Werner Kogler (Die Grünen)
APA/Barbara Gindl
Auftrieb durch EU-Votum

Grüne formieren sich für Neuwahl

Mit einem zweistelligen Ergebnis bei der EU-Wahl sind die Grünen nach ihrem Rausflug aus dem Nationalrat wieder zurück im Spiel. Doch die vorgezogene Neuwahl bringt die Partei in starken Zugzwang. Die strategisch schwierigste Entscheidung dürfte laut Experten sein, wer in Zukunft welche Rolle übernehmen wird – vor allem die des derzeitigen Spitzenkandidaten und Bundessprechers Werner Kogler steht zur Debatte.

Bei der Wahl zum EU-Parlament kamen die Grünen auf 14 Prozent und somit auf zwei Mandate. Kogler sprach von der „größten Comebackbewegung der Grünen in ganz Europa“. Er selbst ließ aber offen, ob er das Mandat annehmen werde, sein „eigentliches Ziel“ sei zwar, ins Europaparlament einzuziehen, doch „nach der Wahl“ sei diesmal stärker als je zuvor auch „vor der Wahl“.

Als Bundessprecher trage er die Verantwortung, eine funktionierende Spitze für die Nationalratswahl aufzustellen, so Kogler. Auch die Frage, ob er selbst bei der Nationalratswahl antreten wird, wollte Kogler noch nicht definitiv beantworten. Lediglich die Richtung gab er vor: „Ich bin da sehr für eine Teamlösung“, sagte Kogler. Auch in der Ö1-Reihe „Im Journal zu Gast“ wiederholte Kogler am Samstag, dass er ein „Spitzenteam“ finden wolle, und verwies auf die Situation bei den Grünen in Deutschland – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Was seine eigene Kandidatur anbelangt, wollte er sich erneut nicht festlegen: „Mit 100-prozentiger Sicherheit kann ich gar nichts ausschließen“, sagte Kogler. Er schließe sich aber auch nicht ein – sein erster Job sei es, ein Team auf die Beine zu stellen, so Kogler.

„Außergewöhnliche Zeiten“ – auch für die Grünen

Für den grünen Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi etwa ist Kogler aber sehr wohl eine Option: „Er ist unser bestes Pferd im Stall. Unser bester Kommunikator. Er wäre prädestiniert dafür“, erklärte Willi. Sollte Kogler nicht nach Brüssel gehen, müsse man das den Menschen zwar genau erklären und gut abwägen, doch „außergewöhnliche Zeiten erfordern auch außergewöhnliche Schritte“. Kogler lobte unterdessen am Samstag Willi: Als Spitzenkandidat wäre er „mindestens so gut“.

Der Politikberater Thomas Hofer spricht gegenüber ORF.at hingegen von einem „gewissen Risiko“, sollte Kogler sein EU-Mandat nicht annehmen. Gerade die Wähler und Wählerinnen der Grünen könnten sich dadurch vor den Kopf gestoßen fühlen.

Hofer: Grünen wurde „Strich durch die Rechnung gemacht“

Hofer sei sich aber „ziemlich sicher“, dass der ursprüngliche Plan gewesen sei, die Vorarlbergerin Nina Tomaselli (34) und den Oberösterreicher Stefan Kaineder (34) als Spitzenduo zu platzieren – doch erst ab dem Zeitpunkt, ab dem Kogler im EU Parlament ist. „Man hat bei den Grünen wohl damit gerechnet, dass man drei Jahre Zeit hat, um einen passenden Nachfolger für Kogler zu finden. Aber die ehemalige Regierung hat ihnen eben einen Strich durch die Rechnung gemacht“, sagt Hofer.

Ähnliches war diese Woche auch in einem Kommentar der „Presse“ lesen: „Mit Tomaselli und Kaineder wurden erst kürzlich zwei junge Gesichter in den Bundesvorstand geholt und immer wieder als Kogler-Nachfolger ins Spiel gebracht. Die Neuwahl kommt für sie aber zu schnell. Sie sind noch zu unbekannt.“

Nina Tomaselli (Grüne Landtagsabgeordnete Vorarlberg) und Stefan Kaineder (Grüne Landtagsabgeordneter Oberösterreich)
APA/Barbara Gindl
Tomaselli und Kaineder hätten wohl Koglers Nachfolger antreten sollen – doch nun scheint die Zeit bis zur Neuwahl zu knapp

Junge Neue oder alte Bekannte?

Auch für Hofer ist es nun „schwer vorstellbar“, dass die Grünen im Nationalratswahlkampf auf gänzlich unbekannte Kräfte setzen wollen: „Insofern glaube ich, dass Kogler sehr wohl noch eine Rolle spielen wird. Aber all das ist eine strategisch wirklich schwierige Entscheidung“, so der Politologe.

Es gebe zwar noch einige andere bewährte Persönlichkeiten, wie den oberösterreichischen Integrationslandesrat Rudi Anschober und Willi, die man nicht erst bekannt machen müsse, doch wer in Zukunft welche Rolle spielen werde, sei „sicherlich die offene Frage“ bei den Grünen, zeigt sich Hofer überzeugt. Und dass Willi seinen Bürgermeisterposten aufgibt, sei zu bezweifeln. Anschober wollte noch keine Stellung nehmen – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Grüne diskutieren intensiv über Personalfrage

Seitens der Grünen hält man sich bedeckt, was die Personalfrage betrifft. Im Moment sei es noch zu früh etwas zu sagen: „Das ist Gegenstand der Diskussionen, die nun parteiintern geführt werden“, meinte ein Parteiinsider gegenüber ORF.at. Man sei aber zuversichtlich, dass eine gute Entscheidung gefunden werde, schließlich gebe es ausreichend Personal, auch auf Länderebene, das für einen nationalen Wahlkampf herangezogen werden könne. Auf die starken Länderstrukturen verweist Hofer ebenso. Diese würden über die strukturellen Schwächen auf der Bundesebene hinweghelfen – auch was etwa die Parteiförderung betreffe.

Grüne Aktivisten befestigen auf einem Baukran ein Transparent mit der Aufschrift „Saubere Umwelt – Saubere Politik“
APA/Die Grünen/Karo Pernegger
„Saubere Umwelt und saubere Politik“, die Grünen haben laut Experten gute Chancen, damit im Wahlkampf punkten zu können

Kogler selbst sagte am Samstag, dass man die neue Lage erst „ordnen“ müsse, nachdem die Grünen „in ganz kurzer Zeit eine ganz lange Reise“ hinter sich gebracht hätten. Um die Suche nach dem von Kogler geforderten „Spitzenteam“ werde man sich jedenfalls „in den nächsten Wochen“ kümmern.

Spitzenkandidat „nicht ausschlaggebend“

Zudem sei bei den Grünen der Spitzenkandidat laut Analysen ohnehin nicht das stärkste Wahlmotiv, sondern die Themensetzung, so der Parteiinsider. Rückendeckung erhält er dabei von Hofer: „Dass es für die Grünen so gut gelaufen ist, hat klarerweise mit einer gewissen Themenkonjunktur zu tun – sei es die Debatte um den Klimawandel, um das Artensterben oder wie zuletzt um das Atomkraftwerk Mochovce“, so Hofer.

Gerade im Hinblick auf das „Ibiza-Video“ könnten die Grünen zusätzlich noch auf eines ihrer anderen Steckenpferde setzen: den Antikorruptionskampf. „Im Wahlkampf, wo es um Parteispenden und Transparenz gehen wird, könnten sie damit gut punkten“, analysiert Hofer.

Politologe warnt vor vorschneller Rückkehr zu Pilz

Vor einer vorschnellen Kooperation mit dem für seine Antikorruptionsarbeit bekannt gewordenen Peter Pilz und seiner Partei JETZT rät Hofer jedoch ab. Eine Kooperation erachte er nur insofern als sinnvoll, als dass die Grünen ein bis zwei Prozentpunkte gewinnen könnten. Das große Gegenargument ließe sich zwar nicht auf einer sachlichen, sehr wohl aber auf einer emotionalen Ebene finden: „Es gibt Befindlichkeiten und persönliche Verletzungen, die natürlich immer noch da sind. Man bräuchte vorher schon eine sinnvolle Familienaufstellung, um das im Wahlkampf komplett ausräumen zu können“, sagt Hofer.

VAE EU Wahl
SORA/ORF

Schließlich sei Pilz mitverantwortlich gemacht worden, dass die Grünen 2017 aus dem Nationalrat geflogen sind – den emotionalen Faktor dürfe man daher nicht unterschätzen. Die Bereitschaft zur Kooperation sei bei JETZT ohnehin stärker ausgeprägt als bei den Grünen, da Letztere auf Basis des EU-Wahlergebnisses weniger Druck verspüren würden. „Die Grünen haben aktuell gesehen die deutlich besseren Chancen, auf der Europaebene sogar im Verhältnis von 14:1“, so Hofer.

Peter Pilz (JETZT)
ORF.at/Lukas Krummholz
Der Politologe Thomas Hofer rät den Grünen zu einer „Familienaufstellung“, bevor sie wieder mit Peter Pilz kooperieren

Ziel: Geeinte und gestärkte grüne Bewegung

JETZT, das mit dem ehemaligen EU-Parlamentarier Johannes Voggenhuber ins Rennen ging, kam bei der EU-Wahl gerade einmal auf ein Prozent. Pilz regte daraufhin eine Zusammenarbeit der beiden Parteien bei der Nationalratswahl an und kündigte bereits an, die Grünen zu Gesprächen über eine mögliche gemeinsame Kandidatur einzuladen – auf einen sicheren Listenplatz würde er dabei aber nicht mehr bestehen.

Grafik zeigt die Ergebnisse der Grünen bei der Nationalratswahl 2013/2017 und EU-Wahl 2014/2019
Grafik: ORF.at; Quelle: BMI

Gespräche seien bereits von mehreren Personen, wenn auch noch nicht offiziell, über die Medien vorgeschlagen worden, dennoch sei laut dem Parteiinsider „nicht abschätzbar, was dabei rauskomme“. Ziel sollte jedoch sein, bei der Nationalratswahl als „geeinte und gestärkte grüne Bewegung“ aufzutreten. „Das schaffen die Grünen aber auch aus eigener Kraft. Eine Kooperation mit JETZT hängt aber stark an diversen Persönlichkeiten“, so der Insider.

Auf jeden Fall sei es wichtig, dass die Grünen im Parlament wieder eine Rolle spielen: „Man hat gesehen, wie schwach die Opposition seit der letzten Nationalratswahl ist.“ Zudem sei das Fehlen der Grünen vor allem im Hinblick auf eine „zu kurz gekommene“ Umweltpolitik sichtbar geworden, kritisiert der Insider.

Werner Kogler im Rahmen der Wahlfeier der Grünen zur EU-Wahl
APA/Hans Punz
Die derzeitige Gretchenfrage der Grünen: Quo vadis, Kogler? Geht der Bundessprecher nach Brüssel oder bleibt er in Wien?

Kogler lud Stern zu Gespräch ein

Kogler sagte im Hinblick auf Pilz, dass er sich nicht vorstellen könne, dass der „grüne Bundeskongress einen Schritt in die Vergangenheit“ machen wolle. Dennoch zeigte er sich offen für eine mögliche Zusammenführung von Grünen und JETZT, die Grünen und er „haben offene Türen“. Er habe Parteichefin Maria Stern zu einem Gespräch eingeladen, sagte Kogler. „Die Grünen werden als Grüne kandidieren“, betonte er aber.

„Grüne kein Opfer der SPÖ mehr“

Zugute kommen könnte den Grünen laut Hofer das Schwächeln der SPÖ. Viele Wähler und Wählerinnen seien in der Vergangenheit „Opfer einer SPÖ-Strategie“ geworden. Dabei sei immer ein knappes Kanzlerduell inszeniert worden, bei dem es auf jede Stimme ankomme, erklärt der Politologe. Das könne diesmal anders sein, da sich eine solche Duellsituation aufgrund derzeitiger Umfragen ohnehin nicht abzeichne.

Wenn die Grünen einen „bürgerlicheren“ Mitte-Kurs wie damals unter Alexander Van der Bellen und Eva Glawischnig einschlagen würden, könnten sie zudem auch Stimmen im Lager der SPÖ gewinnen, zeigt sich Hofer überzeugt. Er betont dabei aber mehr als einmal, dass es sich dabei nur „um den derzeitigen Stand“ handle – und dieser sich bekanntlich schnell wieder ändern könne.