vor Schwindel, Übelkeit und epileptischen Anfällen warnen, gibt es nicht ohne Grund. Op-Art „packt nicht nur die Sinne, sondern den ganzen Körper“, fasst das Eva Badura-Triska zusammen – für die Kuratorin übrigens eine Parallele zu ihrem eigentlichen Spezialgebiet, dem Wiener Aktionismus.
Die körperliche Involvierung vollzieht die Kunstform nicht ohne Hintergedanken: Neben erkenntnistheoretischen Überlegungen – „Schau mal, wie leicht ich getäuscht worden bin!“ – trachtet die Op-Art wie die später aufgekommene Minimal Art danach, die Trennung zwischen Kunstwerk und Betrachter aufzuheben.
Op-Art als „Anti-Klassik des Konkreten“
Soweit, so bekannt. Was das mumok jedoch spannend Neues leistet, ist die Verbindung mit historischen antiklassischen Arbeiten, vor allem dem Manierismus, der ab dem 16. Jahrhundert nicht die getreue Naturnachahmung, sondern extreme Blickwinkel und optische Verwirrungen suchte. So zu sehen vor allem im zweiten, vergleichsweise erholsam-reduzierten Ausstellungsteil im Erdgeschoß, der die Labyrinth-Architektur nur noch andeutungsweise aufgreift.
Das berühmte, fast surrealistisch wirkende Selbstporträt von Parmigianino (1523/24) hängt hier neben „Blaze“ der britischen Op-Art-Meisterin Bridget Riley: Dort der italienische Maler mit riesiger rechter Hand vor einem konvexen Spiegel, daneben das millionenschwere 60er-Jahre-Werk, das die Verzerrung auf abstrakte Weise nachvollzieht. Knapp dahinter schwingen und drehen Op-Art-Werke von Almir Mavignier, Riley und Helga Philipp im Gleichklang mit Erika Giovanni Kliens „Diving Bird“ (1939) und Matthias Grünewalds „Maria der Verkündigung“ (1528).
Ausstellungshinweis
„Vertigo. Op Art und eine Geschichte des Schwindels 1520–-1970“: Bis 26. Oktober, montags 14.00 bis 19.00 Uhr, dienstags bis sonntags 10.00 bis 19.00 Uhr, donnerstags bis 21.00 Uhr.
Tarnen und Täuschen
Und da sind natürlich die fast obligatorischen „Zebres“ von Vasarely, die Verbindungen zu Tarnmalerei und „Dazzle-Camouflage“ nahelegen – einer kriegstechnologischen Entwicklung des Marinemalers Norman Wilkinson, die im Ersten Weltkrieg dazu diente, die Lokalisierung von Schiffen zu erschweren: Oft quer durch den Raum lassen sich solche Linien der flirrenden Avantgarde hinein in die Kunstgeschichte ziehen.
Als „Anti-Klassik des Konkreten“ wollen Badura-Triska und Kokurator Markus Wörgötter die Op-Art verstanden wissen. Anstelle des Strebens der konkreten Kunst nach Ordnung und Harmonie wird hier, mit Flimmern, Vibrieren, Zittern, Verzerrung und Dehnung, vielleicht eine Metapher für unser heutiges Dasein geliefert: Ein Grund, warum die Op-Art derzeit boomt? So oder so inszeniert das mumok überzeugend und sinnlich verführerisch, dass sich eine Wiederentdeckung der Op-Art lohnt – für Kunst- und Erlebnisaffine gleichermaßen.