Demonstranten in Berlin
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Rechtsextremismus in Deutschland

Minister für Proteste und „mehr Biss“

Nach dem Mord an dem deutschen CDU-Politiker Walter Lübcke wollen deutsche Minister den Kampf gegen Rechtsextremismus verschärfen. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer sagte nun, er wolle „dem Rechtsstaat mehr Biss geben“. Auch Außenminister Heiko Maas rief zu einem „Donnerstag der Demokratie“ – nach Vorbild der „Fridays for Future“-Bewegung – auf.

Wenn sich die Annahmen im Fall des getöteten Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke bestätigten, „ist die Entwicklung brandgefährlich“, warnte der CSU-Politiker Seehofer in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstag-Ausgaben). Der Rechtsextremismus sei „zu einer echten Gefahr geworden“. Seehofer stellte den Rechtsextremismus auf eine Stufe mit dem islamistischen Terror und mit der Gefahr durch „Reichsbürger“.

Er fügte hinzu: „Dieser Mord motiviert mich, alle Register zu ziehen, um die Sicherheit zu erhöhen.“ Beim Personen- und Objektschutz müssten alle Ebenen einbezogen werden, auch die kommunale Ebene. „Es ist unsere Pflicht, das Menschenmögliche zu tun, um jene zu schützen, die bedroht werden.“ Mit Blick auf Hetze und Hass im Netz betonte Seehofer: „Beleidigung, Verleumdung, Volksverhetzung gehören offline wie online verfolgt.“

Deutschlands Innenminister Horst Seehofer
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Seehofer will „alle Register ziehen“

Entzug der Grundrechte für „Demokratiefeinde“?

Prüfen will der deutsche Minister ferner, „Demokratiefeinden“ Grundrechte zu entziehen. Einen entsprechenden Vorstoß hatte vor wenigen Tagen der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber unternommen. „Wir sind das Verfassungsressort. Wir werden die Möglichkeiten ernsthaft prüfen“, betonte Seehofer.

Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni auf der Terrasse seines Wohnhauses im hessischen Wolfhagen-Istha niedergeschossen worden. Dringend tatverdächtig ist Stephan E., der 45-Jährige sitzt in Untersuchungshaft. Die deutsche Bundesanwaltschaft stuft das Verbrechen als politisches Attentat mit rechtsextremem Hintergrund ein.

Seehofer für „totale Transparenz“

Der Verdächtige hatte möglicherweise noch in diesem Jahr intensiven Kontakt zur rechtsextremen Szene. E. habe an einem konspirativen Treffen von Mitgliedern von Neonazi-Organisationen teilgenommen, berichtete am Freitag das ARD-Magazin „Monitor“. Das Magazin beruft sich auf Fotos, die es mit einem Gutachter ausgewertet hat. Dem Bericht zufolge besuchte E. am 23. März eine rechtsextreme Veranstaltung im sächsischen Mücka, wo er mit Mitgliedern der neonazistischen Organisation „Combat 18“ und der neonazistischen Vereinigung „Brigade 8“ fotografiert wurde.

Seehofer hatte am Freitag angekündigt, dass sein Ministerium die neuen Informationen prüfen werde. Auch das Landeskriminalamt in Sachsen will mögliche Kontakte des Tatverdächtigen zur Neonazi-Szene im Freistaat untersuchen. Im Funke-Interview plädierte Seehofer bei der Aufklärung des Mordfalls für „totale Transparenz“.

Maas: „Wegsehen kann tödlich sein“

Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) heftete sich den Kampf gegen Rechts an die Fahnen. "Zeigen wir, dass wir mehr sind als die Rechtsradikalen, die Antisemiten, die Spalter. So wie die ‚Unteilbar‘-Demonstranten in Berlin und an vielen anderen Orten“, schrieb Maas in einem Gastbeitrag für die „Bild“-Zeitung (Samstag-Ausgabe). Vorbild könnten auch die wöchentlichen Klimaproteste junger Menschen sein: „Vielleicht braucht unser Land nicht nur die ‚Fridays for Future‘, die so viel in Bewegung gebracht haben. Sondern auch einen Donnerstag der Demokratie.“

Deutschlands Außenminister Heiko Maas
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Maas sieht sich an NSU-Mordserie erinnert

Der Fall Lübcke erinnere ihn an die NSU-Mordserie, schrieb Maas weiter. 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs würden Politiker wieder Opfer von Rechtsterroristen. „Wir müssen den Rechtsterrorismus endlich als solchen benennen", fügte der Außenminister hinzu. Viel zu oft sei die Rede von „Einzelfällen“ oder „Amokläufen“, wenn es um Angriffe von rechts gehe. Terroristische Gewalt sei durch nichts zu rechtfertigen und dürfe nicht relativiert werden.

Merkel: „Ohne jedes Tabu“

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel pochte ebenso darauf, den Rechtsextremismus in seinen Anfängen zu bekämpfen, „ohne jedes Tabu“. „Sonst haben wir einen vollkommenen Verlust der Glaubwürdigkeit.“ Merkel verwies darauf, dass man den NSU-Opfern die Aufarbeitung der Morde und Netzwerke versprochen habe. „Deshalb ist der Staat hier auf allen Ebenen gefordert. Und der Bundesregierung ist das sehr, sehr ernst.“ Merkel fügte hinzu, der Mord an Lübcke sei „eine große Aufforderung, auf allen Ebenen noch einmal zu schauen, wo es rechtsextreme Tendenzen oder Verwebungen geben könnte.“

„Anschlag auf Demokratie“

Auch weitere deutsche Politikerinnen und Politiker äußerten sich zuletzt über den Mord. Die deutsche Forschungsministerin Anja Karliczek bezeichnete den Mordfall Lübcke als einen „Anschlag auf unsere Gesellschaft und unsere Demokratie“. Man dürfe jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern müsse „über die Konsequenzen intensiv diskutieren – und entschlossen handeln“, sagte die CDU-Politikerin der „Passauer Neuen Presse“ (Samstag-Ausgabe).

Die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer beklagte in der „Rheinischen Post“ (Samstag-Ausgabe) eine „brandgefährliche“ Verharmlosung des Rechtsextremismus in Deutschland. „Wenn sich alles zum mutmaßlichen Mörder von Herrn Lübcke bestätigt, was jetzt noch Spekulation ist, wurden die Vorgaben nach der NSU-Mordserie nicht hinreichend umgesetzt. Der Rechtsextremismus wird immer noch verharmlost. Das ist alarmierend und brandgefährlich.“

Thüringens CDU-Chef Mike Mohring übte indes Kritik an Seehofers Idee zum Entzug der Grundrechte. Es sei verständlich, sich nach dem Mord an Lübcke Gedanken zu machen, sagte Mohring dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag). „Es ist rechtlich und politisch jedoch problematisch, individuelle Grundrechte einzuschränken. Verfassungsfeinde sollten nicht als Märtyrer aus solchen Debatten hervorgehen. Der einschlägige Grundgesetzartikel ist von eher symbolischer Natur, sein rechtlicher Gebrauchswert tendiert gegen null“, sagte Mohring.

Mehrere hundert Menschen bei Mahnwache

Unterdessen nahmen am Samstag mehrere hundert Menschen an einer Mahnwache für den Kasseler Regierungspräsidenten teil. „Der Marktplatz war voll“, sagte der Dekan des Evangelischen Kirchenkreises, Gernot Gerlach, nach dem Gedenken. Es seien weit mehr Menschen gekommen als erwartet.