Spielfiguren in Parteifarben
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Parteien suchen ihre Wahlkampftaktik

Knappe vier Monate vor der vorgezogenen Nationalratswahl haben die Parteistrateginnen und -strategen Hochkonjunktur. Aber nicht in allen Parteien ist die Linie, wie man in die Auseinandersetzung gehen will, bereits klar. In der SPÖ kämpft man um Schlagkraft und gegen eine Personaldebatte an, bei den Grünen ist diese hingegen unabwendbar.

Bei der ÖVP ist das Ziel klar: wieder den ersten Platz erringen und Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zurück ins Amt heben. Zur Aufkündigung der Koalition sei man von anderer Seite veranlasst worden, nun gelte es, SPÖ und FPÖ an einer Allianz zu hindern. Unter anderem auf diesem strategischen Fundament zog die ÖVP bereits in den Wahlkampf. Auch die FPÖ machte mit ihrem „Jetzt-erst-recht-Kurs“ bereits klare Ansagen.

Wie die SPÖ dagegenhalten soll, scheint hingegen noch unklar. Vor allem Stimmen aus den Bundesländern legten nahe, dass die Partei intern uneins ist, auch wenn die Wahl von Pamela Rendi-Wagner zur SPÖ-Spitzenkandidatin einstimmig erfolgte. Bei der EU-Wahl fuhr die SPÖ ihr historisch schwächstes Ergebnis ein. Die Partei konnte offenbar aus dem „Ibiza-Skandal“ keinen Profit ziehen.

Rendi-Wagner unter Druck

Auch erste Umfragewerte für die Nationalratswahl sorgen für Kopfzerbrechen in der Parteizentrale. Das befeuerte zuletzt eine Personaldebatte mitten im schon angelaufenen Wahlkampf. Laut einem Bericht des „Standard“ wurde der Medienmanager Gerhard Zeiler gefragt, ob er Rendi-Wagners Stelle einnehmen würde.

SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner
APA/Helmut Fohringer
Zögerlich zeige sich die SPÖ auch ihrer Spitzenkandidatin gegenüber, so die Politologin Stainer-Hämmerle

Die Schwäche der SPÖ habe viele hausgemachte Ursachen, so die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle gegenüber ORF.at. „Am schlechtesten bei der SPÖ ist das Timing“, sagt Stainer-Hämmerle. „Das merkt man bei vielen Initiativen, nicht zuletzt beim Misstrauensantrag“. Die Partei brauche „sehr lange, sich zu einer Position durchzuringen“. Auch wie man zu Parteichefin und Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner stehe, sei ein Beispiel für die Zögerlichkeit innerhalb der SPÖ.

„SPÖ muss eine Wahlkampflinie finden“

Von Rendi-Wagner ganz unabhängig „rächen sich auch einfach Entscheidungen, die man die letzten drei, vier Jahre nicht getroffen hat“, so die Politikwissenschafterin. Stichworte seien etwa die Haltung zu Zuwanderung und Integration sowie zu einer Koalition mit der FPÖ. Auch seien die Landesorganisationen und deren Wählerschaften lange zu wenig beachtet worden. Wichtig sei prinzipiell, jemanden zu verpflichten, der die Partei tatsächlich hinter sich einen könne. „Vielleicht schafft das auch noch Rendi-Wagner, mag sein. Im Moment scheint es da sicher noch Nachholbedarf zu geben.“ Es stelle sich aber vor allem die Frage nach einer Alternative.

Um den Wahlkampf zu bestreiten, müsse sich die SPÖ vor allem „zu einer Linie durchringen und dabei bleiben. Auch wenn es kurzfristig einmal mit den Umfragen wieder abwärts geht oder Kritik kommt.“ Die Partei müsse eine Wahlkampflinie finden und sie „mit allen Konsequenzen durchziehen“, so Stainer-Hämmerle.

Offene Personalfrage bei den Grünen

Die Grünen stehen indes weiterhin vor der Frage, mit welchen Personen sie in den Nationalratswahlkampf ziehen wollen. Der Bundessprecher Werner Kogler sprach sich bereits des Öfteren für eine Doppelspitze aus – ob er selbst auf sein EU-Mandat verzichten und Teil des Duos sein werde, ließ er jedoch noch offen. Als potenzielle Kandidaten werden unter anderen der oberösterreichische Integrationslandesrat Rudi Anschober und der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi gehandelt.

Stefan Kaineder, Nina Tomaselli und Werner Kogler (Grüne)
APA/Barbara Gindl
Tomaselli und Kaineder hätten wohl Koglers Nachfolger antreten sollen – doch nun scheint die Zeit bis zur Neuwahl zu knapp

Der Politologe Thomas Hofer erwähnte im Gespräch mit ORF.at auch die Namen zweier noch weitgehend unbekannter Gesichter: Nina Tomaselli (34) und Stefan Kaineder (34). Er gehe davon aus, dass diese ursprünglich als Nachfolger Koglers geplant gewesen wären – doch eben erst 2022. Durch die vorgezogene Neuwahl, die voraussichtlich bereits im September 2019 stattfindet, sei es für ihn nun allerdings „schwer vorstellbar“, dass die Grünen im Nationalratswahlkampf auf gänzlich unbekannte Kräfte setzen wollen.

Politikexpertin: „Alte Herren in zweite Reihe stellen“

Anders sieht das Stainer-Hämmerle: „Wann, wenn nicht jetzt? Die Gelegenheit, neue junge Kandidaten zu platzieren, war noch nie so günstig wie jetzt. Natürlich besteht ein gewisses Risiko, doch gerade dieser Wahlkampf bietet die Möglichkeit, schnell Bekanntheit erlangen zu können.“ Es wäre an der Zeit, „die alten Herren“ in die zweite Reihe zu stellen und die Jungen ranzulassen. Damit könnten die Grünen gerade an junge Wähler und Wählerinnen ein starkes Signal senden, meint die Politikexpertin. Zwar wäre es wichtig, erfahrene Persönlichkeiten wie Kogler mit im Team zu haben, jedoch eher in beratender Funktion.

Peter Pilz (Liste JETZT)
APA/Herbert Pfarrhofer
Eine Fusion zwischen JETZT und Grünen sei unter bestimmten Umständen möglich, meint Stainer-Hämmerle

Ein bis zwei Prozentpunkte durch Fusion mit JETZT

Würden die Grünen einem Comeback mit Peter Pilz und seiner Partei JETZT zustimmen, könnten sie zusätzlich noch ein bis zwei Prozentpunkte dazugewinnen. Auch hier müssten vorerst aber Personalfragen gelöst werden, schließlich könnten beide Seiten „nicht so tun, als ob nie etwas passiert wäre“, meint Stainer-Hämmerle, zumal hier „zwischenmenschlich einiges zerschlagen worden“ sei. Eine Gegenkandidatur von Pilz scheine derzeit aussichtslos, eine Fusion könnte allerdings nur dann angedacht werden, wenn Pilz sich dazu bereiterkläre, sich zurückzuziehen, so die Politikexpertin.

„Genügend Anlässe für linke Parteien, Politik zu machen“

Zudem würde den Grünen ohnehin die für sie gute Themenkonjunktur in die Hände spielen, sagt Stainer-Hämmerle. Rückendeckung erhält sie dabei von Hofer: „Dass es für die Grünen (bei der EU-Wahl, Anm.) so gut gelaufen ist, hat klarerweise mit einer gewissen Themenkonjunktur zu tun – sei es die Debatte um den Klimawandel, um das Artensterben oder wie zuletzt um das Atomkraftwerk Mochovce“, so Hofer. Gerade im Hinblick auf das „Ibiza-Video“ könnten die Grünen zusätzlich noch auf eines ihrer anderen Steckenpferde setzen: den Antikorruptionskampf. „Im Wahlkampf, wo es um Parteispenden und Transparenz gehen wird, könnten sie damit gut punkten“, analysiert Hofer.

Doch auch im Hinblick auf das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich gebe es „genügend Anlass“ für linke Parteien, hier Politik zu machen, zeigt sich Stainer-Hämmerle überzeugt. Eine starke Linke könnte etwa im Bereich der Umverteilung und bei sozialer Gerechtigkeit punkten. Doch dass Begriffe wie Verstaatlichung heutzutage „nicht mal mehr diskutiert werden dürfen“, zeige, wie sehr linke Parteien die Fähigkeiten verloren hätten, Themen zu setzen und Dinge zu interpretieren, konstatiert Stainer-Hämmerle.

Claudia Gamon und Beate Meinl-Reisinger (NEOS)
APA/Helmut Fohringer
Lob gibt es von der Politikexpertin für Gamon und Meinl-Reisinger: „Sie machen ihre Sache sehr gut.“

Wenig Platz für Kleinparteien?

An der Performance von NEOS hingegen hat Stainer-Hämmerle nichts auszusetzen. Sowohl EU-Spitzenkandidatin Claudia Gamon als auch NEOS-Chefin Beate Mein-Reisinger machten ihre Sache gut. Allerdings gebe es eben drei Mittelparteien, die ständig um die ersten drei Plätze kämpften und somit wenig Platz für kleine Parteien ließen.

„Gerade wenn es zwischen den ersten drei Plätzen eng wird, tendieren die Wähler und Wählerinnen eher dazu, die großen Parteien zu wählen anstatt die kleinen“, so die Politikexpertin. Auch sei das liberale Potenzial gering und die Zielgruppe von NEOS überschaubar. „Der Anteil an liberal denkenden urbanen Menschen kommt in Österreich nicht über zehn Prozent“, sagt Stainer-Hämmerle.