Werner Kofler mit Zigarette vor Bergkulisse
Robert-Musil-Institut für Literaturforschung / Kärntner Literaturarchiv
Werner Kofler

Der Böhmermann vom Alpenkamm

„Schreiben ist Bergwandern im Kopf.“ So hat es der Autor und Underdog Werner Kofler einmal festgehalten. Um ein Haar wäre jede Wanderung mit Kofler unmöglich geworden, hätte nicht eine Gruppe von Forschern sein verstreutes Werk gesichert. Und mit Akribie einen Kosmos erschlossen, in dem schonungsloser Humor, die unkenntliche Überblendung von Realität und Satire und die gezielte Irreführung des Publikums durchaus an die Stilmittel eines Jan Böhmermann erinnern.

Koflers Manko: Er war in seiner Öffentlichkeitsarbeit nicht so erfolgreich wie ein Böhmermann oder, um im literarischen Feld zu bleiben, ein Thomas Bernhard. Fast zehn Jahre nach seinem Tod ist Kofler nun mit der von Claudia Dürr, Johann Sonnleitner und Wolfgang Straub besorgten dreibändigen Werkausgabe im Sonderzahl-Verlag eine Tat gelungen, auf die der einstige Kofler-Mentor und zu früh verstorbene Gegenwartsliteraturpapst Wendelin Schmidt-Dengler zu Recht stolz gewesen wäre: Kofler spielt in diesem Sommer vorne mit in den Buchbestenlisten.

Dabei hat es der Underdog im Zuschnitt eines Koflers in Österreich nicht gerade leicht. Hier das Feld der Etablierten, da die Heerschar heimlicher Fußballnationaltrainer und sonstiger Kunstgenies, die mit der Welt schon allein deshalb fremdeln, weil sie ohnedies alles besser könnten und wüssten. Man muss also ganz schön auffallen als Underdog, seinen Platz in einer engen Nische beanspruchen. Und hat es schließlich auch mit dem „Überleben“ in der Nachwelt durchaus schwer.

Abenteuer Fußnote

Wer heute Wolfi Bauer, Joe Berger oder Werner Schwab sagt, der muss schon einiges erklären, warum diese Figuren nebst ihrer Texte so besonders waren, in einem Land, in dem jeder Hotelportier möglicherweise zehn unveröffentlichte Opernlibretti in der Schublade hat. Die Aufmüpfigkeit im literarischen Feld ist ein Kind der Zeit – und diese Zeit (auch wenn sich in Österreich angeblich so wenig ändert), muss erklärt und will über viele Fußnoten im Land der Millionen Originale ausgeleuchtet sein.

Kofler im Zitat

„Ich werde mich ein wenig ins Kreuzverhör nehmen, das Verhör-Spielen ist doch mein liebster Zeitvertreib, mehr noch als die Laubsägetechnik.“

Umso bemerkenswerter scheint, dass Kofler nun endlich jenen Kultstatus hat, den seine Kollegin Elfriede Jelinek schon so lange fordert. Kofler lesen ist vielleicht eines der wirklichen wenigen Abenteuer und erinnert an eine Zeit, da sich die Lektüre-Jünger eines James Joyce, Hans Henny Jahnn oder Arno Schmidt mit Akribie auf die Freilegung aller möglichen Bedeutungsebenen schmissen. Bei Kofler können besonders Emsige nun auch in einen über 3.000 Einträge schweren Fußnotenapparat eintauchen, der auch digital anzusteuern ist. Fundstücke dabei unter anderem Scharmützel zwischen Kofler und „Krone“-Raufeder Michael Jeannee.

Werner Kofler
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Spät wiederentdeckt: Werner Kofler (1949–2011)

Alles beim Namen nennen – der Kosmos Kofler

Als „Unterhaltung für Eingeweihte“ hat der Germanist Klaus Amann die Texte Koflers einmal bezeichnet, und für den Kofler-Apologeten Schmidt-Dengler war es die „Hinterfotzigkeit“ der Textverfahren Koflers, die den Reiz der Arbeiten dieses Exil-Villachers ausmachten. Koflers Text „Guggile. Vom Bravsein und Schweinigeln“ gehöre „zu den stärksten Versuchen, eine Kärntner Biografie zu schreiben und dabei nicht über Humbert Fink Gutes zu behaupten“, so Schmidt-Dengler unnachahmlich und bei den kleinen Breitseiten austeilend wie Kofler selbst. Kein Text- oder Sprachformat, das Kofler nicht aufgegriffen hätte, um daraus so etwas wie eine Mischung aus Textoper und Welttheater des Österreichischseins zu erschaffen. Stetes Markenzeichen: die fließenden Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion.

Alles beim Namen nennen, vor allem reale Personen und Orte, um von dort in ein Universum der Irrealität zu gelangen, das ist das Kompositionskennzeichen Koflers. „Alles Personen, Orte und Begebenheiten sind wahrheitsgemäß erstunken und erlogen“, heißt es in diesem Sinn schon 1975 programmatisch in seinem Versuch einer „totalen Autobiografie“.

„Aber ich bin nicht Turrini“

Immer erschafft der Autor ein Universum wieder, das nach allen Ansprüchen moderner Schreibverfahren mit politischen wie zeithistorischen Querbezügen überfrachtet ist. Hinzu kommt ein Erzähler-Ich, das dem Autor so zum Verwechseln ähnelt und anders als in der klassischen Autobiografie nicht Konsistenz herstellt, sondern immer Instanz der Unordnung ist. „Mein Name ist Turrini, Sie kennen mich vielleicht auch als Ferrari-Brunnenfeld“, heißt es etwa recht unvermittelt an einer Stelle. Die Bezüge, einen Kärntner Systemkritiker wie Peter Turrini in einem Atemzug mit dem früheren FPÖ-Generalsekretär zu nennen, mag ja zunächst wie ein kleiner, perfider Rachefeldzug unter Autoren-„Freunden“ wirken, doch wenig später ist es dem Erzähler ohnedies nicht um Subtilitäten bestellt: „Aber ich bin nicht Turrini! Wäre ich Turrini, ich wäre längst in den Längsee gegangen. (…) Einmal wollte mir träumen, ich wäre Turrini, aber noch bevor ich mich in dieser Körpermasse zurechtfinden konnte, gerade rechtzeitig also, erwachte ich mit einem Schrei.“

Typoskriptseite aus Amnesie und Verbrechen
R.-Musil-Institut/Kärntner Literaturarchiv
Typoskriptseite aus dem Text „Amnesie und Verbrechen“

Am Abgrund

Wo so deftig ausgeteilt wird, entsteht interessanterweise eine Vertrauensbasis und wächst die Lust, der Fiktion so etwas wie den Gehalt der baren Münze geben zu wollen. Wer etwa die Autobiografie eines Joachim Meyerhoff liest, ist mit dem Effekt dieses Verfahrens sehr vertraut. Kofler jedoch nutzt diese scheinbare Kumpanei zwischen Erzähler und Leser für ein Spiel, in dem das Vorschussvertrauen so lustvoll wie eben hinterfotzig gebrochen wird. „Abgrund ist mein Stichwort“, schreibt der Erzähler fast warnend: „Auf Seilsicherung wollte der Fremde verzichten, ein Ich-Mensch, wie mir noch keiner unter die Augen kam.“

Man schließt nämlich einen lustvoll verderblichen Pakt in der Kofler’schen Odyssee, segelt nicht an Skylla und Charybdis vorbei, sondern mit dem Autor direkt ins Unheil hinein: „Der Bergführer als Kunstfigur, ein Bergführer, der einen ihm zum Schutze Anbefohlenen ins Verderben führt, der sich verstellt und seine Opfer noch auslacht, das ist mir die wahre Fremdenverkehrswerbung!“

Werner Kofler
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Die Haltung des Underdogs mit dem Hang zum Exzess hat Kofler zeitlebens nie abgelegt

„Bis zur Kenntlichkeit entstellt“

So mancher Ort hätte sich für die Kofler’sche „Fremdenverkehrswerbung“, wäre der Autor im Massenformat angekommen, schön bedankt. Österreich, so erinnert Schmidt-Dengler an den Kosmos Kofler, werde in seinen Texten „bis zur Kenntlichkeit“ entstellt. Da ist es nur konsequent, dass sich Kofler freihändig aus Kriminalfällen der „Brunnenzeitung“ (seiner Version der „Kronen Zeitung“) bedient, um nicht zuletzt deren Perspektivierung auf Chronikales gewitzt zu nutzen: Von den vertrauten Sprachschablonen einer Volkszeitung führt er in wenigen Spielzügen hinein in eine übersteigerte Realität, die sich nicht sofort zu erkennen gibt.

In Koflers erfolgreichstem Roman, „Hotel Mordschein“, erfährt der Täter dafür seine Handlungen aus den Berichten der „Kronen Zeitung“: „Wie die Meldung in die Nachrichten gelangt ist und der Entschluss (zur Tat, Anm.) in meinen Kopf, weiß ich nicht mehr.“ Kofler stellt die Kausalitäten so auf den Kopf, dass das Entstehen von Gerüchten und Legenden in ihrer Bauart aufgedeckt werden. Denn kein Gerücht braucht eine Absicherung in der Realität. Es braucht Namen und erkennbare Orte, nicht aber die verbürgten Geschehnisse.

An der Grenze von Wirklichkeit und Fabrikation

Mit der irrealen Wirkung seiner Texte wolle Kofler eigentlich die Realität präziser und treffsicherer dokumentieren, meint die Kofler-Herausgeberin Claudia Dürr im Gespräch mit ORF.at und verweist dabei etwa auf Koflers Text „Aus der Wildnis“: „Sagt der Leser Literatur, sagt der Autor: Wirklichkeit; sagt der Leser: Wirklichkeit, sagt der Autor: Literatur.“ Denkt man heute an die Pointen eines Böhmermann, so erhalten diese auch ihre Treffschärfe gerade aus dem Spiel Realität, Zuspitzung, Übertreibung. Lange regte sich die Welt über den Stinkefinger eines griechischen Finanzministers auf – bis Böhmermann der Welt offenbarte: alles Fabrikation.

Einmal ist eine Ankündigung eine tatsächliche Ankündigung, ein andermal geht sie in die Leere. So auch im Kosmos Kofler, der in vielem wie ein chaotisches Delirium wirkt, tatsächlich aber, wie Dürr untermauert, „präzise komponiert und gebaut sei“. Leider, so muss man auch nach der Durchsicht des Kofler-Fußnotenapparats feststellen, sind manche Kompositionsideen nur im Kopf des Erfinders aufgegangen.

Die Kofler-Topografie

Dennoch bleibt Kofler ein Entdeckungsabenteuer für den Urlaub und eine Einladung für eine Lektüre, die in Texte hinein- und herausspringt, anstatt ein Buch auf einen Zug hinunterzulesen. Zu entdecken gibt es vor allem spezielle Kofler-Orte, von denen sich eine Zeitgeschichtstopik der besonderen Art entspinnt. Einerseits arbeitet Kofler tatsächlich mit einer Wissensordnung von Orten und Gemeinplätzen, um von diesen assoziativ in die Zeit- oder Kulturgeschichte zu wechseln. Andererseits treiben seine Verortungen eine Haltung beim Leser voran, allem Nachfolgendem einen besonderen Glauben zu schenken.

Historisches Bild des Plattnerhofes am Iselsberg in Osttirol
Robert-Musil-Institut für Literaturforschung / Kärntner Literaturarchiv
Reale Orte und Dokumente als Ausgangspunkt für absurde Geschichten

So sind auch die „Metamorphosen des Plattnerhofes“, die den Osttiroler Ort Iselsberg zum Ausgangspunkt haben, ein typischer Kristallisationspunkt der Kofler’schen Abenteuerliteratur, die sich vom Logenplatz eines Jean Paul querbeet durch die Kulturgeschichte fantasiert. Ein aufgefundenes Briefkonvolut im Ferienhaus der Eltern in Iselsberg nimmt Kofler zum Ausgangspunkt für einen Briefmontageroman, der sich um hauptsächlich neurotische Zimmeranfragen für eine Sommerfrische auf dem Plattnerhof beziehen.

Spaß im Chaos

„Das Sonnenbaden“ möge doch in dieser Saison „besser gegen die Blicke der Einheimischen“ mit Planen abgedeckt sein, wünscht sich eine Frau namens „Paula Meller“. Der andere schreibt „Teure Anna, ich …“, doch dann werde der Text bis zur Unterschrift „Ihr Rainer Maria Rilke“ leider unleserlich. Ein „Irrsinnskunstwerk“, so der Erzähler selbst (!), sei hier am Entstehen. Doch bevor sich der Irrsinn weiter seine Bahn bricht, schläft der Erzähler ein, um eine Seite weiter nach dem Aufwachen noch weniger Herr seiner ordnenden Kräfte zu sein.

Jelinek über Kofler

„Werner Kofler ist einer der am meisten verkannten Autoren Österreichs. Alles, was Berühmtere können und konnten, das konnte er besser. Was hier als Kritik gefeiert wird und wurde, hat er heftiger, wütender kritisiert als andere, die sich diese Kritik stolz auf ihre Fahnen schreiben. Oder denen sie begeistert zugeschrieben wird. Und sein Zorn war gepaart mit großer, ja größter Sprachkunst. Darin wird ihn keiner übertreffen.“

Immer wieder reflektiert der Erzähler bei Kofler sein Handwerk. Und als sei der moderne Roman dann so etwas wie episches Theater, warnt der Erzähler vor sich selbst, und stattet alles mit so viel Selbstbezüglichkeit und Misstrauen aus, dass man sich fragen muss, warum macht es dann so viel Spaß, Kofler zu lesen? „Irgendwo aufschlagen und Spaß haben“, rät die Kofler-Exegetin Dürr. Man könne Kofler auch „passagenweise lesen, gerade weil sein Werk so pointiert ist, vielstimmig und nicht klassischen Erzählmustern folgt“. Kein Werk sei bei Kofler ohne das andere zu denken, hatte Schmidt-Dengler mal festgehalten und dabei das Bild von „Texten, die einander umfluten“ gebraucht.

„Medienkritik im Sinn von Karl Kraus“

Immer habe Kofler mit seinem Schaffen auf Medienkritik gezielt, „ganz im Sinne von Karl Kraus“, erinnert Dürr. Mit den Böhmermann-Vergleichen wird die germanistische Forschung wohl nicht so glücklich sein.

Buchhinweis

Werner Kofler: Kommentierte Werkausgabe. Hg. von Claudia Dürr, Johann Sonnleitner und Wolfgang Straub, Sonderzahl, 3 Bände, 99 Euro. (Die Bände sind auch einzeln beziehbar).

Dennoch: Kofler war gerade beim Einsatz unterschiedlicher Medienformen beachtlich. Und wie wenige Autoren in seinem Umfeld liebte Kofler den Medienwechsel und versuchte sich mit teils brachialer Leidenschaft in unterschiedlichen Mediengattungen. Das an der Uni Klagenfurt angesiedelte Projekt „Kofler intermedial“ möchte jedenfalls in den kommenden Jahren gerade das unterschiedliche Switchen Koflers zwischen Literatur, Hörspiel und auch Film untersuchen.

Kofler ordnen, das scheint ohnedies ein Unterfangen ohne Ende. Denn wie warnte schon der vielstimmige Erzähler im Text „Kalte Herberge“: „Er bringt nur alles durcheinander, auch unter den Koflers, in meiner Genealogie, was für ein Durcheinander, in diesen anderthalb Stunden Kofler, Kofler im Übermaß: Der Kofler zahlt gut, der Kofler hat sicher noch Leichen im Keller.“