Polizisten vor dem haus von Walter Luebcke
Reuters/Ralph Orlowski
Mord an deutschem Politiker

Rechtsextremer Hintergrund vermutet

Die deutsche Bundesanwaltschaft geht im Fall des vor zwei Wochen erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) von einem rechtsextremistischen Hintergrund aus – Hinweise auf ein rechtsterroristisches Netzwerk gebe es aber nicht.

„Wir gehen aufgrund des aktuellen Ermittlungsstandes davon aus, dass es sich um einen rechtsextremistischen Hintergrund der Tat handelt“, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft am Montag in Karlsruhe. Dafür sprächen insbesondere das Vorleben des Tatverdächtigen und die öffentlich wiedergegebenen Meinungen und Ansichten des Mannes. Die Ermittlungen richteten sich gegen einen 45-jährigen Deutschen, der dringend verdächtig sei, Lübcke heimtückisch durch einen Kopfschuss getötet zu haben.

Bisher gebe es aber keine Hinweise auf ein rechtsterroristisches Netzwerk. „Wir gehen natürlich auch der Frage nach, ob und inwieweit bislang unbekannte Hintermänner oder Tatbeteiligte in die Tat eingebunden waren“, sagte der Sprecher. Bei einer Durchsuchung sei umfangreiches Beweismaterial sichergestellt worden. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Falles übernahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen. Nun untersucht eine mittlerweile 50-köpfige Sonderkommission den Fall.

Porträt von Walter Luebcke bei seiner Beisetzung
Reuters/Ralph Orlowski
Der deutsche CDU-Politiker starb an einem Schuss in den Kopf und wurde Anfang des Monats beigesetzt

Spezialeinheiten hatten den Verdächtigen am frühen Samstagmorgen in Kassel gefasst, er sitzt seit Sonntag unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Er soll nach Angaben aus Sicherheitskreisen zumindest in der Vergangenheit Verbindungen in die rechtsextreme Szene gehabt haben. Darüber hatten auch mehrere Medien berichtet. Das genaue Motiv für die Tat ist aber weiterhin unklar.

Verdächtiger soll 1993 Asylunterkunft attackiert haben

Laut „Süddeutscher Zeitung“ liegen über den 45-Jährigen polizeiliche Erkenntnisse über Landfriedensbruch, Körperverletzung und Waffenbesitz vor. Der Verdächtige soll nach einem Bericht der „Zeit“ (Onlineausgabe) zudem im Jahr 1993 einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim im hessischen Hohenstein-Steckenroth verübt haben. Damals war ein brennendes Auto an der Unterkunft im Rheingau-Taunus-Kreis gerade noch rechtzeitig gelöscht worden, bevor der selbst gebastelte Sprengsatz auf der Rückbank detonieren konnte. Eine Bestätigung der Ermittler war dafür zunächst nicht zu bekommen. Nach der Tat hatte die Polizei damals mitgeteilt, der 20-Jährige habe zugegeben, allein und aus ausländerfeindlichen Motiven gehandelt zu haben.

Kassel

Kassel ist als einer von drei Regierungsbezirken in Hessen eine kommunale Gebietskörperschaft mit einem eigenen Regierungspräsidenten.

Nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ soll der Mann zumindest in der Vergangenheit auch im Umfeld der hessischen NPD aktiv gewesen sein. Vor zehn Jahren sei er auch an Angriffen von Rechtsradikalen auf eine Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Mai in Dortmund beteiligt gewesen. Er sei damals wegen Landfriedensbruchs zu sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Seither sei er nicht mehr als extremistisch aufgefallen, berichtete der „Spiegel“ unter Berufung auf Sicherheitskreise.

Die deutsche Regierung wollte sich indes nicht an den Spekulationen beteiligen. „Wir sollten die Ermittlungen jetzt nicht mit Spekulationen begleiten“, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hofft, dass so schnell wie möglich geklärt werde, wer Lübcke warum erschossen habe. Grüne, FDP, AfD und Linke im Bundestag forderten eine Sondersitzung des Innenausschusses.

Auf der Terrasse erschossen

Der 65-jährige Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni gegen 0.30 Uhr auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha entdeckt worden. Er hatte eine Schussverletzung am Kopf und starb wenig später im Krankenhaus. Nach dem Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung starb Lübcke an einem Schuss aus kurzer Distanz.

Vergangenen Donnerstag hatte es in Kassel in der Martinskirche eine Trauerfeier mit über 1.300 Teilnehmern und Teilnehmerinnen für den CDU-Politiker gegeben, bei der Polizei und Bundeswehr eine Ehrenwache hielten. Am Samstag wurde er in seinem Heimatort in Nordhessen beigesetzt.

Nach seinem Tod hatten hasserfüllte und hämische Reaktionen aus der rechten Szene im Internet für Empörung gesorgt. Der deutsche Präsident Frank-Walter Steinmeier sagte, wie sich manche in Sozialen Netzwerken über Lübckes Tod geradezu hermachten, sei „zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig“.

Morddrohungen nach Auftritt

Als Regierungspräsident war Lübcke im Jahr 2015 auch für die Einrichtung von Erstaufnahmelagern für Flüchtlinge in seinem Regierungsbezirk zuständig und wurde in der Vergangenheit wegen seiner Haltung zu Flüchtlingen bedroht. Auf Anfeindungen bei einer Bürgerversammlung, die zum Teil aus dem PEGIDA-Umfeld stammten, sagte er einmal, es lohne sich, in Deutschland zu leben und für die hiesigen Werte einzutreten.

„Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen – das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Danach soll er laut Medienberichten Morddrohungen erhalten haben – unter anderem von „Reichsbürgern“.