Angeklagter Niels Högel
APA/AFP/Mohssen Assanimoghaddam
85-facher Schuldspruch

Lebenslange Haft für Patientenmörder Högel

Der deutsche Serienmörder und Ex-Pfleger Niels Högel wurde am Donnerstag wegen 85-fachen Mordes an Patienten zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Landgericht im niedersächsischen Oldenburg hielt die besondere Schwere der Schuld fest.

Eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ist damit so gut wie ausgeschlossen. Zudem wurde Högel mit einem lebenslangen Berufsverbot belegt. Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann sagte in seiner Urteilsbegründung, bei den Taten Högels handle es sich „um etwas, was jegliche Grenzen sprengt und jeglichen Rahmen überschreitet“. Högels Schuld sei „unfassbar“. „Herr Högel, Ihre Taten sind unbegreiflich – es ist so viel, dass der menschliche Verstand kapituliert vor der schieren Anzahl der Taten“, sagte Bührmann.

Angeklagt waren ursprünglich 100 Fälle, die bei systematischen Nachforschungen entdeckt worden waren. Högel war zuvor bereits zweimal wegen einzelner Taten vor Gericht gestanden. Die Verteidigung hatte in 55 Fällen auf Mord plädiert, in 14 auf versuchten Mord und in 31 Fällen auf Freispruch. Die Staatsanwaltschaft sah dagegen 97 Morde als erwiesen an. Nur in drei Fällen fehle es an hinreichenden Beweisen.

Richter Sebastian Buehrmann
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Richter Bührmann: „Schlimmste Fantasie reicht nicht aus“

„Ich kam mir vor wie ein Buchhalter des Todes“, sagte Richter Bührmann. Zur Veranschaulichung verwies er auf das Rechtssystem in den USA, wo anders als in Deutschland Einzelstrafen addiert würden. Bei 85 Morden zu je 15 Jahren wären das 1.275 Jahre, so Bührmann. „Das gibt eine Ahnung von dem, was ich unfassbar nenne.“ Högel habe Woche für Woche, Monat für Monat und Jahr für Jahr getötet. „Tatsache ist: Manchmal reicht die schlimmste Fantasie nicht aus, um die Wahrheit zu beschreiben.“

Patienten vergiftet, um sie wiederzubeleben

Högel soll Patientinnen und Patienten zwischen 2000 und 2005 an den Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst in Niedersachsen ermordet haben. Dabei soll er seinen Opfern unterschiedliche Medikamente gespritzt haben, um sich bei einer anschließenden Reanimierung als Retter zu präsentieren. Viele Patienten überlebten das nicht.

Laut dem vom Gericht beauftragten psychiatrischen Gutachter leidet Högel an einer Persönlichkeitsstörung, ist aber schuldfähig. Der Experte geht davon aus, dass Högel von einem Bündel verschiedener Motive angetrieben wurde. Darunter seien Geltungsbedürfnis und Selbstüberhöhung, Sensationslust und der Wunsch, sich auf eine Stufe mit Ärzten zu stellen. Dazu komme ein Mangel an Empathie.

In seinem letzten Wort vor Gericht hatte sich Högel bei den Angehörigen seiner Opfer entschuldigt. „Bei jedem Einzelnen möchte ich mich aufrichtig für all das, was ich Ihnen über Jahre angetan habe, entschuldigen“, sagte er am Mittwoch. Es sei ihm während des Prozesses klar geworden, wie viel unendliches Leid er durch seine „schrecklichen Taten“ verursacht habe.

Angeklagter Niels Högel
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Vor 14 Jahren wurde Högel auf frischer Tat ertappt, die Aufklärung dauerte bis heute

Patientenschützer fordern „Kultur des Hinschauens“

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert weitere Konsequenzen aus der Mordserie. „Um mögliche Täter abzuschrecken, muss in Kliniken und Heimen eine Kultur des Hinschauens gelebt werden“, sagte Vorstand Eugen Brysch der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom Donnerstag. Nötig seien länderübergreifende, einheitliche Lösungen für alle 2.000 Krankenhäuser und 14.500 Pflegeheime.

„Für alle Einrichtungen braucht es eine unabhängige und externe Anlaufstelle, bei der anonyme Hinweisgeber verdächtige Vorkommnisse melden können“, forderte Brysch. Eine offene Fehlerkultur schaffe kein Misstrauen, sondern stärke das Team. Brysch drängt zudem auf eine lückenlose, standardisierte Kontrolle der Medikamentenabgabe. Auch müsse eine amtsärztliche, qualifizierte Leichenschau verbindlich vorgeschrieben werden.