Das Bundeskanzleramt in Wien
ORF.at/Roland Winkler
Expertenregierung

Nicht immer die beste Wahl

Die designierte Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein will mit einer Expertenregierung für Beruhigung in Österreichs Innenpolitik sorgen. Dafür wird der Verfassungsrichterin ein Vertrauensvorschuss aller politischer Lager gewährt. Ein Expertenkabinett birgt aber auch Gefahren. Nicht nur Italien ist dafür ein Beispiel, sondern auch Österreich selbst.

Die heimische Innenpolitik beging dieser Tage verschiedene Premieren. Vom ersten erfolgreichen Misstrauensantrag bis zur ersten Bundeskanzlerin. Die Expertenregierung an sich ist – je nach Definition – allerdings kein Erstfall, wie der Politologe Peter Filzmaier gegenüber ORF.at erklärte. So habe es in Österreich bereits in den Jahren 1921/22 unter Bundeskanzler Johann Schober eine Beamtenregierung gegeben.

Schober war eigentlich Wiener Polizeichef, das blieb er auch mit Unterbrechungen wegen seiner Amtszeiten als Bundeskanzler und Vizekanzler bis zu seinem Tod 1932. Ab Ende 1918 war er zudem Polizeipräsident. Schober wurde 1921 vom Nationalrat zum Bundeskanzler gewählt, in sein Kabinett holte er vorwiegend Beamte, die von Christlichsozialen und Großdeutschen unterstützt wurden.

Kanzler für einen Tag

Schobers Regierung trat infolge eines politischen Streits 1922 zurück. Daraufhin leitete der Beamte Walter Breisky im Auftrag der Christlichsozialen die Regierung – für einen einzigen Tag. Gleich darauf stellte Schober seine neue Regierung im Parlament vor, die wieder aus Beamten und drei Ministern der Christlichsozialen Partei bestand. 1929 wurde Schober zum dritten Mal Kanzler und bildete eine Regierung aus parteilosen Ministern und Vertretern der Christlichsozialen und der Großdeutschen Partei sowie des Landbundes. Er blieb bis 1930 im Amt. Beispiele für Beamtenregierungen gibt es laut Filzmaier zudem nach 1945 auch auf Landesebene.

Peter Filzmaier über frühere Expertenregierungen

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier nennt Regierungen der Ersten Republik als Beispiele für Expertenregierungen.

„Das sind keine mit heute vergleichbaren Situationen“, so Filzmaier. „Sie waren auch fast immer nur relativ kurz im Amt.“ Aber man könne daran sehen, dass eine Regierung aus Expertinnen und Experten nicht zwangsläufig erfolgreich sein muss. „Das ist nicht immer gut ausgegangen“, sagte Filzmaier. Der Idealismus, mit dem nun die künftige Expertenregierung unter Brigitte Bierlein angesehen werde, „ist schon fast illusorisch“. Eine solche Regierung sei aus verschiedenen Gründen nur in Ausnahmesituationen und vorübergehend vorgesehen.

Schnelle Wechsel in Italien

Auch in anderen europäischen Ländern waren Experten- oder Beamtenregierungen besonders in Krisenzeiten gefragt. So war es etwa in Italien der parteiunabhängige Nationalbank-Gouverneur Carlo Azeglio Ciampi, der 1993/94 nach dem Zusammenbruch des Parteiensystems nach einem Schmiergeldskandal mit der Regierungsbildung betraut wurde. Das Kabinett bestand zum Teil aus Experten, zum Teil aus Politikern verschiedener Parteien. Ciampi wurde später Staatspräsident.

Es war bis zum ersten Wahlsieg von Silvio Berlusconis Forza Italia im Amt. Schon 1995/96 verlor das erste Kabinett Berlusconis die Mehrheit. Nun kam der parteiunabhängige Schatzminister Lamberto Dini zu Zuge. Diesmal handelte es sich um eine reine Expertenregierung. Sie endete mit dem Wahlsieg des Sozialdemokraten Romano Prodi. Auch 2011 erhielt Italien eine Expertenregierung, dieses Mal unter dem früheren EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti. Diese regierte 18 Monate lang, bis sie nach den Wahlen vom Februar 2013 von einer linksgerichteten Regierung abgelöst wurde.

Auch Tschechien mit Expertenkabinetten

Auch Tschechien hatte bereits drei Expertenkabinette. 1998 beauftragte Staatspräsident Vaclav Havel den Gouverneur der Nationalbank, Josef Tosovsky, mit der Bildung einer Übergangsregierung. Zuvor war die zweite Regierung des Konservativen Vaclav Klaus aufgrund einer Parteispendenaffäre zu Ende gegangen. Das Kabinett aus Experten und Parteipolitikern amtierte bis zur Angelobung der sozialdemokratischen Regierung von Milos Zeman.

Brigitte Bierlein und Alexander van der Bellen
APA/Hans Punz
Bundespräsident Van der Bellen beauftragte Brigitte Bierlein mit der Bildung einer Expertenregierung für den Übergang bis zur Neuwahl

Im Frühjahr 2009 scheiterte die zweite Regierung des Konservativen Mirek Topolanek an einem Misstrauensvotum – und das mitten in der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft. Der nunmehrige Staatspräsident Vaclav Klaus beauftragte daraufhin den parteilosen Statistiker Jan Fischer mit der Bildung einer Übergangsregierung. Die Regierungsmitglieder wurden von den Parteien nominiert. Das Kabinett wurde schon im Folgejahr nach einer Parlamentswahl abgelöst.

2013 wurde eine reine Expertenregierung unter der Führung des ehemaligen Industrieministers Jiri Rusnok gegen den Widerstand der Parteien ernannt. Das Rusnok-Kabinett verlor nach kurzer Zeit bereits eine Vertrauensabstimmung, blieb aber dennoch bis Jänner 2014 im Amt, als es nach monatelanger, schwieriger Regierungsbildung vom Kabinett des Sozialdemokraten Bohuslav Sobotka ersetzt wurde.

Kritikpunkte am Technokratenkabinett

Auch in Bulgarien gab es eine Expertenregierung. Nach der Parlamentswahl 2013 erhielt die bis dahin regierende Partei GERB von Premier Bojko Borissow keine Regierungsmehrheit. So bildete der frühere Finanzminister Plamen Orescharski eine Regierung aus Experten sowie Vertretern der Sozialisten und der türkischen Minderheitenpartei DPS. Die Regierungszeit war von schweren Skandalen überschattet, Orescharski trat im Juli 2014 zurück.

Auch abseits von Skandalen: An einer Technokratenregierung, in der Expertinnen und Experten auf Basis von technischer Expertise und wissenschaftlicher Erkenntnis hauptsächlich verwalten, gibt es laut Filzmaier ohnehin prinzipiell zwei große Kritikpunkte. Einerseits fehle der psychologische Faktor. Politik und politisch Handelnde müssten – anders als Richterinnen und Richter – diesen laufend einkalkulieren. Gefühle, eigene und die der Wählerschaft, müssten einbezogen werden. Der zweite Kritikpunkt betreffe die demokratische Legitimation, so Filzmaier. Das Expertenkabinett sei nicht von der Bevölkerung gewählt.