Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein
ORF
Kanzlerin Bierlein

„Das ist lebendige Demokratie“

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hat sich in ihrem ersten Interview für die ZIB2 am Donnerstagabend über die Antragsflut im Nationalrat der vergangenen Tage „überrascht“ gezeigt. „Natürlich war ich gestern etwas überrascht über die Vielzahl von Entschließungsanträgen und Beschlussfassungen, aber das ist lebendige Demokratie.“

Auf die Frage, ob sie positiv oder negativ überrascht war, wich Bierlein aus: „Ich war überrascht“, wiederholte sie. Wie am Mittwoch hatte auch am Donnerstag nach Angaben der Parlamentskorrespondenz ein „Abstimmungsmarathon“ mit insgesamt 44 Fristsetzungsanträgen stattgefunden, von denen 23 auch angenommen wurden, statt.

Vage blieb Bierlein auch hinsichtlich den anstehenden Entscheidungen über den EU-Kommissionspräsidenten und den österreichischen EU-Kommissar. „Ich werde in enger Absprache mit den Parlamentariern handeln“, so die Übergangskanzlerin. Gefragt, ob etwa der amtierende Johannes Hahn (ÖVP) EU-Kommissar bleiben könnte, sagte sie, sie bitte um Verständnis, auch diese Frage derzeit „nicht beantworten zu können oder wollen“.

„Außergewöhnliche Situation“

„Der Herr Bundespräsident hat mir keine sehr lange Frist gewährt“, sagte Bierlein zu Beginn des Interviews auf die Frage, wie viel Zeit sie hatte, um das Kanzleramt anzunehmen. Sie habe binnen weniger Stunden entschieden. Angesprochen darauf, was gegen das Amt gesprochen hätte, meinte die Kanzlerin: „Zum einen, dass ich Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs war und mir dieser sehr am Herzen liegt.“ Ihr erster Weg nach der Anfrage sei deshalb auch zum VfGH gewesen.

Kanzlerin Bierlein: „War überrascht über Vielzahl an Anträgen“

Am Mittwoch hat sich die neue Regierung von Kanzlerin Brigitte Bierlein im Parlament vorgestellt, und schon nach kurzer Zeit waren die Probleme zwischen Nationalrat und der Regierung zu spüren.

Scheu vor dem Amt habe sie aber keine gehabt. „Es ist eine außergewöhnliche Situation, die außergewöhnliche Maßnahmen erfordert hat.“ Dem Bundespräsidenten und ihr sei es wichtig gewesen, die Stabilität im Land wieder herzustellen.

Die Frage, wie sie zu der Aussage von Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) („Das Recht muss der Politik folgen und nicht die Politik dem Recht“) vor wenigen Monaten stehe, wollte Bierlein nicht kommentieren. Eine Gefahr für den Rechtsstaat sehe sie nicht, dieser stehe auf einem sicheren Fundament. Sie würde aber entsprechend handeln, sollte sich ein Mitglied ihres Kabinetts so äußern, blieb Bierlein auf Nachfrage vage.

„Bin nicht eindeutig einordenbar“

In puncto Zusammensetzung ihres Kabinetts sei sie „grundsätzlich frei“ gewesen, weil der Bundespräsident den Vorschlag der Kanzlerin brauchte. „Wir haben uns sehr gut abgestimmt.“ Auch mit allen Parteien habe ein „hervorragendes Gesprächsklima“ geherrscht. Ihre Kabinettsmitglieder habe sie zum Großteil alle gekannt, so die Kanzlerin, „und die, die ich nicht kannte, konnte ich eingehend kennenlernen".

In der Berichterstattung wird die Kanzlerin oftmals als konservativ beschrieben – auch eine Nähe zur ÖVP und FPÖ wurde ihr mehrfach attestiert. Auf die Frage, ob sie sich richtig interpretiert fühlt, verneinte sie. „Ich war Richterin, Staatsanwältin und erste Frau in der Generalprokuratur. Parteipolitik war hier nie ein Thema.“ Wenn sie als konservativ eingestuft werde, sehe sie das als „richtig“ an. „Ich bin aber nicht eindeutig einordenbar.“

Kontakt zu Medien soll vertieft werden

Die Tatsache, dass die ehemalige VfGH-Präsidentin, die schon damals als erste Frau jenes Amt bekleidete, nun auch erste Kanzlerin des Landes wird, habe bei ihrer Entscheidung aber keine Rolle gespielt. „Ich habe mir aber doch gedacht, dass es ein schönes Symbol ist“, so Bierlein. Ein „Role Model“ wolle sie aber nicht sein. Dazu, dass es vor ihr noch keine Kanzlerin gab, meinte Bierlein: „Vielleicht interessieren sich Männer doch mehr für Politik.“ Die Fähigkeiten bei Männern und Frauen seien aber die gleichen, das habe sie auch durch ihr Kabinett zeigen wollen.

Bierlein war kürzlich von Journalistenorganisationen nach Amtsantritt sinngemäß Gesprächsverweigerung vorgehalten worden – wegen ihrer sehr vorsichtig gestalteten öffentlichen Auftritte bzw. Medienkontakte. Nach der Vorstellung ihrer Regierung im Parlament scheint es jetzt aus ihrer Sicht auch Zeit, den Kontakt zu den Medien zu vertiefen, wie sie im Ö1-Morgenjournal am Freitag sagte – Audio dazu in oe1.ORF.at.