Flüchtlinge hinter einem Zaun
AP/Min Kyi Thein
Weltflüchtlingstag

Reichen Ländern fehlt „Solidarität“

Immer mehr Flüchtlinge, immer weniger Solidarität: So könnte man die Situation – Einzelfälle ausgenommen – anlässlich des Weltflüchtlingstages am Donnerstag auf den Punkt bringen. Kritik hagelte es – von der UNO bis zum Europarat – vor allem an den reichen Ländern und der fehlenden „Solidarität“.

Weltweit gibt es so viele Flüchtlinge und Vertriebene wie nie zuvor in der fast 70-jährigen Geschichte des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR). Ende vergangenen Jahres lebten 70,8 Millionen Menschen fern ihrer Heimat, die vor Gewalt, Konflikten, Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen geflohen waren, so die Organisation am Mittwoch. Ein Jahr zuvor hatte das UNHCR die Gesamtzahl auf 68,5 Millionen Menschen geschätzt.

Das sind über 2,3 Millionen mehr als noch im Jahr zuvor – und das, obwohl die Zahlen laut UNHCR „konservativ angenommen“ wurden. So wurde etwa die Krise in Venezuela nur „teilweise abgebildet“ – mittlerweile hätten rund vier Millionen Menschen das südamerikanische Land verlassen. Der Weltflüchtlingstag wurde von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen und findet jedes Jahr am 20. Juni statt.

Flüchtlinge nach Bootsunglück vor der Küste der Türkei
APA/AFP/Türkische Küstenwache
Die türkische Küstenwache nimmt Mitte Juni Flüchtlinge auf, deren Boot gesunken ist

Rund 80 Prozent kommen in Nachbarländern unter

Neben den Flüchtlingen gibt es weltweit Migranten und Migrantinnen, die bessere Arbeits- und Lebensbedingungen im Ausland suchen. Ihre Zahl schätzte das UNO-Büro für Migration (IOM) 2017 auf 258 Millionen weltweit.

Grafik zur Flüchtlingen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: UNHCR

Vier von fünf Geflohenen kamen in Nachbarländern unter, nicht in Europa und den USA, wie der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, betonte. Die größte Bürde trügen nicht die westlichen Länder, in denen viele Politiker heute von einer Krise sprächen, die nicht mehr zu bewältigen sei, so der UNO-Bericht weiter. Reiche Länder haben nach UNHCR-Angaben zusammen 16 Prozent der Flüchtlinge aufgenommen. Ein Drittel der Flüchtlinge weltweit habe Zuflucht in den ärmsten Ländern gefunden.

Grafik zur Flüchtlingen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: UNHCR

Zahl der Asylwerber in Österreich gesunken

Unter den fünf Ländern mit den meisten Flüchtlingen ist Deutschland laut der UNHCR-Statistik das einzige westliche Land. In Deutschland waren Ende vergangenen Jahres 1,1 Millionen anerkannte Flüchtlinge sowie rund 370.000 Asylsuchende, über deren Fälle noch nicht entschieden war. Mehr Flüchtlinge gab es nur in der Türkei (3,7 Millionen), Pakistan, Uganda und dem Sudan.

In Österreich, ähnlich wie in den meisten anderen EU-Staaten, sinkt die Zahl der Asylwerber und Asylwerberinnen. 2018 ging die Zahl der Anträge erneut zurück und liegt nun mit knapp über 13.700 auf einem ähnlichen Niveau wie vor zehn Jahren.

Scharfe Kritik an Abwehrhaltung

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats kritisierte vor dem Weltflüchtlingstag europäische Staaten für ihre Abwehrhaltung gegenüber Migranten und Migrantinnen im Mittelmeer scharf und legte eine Liste mit Empfehlungen für die Länder vor. Der Fokus der Staaten habe sich zu sehr darauf verschoben, die Menschen davon abzuhalten, die Küsten Europas zu erreichen, sagte Dunja Mijatovic am Dienstag. Um die humanitären und menschenrechtlichen Aspekte kümmere man sich dabei zu wenig, so die Menschenrechtskommissarin.

Flüchtlinge in Syrien
APA/AFP/Nazeer Al-Khatib
Syrer und Syrerinnen in einem Flüchtlingslager in der Türkei

Legale Möglichkeiten „müssen verstärkt werden“

„Während Staaten das Recht haben, ihre Grenzen zu kontrollieren und Sicherheit zu gewährleisten, sind sie auch verpflichtet, die in den See-, Menschenrechts- und Flüchtlingsgesetzen verankerten Rechte wirksam zu schützen“, sagte Mijatovic. In einem Papier mit insgesamt 35 Empfehlungen an die Europaratsstaaten forderte sie unter anderem, dass Nichtregierungsorganisationen, Kapitäne und Reeder nicht dafür bestraft werden, wenn sie „ihrer Pflicht zur Rettung von in Seenot geratenen Personen nachkommen“.

Flüchtlinge in Mexiko
AP/Marco Ugarte
Zentralamerikanische Flüchtlinge queren den Rio Suchiate von Guatemala nach Mexiko

Außerdem wird in dem Bericht eine transparentere Zusammenarbeit mit Drittstaaten verlangt. Gerade in Hinsicht auf Libyen müsse die Zusammenarbeit mit der dortigen Küstenwache überprüft werden, hieß es in dem Bericht. Hingegen müssten die Möglichkeiten für Migranten und Migrantinnen, sicher und legal nach Europa zu gelangen, verstärkt werden. „Der Schutz von Menschenrechten und ein wirksames Migrationsmanagement sind keine konkurrierenden Ziele“, so der Bericht.

Gegen Zusammenarbeit mit libyscher Küstenwache

Solange es keine „klaren Garantien“ für die Achtung der Menschenrechte in Libyen gebe, müssten die Europaratsländer ihre Kooperation mit der Küstenwache einstellen, forderte Mijatovic. Die libysche Küstenwache bringe aufgegriffene Flüchtlinge nach Libyen zurück, so Mijatovic. Dort würden sie „systematisch inhaftiert“. In den Lagern seien sie dem Risiko der Folter, der sexuellen Gewalt, Erpressungen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dem Europarat gehören 47 Länder an – alle europäischen Staaten außer Weißrussland.

Erst kürzlich hatte ein Sprecher der Vereinten Nationen die Lebensbedingungen in libyschen Auffanglagern als „grässlich“ und „unmenschlich“ bezeichnet. Er berichtete von Dutzenden Tuberkulosetoten, Unterernährung und Misshandlungen bis hin zu Folter. Nach UNHCR-Angaben wurden seit Jahresbeginn rund 1.300 Menschen auf dem Mittelmeer aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht. Derzeit werden rund 3.400 Geflüchtete in der libyschen Hauptstadt in Lagern festgehalten.

Drehscheibe für Flüchtlinge

Das nordafrikanische Land ist eine zentrale Drehscheibe für Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen. Die EU half daher beim Wiederaufbau einer Küstenwache und versucht, das Land zu stabilisieren. In Libyen herrscht jedoch Bürgerkrieg, weite Teile des Landes werden von Milizen kontrolliert.

Über die Zahl der Flüchtlinge, die derzeit versuchen, von Libyen aus mit Schlepperbooten nach Europa zu kommen, gibt es keine offiziellen Angaben. Menschenrechtsorganisationen schätzen aber, dass sich mehrere hunderttausend Menschen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern in dem Land aufhalten.

Neue Krisenregion

Der UNO-Flüchtlingsbericht zeigt auch neue Flüchtlingskrisen auf. So ist etwa die Zahl der neuen Asylanträge von Venezolanern und Venezolanerinnen nach UNHCR-Angaben auf 350.000 explodiert. Das waren mehr als dreimal so viele wie im Jahr davor.

Venezolaner machten damit ein Fünftel aller neuen Anträge weltweit aus, und sie waren mit Abstand die größte Asylsuchendengruppe, gefolgt von Afghanen und Syrern. Weltweit die meisten neuen Asylanträge wurden 2018 wie im Jahr davor in den USA gestellt, gut 250.000. Auf dem zweiten Platz stand Peru wegen des Andrangs aus Venezuela, gefolgt von Deutschland, so das UNHCR. Hier kamen die meisten neuen Anträge von Syrern, Irakern und Iranern.

Flüchtlinge auch in USA ein Politikum

Die US-Regierung beklagt indes hohe Flüchtlingszahlen von Menschen, die aus mehreren Ländern Lateinamerikas, darunter Guatemala, Honduras und El Salvador, in die USA gelangen. Nach offiziellen Angaben der US-Grenzbehörden wurden allein im Mai 144.000 Menschen festgesetzt, davon viele Kinder, die ohne ihre Eltern unterwegs waren. Das war dreimal so viel wie ein Jahr zuvor.

Kritik gibt es an den Haftzentren an der mexikanischen Grenze, wo die US-Behörden Tausende aus Zentralamerika untergebracht haben, die illegal über die Grenze gelangt sind. Kritik hatte es auch deshalb gehagelt, weil Kinder von ihren Familien getrennt wurden. Auch kam es zu einigen Todesfällen.

US-Präsident Donald Trump hatte im Wahlkampf 2016 versprochen, die illegale Einwanderung zu stoppen. Die Zahl der Migranten stieg während den 28 Monaten seiner Amtszeit jedoch stetig. Nach Behördenangaben von Anfang Juni wurden seit Oktober 2018 mehr als 530.000 Menschen festgenommen. Die Menschen versuchen vor Armut und Gewalt über Mexiko in die Vereinigten Staaten zu fliehen. Trump kündigte am Montag an, in der kommenden Woche solle die Abschiebung von „Millionen“ illegal Eingewanderter beginnen.